Donnerstag, 25. April 2024

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"WAZ"-Chefredakteur rechtfertigt Recherchen in Grauzonen

Ulrich Reitz, Chefredakteur der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (WAZ), hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Durchsuchung von Redaktionsräumen als "außerordentlich erfreulich" bezeichnet. Der Informantenschutz sei "eines der wichtigsten und höchsten Güter im Journalismus überhaupt", sagte Reitz. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 seien "öffentlich zelebrierte Einschüchterungsversuche gegen die Presse" aufgekommen. Diese hätten nun ein Ende.

Moderation Friedbert Meurer | 27.02.2007
    Friedbert Meurer: Es war der 12. September 2005. Da durchsuchte die Polizei die Redaktionsräume der konservativen Zeitschrift "Cicero". Gleichzeitig werden auch ein gutes Dutzend Kisten abtransportiert aus dem Privathaus des Journalisten Bruno Schirra. Der hatte einen Artikel über den Top-Terroristen al Sarkawi geschrieben. Mittlerweile ist der von den US-Soldaten im Irak getötet worden. Und diesen Artikel hat Schirra geschrieben unter Verwendung eines geheimen Berichts des Bundeskriminalamts. Dort wollte man 2005 dann herausbekommen, wer hatte Bruno Schirra die brisante Akte zugespielt? Heute urteilte das Bundesverfassungsgericht.

    Über das möchte ich mich unterhalten mit Ulrich Reitz, dem Chefredakteur der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung". Guten Tag, Herr Reitz!

    Ulrich Reitz: Guten Tag, Herr Meurer!

    Meurer: Wird es jetzt künftig weniger Durchsuchungen durch Staatsanwälte in Redaktionen geben?

    Reitz: Das ist gewiss. Was es sicherlich weiterhin geben wird, werden interne Untersuchungen sein beim Bundeskriminalamt, beim Bundesnachrichtendienst und beim Bundesamt für Verfassungsschutz, immer dann, wenn geheime Informationen, die in den Ämtern gesammelt werden, presseöffentlich werden. Aber was es jetzt nicht mehr geben wird ist, dass diese internen Untersuchungen öffentlich sein werden. Sie werden nicht mehr stattfinden können mit politischer Rückendeckung. Ich erinnere daran, dass die Aktion gegen "Cicero" mit ausdrücklicher Rückendeckung des damaligen Bundesinnenministers Schily stattgefunden hat. Und es wird nicht mehr diese Art von öffentlich zelebrierten Einschüchterungsversuchen gegen die Presse geben.

    Meurer: Aber gegen interne Untersuchungen bei BKA oder Bundesnachrichtendienst kann man ja wenig einwenden. oder?

    Reitz: Man könnte dagegen einwenden, dass immer noch damit die Möglichkeit besteht, die Weitergabe von Informationen, an denen die Öffentlichkeit durchaus ein Interesse hat, verhindern zu können. Deswegen sage ich, dieses Urteil ist zwar, sagen wir mal, ein Etappensieg für die Pressefreiheit, und das Bundesverfassungsgericht hat ja eindeutig und auch wörtlich darauf hingewiesen auf die Kontinuität zum Urteil von 1966, besser bekannt als das "Spiegel"-Urteil, das Urteil nach der "Spiegel"-Affäre von 1962. Aber immerhin ist es so, dass Journalisten, die vertrauliche Schriftstücke publizieren, sind von Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Verletzung von Dienstgeheimnissen nicht ausgenommen. Es werden sozusagen nur die Maßstäbe in Richtung Pressefreiheit verschoben, aber ausgenommen von Strafverfolgung sind Journalisten wie Informanten nicht.

    Meurer: Worin genau, Entschuldigung, besteht der Etappensieg, wie Sie sagen?

