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Wasser in der Schwebe

Physik. - Als eine von wenigen Substanzen dehnt sich Wasser beim Gefrieren aus - Folge der Dichteanomalie des Wassers. Warum das so ist, darauf gibt nun ein neues Experiment Hinweise, das mindestens so wundersam ist wie die Dichteanomalie selbst.

Von Haiko Lietz | 05.01.2009
    Zwei Wassergläser und eine Hochspannungsquelle – das ist alles, was Elmar Fuchs braucht, um dem Wasser ein Geheimnis zu entlocken. Ein einfaches Experiment in einem Labor der Technischen Universität Graz. Verwendet wird destilliertes, nicht leitendes Wasser. Der Chemiker Fuchs taucht je eine Elektrode in ein Glas ein und legt eine Spannung von 15.000 Volt an. Nun kommt die Überraschung.

    "Wenn man das macht, so springt das Wasser spontan zusammen, bildet eine Verbindung zwischen den beiden Glasbehältern. Wenn man die Behälter nun auseinander bewegt, so bleibt diese Verbindung bestehen in Form einer zylindrischen schwebenden Wasserbrücke. Es ist unerwartet, dass bei dieser Anordnung eine stabile Verbindung zwischen den Bechern entsteht. Man würde erwarten, dass durch das elektrische Feld Tröpfchen aus der Flüssigkeit gerissen werden und jeweils zum anderen Pol fliegen."

    Zieht man die Gläser auseinander, wird diese Brücke zunächst dünner. Erst bei einer Länge von zweieinhalb Zentimetern zerreißt sie dann. Nun steht die Frage im Raum: Warum ist die schwebende Wasserbrücke so unerwartet stabil? Zwei Beobachtungen könnten Antworten liefern. Einerseits wird das Glas mit der negativen Elektrode allmählich voller. Das Wasser fließt also durch die Brücke von einem ins andere Glas. Die andere Beobachtung haben die Österreicher mit modernsten Messgeräten gemacht.

    "Wir haben innerhalb der Wasserbrücke entdeckt, dass Dichteveränderungen im Wasser sich durch diese Brücke bewegen, und zwar Dichteveränderungen in einer Höhe von bis zu sieben Prozent."

    Die Wassermoleküle in der Brücke haben also einen anderen Platzbedarf als die in den Gläsern. Ein verblüffender Effekt, bei dem der Quantenphysiker Emilio Del Giudice vom italienischen Nationalinstitut für Kernphysik in Mailand ins Spiel kommt. Als Einziger hat er den Österreichern eine Theorie vorgelegt, die die schwebende Wasserbrücke erklären kann. Diese basiert darauf, dass flüssiges Wasser teilweise in einem kohärenten und einem nichtkohärenten Zustand vorliegt.

    "Stellen Sie sich ein Ballett auf einem Bürgersteig vor. Kohärenz bedeutet, dass alle synchron tanzen, im Takt. Allerdings kommen Passanten vorbei, die es eilig haben und mit den Tänzern kollidieren. Manche kommen dadurch aus dem Takt, finden nach einer Weile aber wieder in den Rhythmus. Es gibt also ein dynamisches Gleichgewicht von synchronen und aus der Reihe tanzenden Balletttänzern. Beim Wasser ist es ähnlich. Jedes einzelne Molekül ist zeitweise Teil einer Gruppe im Gleichtakt und zeitweise nicht."

    In diesem Wechselspiel gibt es einerseits eine Tendenz in Richtung Kohärenz, weil Moleküle in der Gruppe Energie sparen können. Andererseits wirkt steigende Temperatur der Gruppenbildung entgegen. Die Theorie besagt weiter, dass ein äußeres negatives Potenzial – etwa in Form einer angelegten Hochspannung – kohärente Bereiche stabilisiert. Dieser Mechanismus erklärt laut Del Giudice die Entstehung der Wasserbrücke:

    "Was passiert? Die kohärenten Bereiche fließen in Richtung des Minuspols – die nichtkohärenten Moleküle sind davon nicht betroffen. Der Beleg dafür ist die geringere Dichte in der Brücke. Wir haben die Dichte der kohärenten Bereiche nämlich berechnen können. Sie ist etwas geringer als im durchschnittlichen Wasser."

    Man kann den Wassertransport im Experiment also vergleichen mit Ballettgruppen, die die Straßenseite wechseln, weil auf der anderen Seite die Musik lauter ist und das Tanzen leichter fällt. Del Giudices Berechnungen nach ist die Dichte von kohärentem Wasser ähnlich der von Eis – nämlich sieben Prozent kleiner als von durchschnittlichem flüssigem Wasser. Allerdings sind im Experiment zunächst nur Dichteveränderungen von bis zu sieben Prozent gemessen worden. Die Gruppe der TU Graz ist sich jedoch fast sicher, dass die Dichte in der Wasserbrücke tatsächlich geringer ist als erwartet. Dann hätte sie in dieser Hinsicht dieselbe Eigenschaft wie Eis und Del Giudice wäre auch einer Erklärung der Dichteanomalie des Wassers einen wichtigen Schritt näher.