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Wasserstoffperoxid: Schlohweiß durch ''reaktiven Sauerstoff''

Das Molekül dieser Woche heißt Wasserstoffperoxid, H2O2. Zwei Wasserstoff-, zwei Sauerstoffatome. Die Formel für ein molekulares Multitalent. Es bleicht Zähne und Zellstoff, reinigt Elektronikbauteile und Trinkwasser, sterilisiert chirurgische Instrumente und Kontaktlinsen - ja sogar Raketentreibstoff lässt sich aus der farblosen Flüssigkeit herstellen.

Von Volker Mrasek | 24.08.2011
    In Berührung mit H2O2 kommen wir aber insbesondere bei der Färbung und Alterung unserer Haare.

    "Wie lange ist der letzte Schnitt her?"

    Ein ganz normaler Tag im Friseursalon um die Ecke.

    "Wenn Sie dann einmal mit mir kommen möchten zum Waschen?"

    Waschen, Schneiden, Fönen.

    "Ich habe schon alle Farben gehabt, aber noch kein Blond."

    Und häufig auch blondieren - so wollen es viele Kundinnen.

    " Friseurin II: "Das ist Blondierung. Blondierpulver mit H2O2 eingemischt."

    Decker: "Wo wird Wasserstoffperoxid eingesetzt? Dort, wo Sie gerne 'was bleichen wollen."

    Friseurin II: "Ich nehme jetzt Alufolie, webe das Haar."

    Decker: "Wasserstoffperoxid hat eben freie Elektronen."

    Friseurin II: "Dann wird das in Folie eingepackt, mit Blondierung eingepinselt."

    Decker: "Und diese Elektronen wollen sich sehr gerne mit anderen Molekülen verbinden und oxidieren deswegen andere Moleküle gerne auf."

    Friseurin II: "Also, generell ist [die] Einwirkzeit 50 Minuten."

    Decker: "H2O2 bleicht im Grunde genommen das Melanin."

    Friseurin II: "Nach 50 Minuten ist der chemische Prozess abgeschlossen."

    Decker: "Melanin ist der Stoff, der Ihre Haare braun macht." "

    Heinz Decker ist kein Friseur, sondern Professor für Molekulare Biophysik an der Universität Mainz. Ihn interessiert, warum unser Haar im Alter ganz von allein grau wird. Deckers überraschende Erklärung: Auch dafür ist H2O2 verantwortlich:

    " Decker: "Es spielt tatsächlich in jeder Zelle 'ne Rolle. Bei den Haaren sieht man es sofort." "

    Wasserstoffperoxid entsteht fortwährend in unserem Körper als Nebenprodukt des Energiestoffwechsels. Dabei machen auch Zellen schon mal Fehler und fabrizieren unabsichtlich sogenannte Sauerstoff-Radikale. Das sind starke Oxidationsmittel. Dazu zählt auch H2O2, so Decker:

    "Der oxidative Status in einer Zelle, der wird sehr konstant gehalten. Und mit zunehmendem Alter funktioniert das nicht mehr, weil entweder die Gene nicht mehr richtig funktionieren, in der Regel die Kontrolle einfach nicht mehr richtig funktioniert."

    Konkret ist es so, dass die Zellen der Haarwurzeln nicht mehr genügend Katalase bilden, ein Enzym, das Wasserstoffperoxid normalerweise wieder spaltet. Das reaktionsfreudige H2O2 greift daraufhin seinerseits Enzyme an, die unerlässlich sind, um das Farbpigment Melanin zu produzieren.

    "Damit kann kein Melanin mehr gebildet werden. Damit gibt's nur noch weißes Haar."

    Friseurin II: "Bei Männern machen wir auch Kammsträhnen oder Haubensträhnen. Also, ohne H2O2 geht [es] nicht bei Friseuren."

    In jungen Jahren lassen wir uns noch freiwillig die Haare mit Wasserstoffperoxid bleichen. Im Alter können wir nichts mehr dagegen machen. Für Forscher wie Heinz Decker ist denkbar, dass uns H2O2 und andere Sauerstoff-Radikale überhaupt altern lassen:

    "Dass eben die Reparaturmechanismen, also dieser Status quo, nicht mehr gehalten werden kann, sodass dann die Sauerstoff-Radikale überhandnehmen und dann zu einer Alterung der Zellen führen. Und das ist ja im Moment das Topgebiet weltweit, woran man forschen will: Warum altern wir?"