    Reitz: Der Etappensieg besteht darin, dass im Grunde genommen nach dem 11. September der Versuch unternommen worden ist, die Balance zwischen Pressefreiheit und innerer Sicherheit zu verschieben Richtung innere Sicherheit. Der Deutsche Journalistenverband hat seit 1987, das ist ein bisschen vorher, aber immerhin seit 1987, immerhin 178 Fälle von Durchsuchungen und Beschlagnahmung von Informationsmaterial in Redaktionsräumen gezählt. Das ist ja nun nicht gerade wenig. Für mich ist ganz bedeutsam, dass bei diesem Versuch, die Balance zwischen innerer Sicherheit und Pressefreiheit zu verschieben nach dem 11. September, jetzt wieder die Balance hergestellt worden ist Richtung Pressefreiheit. Dieses Urteil enthält auch die eindeutige Botschaft, dass es sozusagen keine öffentlichkeitsfreien Räume gibt, dass letztendlich eine Mentalität, die sagt alles das, was der Staat macht, ist mehr oder weniger sakrosankt und derjenige, der seine Nase dort hineinsteckt, muss mit Strafverfolgung rechnen, vom Bundesverfassungsgericht nicht sanktioniert wird, nicht anerkannt wird.

    Meurer: Nun gerade in diesem konkreten Fall: "Cicero" und der Autor Bruno Schirra., da sagt der BKA-Präsident Ziercke, der Autor hat eine Satellitentelefonnummer des damaligen Top-Terroristen al Sarkawi öffentlich gemacht, geschrieben in seinem Artikel. Ist so etwas in Ordnung?

    Reitz: Man muss immer sagen, dass Journalisten, die investigativ recherchieren - und das ist die schwierigste Recherche-Form, die man überhaupt haben kann -, die bewegen sich immer in einer Grauzone. Ich erinnere daran, dass der BKA-Bericht, um den es ging, der hatte die niedrigste Geheimhaltungsstufe. Der war noch nicht mal als geheim eingestuft, sondern bestenfalls als vertraulich. Ich erinnere auch daran, dass das Verfahren ausgegangen ist wie das Hornberger Schießen, ein großes Trara. Gegen die Bezahlung von 1000 Euro wurde dieses Verfahren eingestellt.

    Wenn Sie fragen nach der Telefonnummer von al Sarkawi? Ja gut, dass Journalisten auch gerne Schlagzeilen produzieren, dafür sind sie bekannt. Für mich ist das ehrlich gesagt kein Problem, zumal das eine sicherheitsrelevante Information nicht war.

    Meurer: Mit der Satellitennummer ist eine Quelle kaputt gemacht worden?

    Reitz: Ich finde das Urteil in dieser Hinsicht des Bundesverfassungsgerichts nicht nur eindeutig, sondern auch außerordentlich erfreulich.

    Meurer: Sie haben ja selbst Erfahrungen mit Durchsuchungsaktionen gemacht, wie Sie mir im Vorgespräch gesagt haben. Was ist da passiert?

    Reitz: Es ist ja bekannt, dass auch die Redaktion des Nachrichtenmagazins "Focus" mehrfach untersucht worden ist. Davon war ich einmal betroffen. Und ich habe dann in einem Gerichtsverfahren in Wiesbaden vor dem Landgericht auch überforderte Richter kennen gelernt, die allen Ernstes den Wert des Informantenschutzes in Frage gestellt haben und sogar mit Festnahme und Haft gedroht haben, nicht erkennend, dass dieser Informantenschutz eines der wichtigsten und höchsten Güter im Journalismus überhaupt ist. Wenn man Informanten nicht mehr schützen kann und wenn der Staat einen Anspruch erheben kann auf die Veröffentlichung von Informantennamen unter dem Verdacht der Beihilfe zum Geheimnisverrat, dann können wir praktisch unsere Arbeit einstellen. Keine der großen Affären, die im Nachkriegsdeutschland aufgedeckt worden sind, wären ohne auch journalistische Grenzüberschreitungen im Hinblick auf das Amtsverständnis des Staates aufgedeckt worden. Keine einzige wäre aufgedeckt worden. Insofern leben wir in dieser Grauzone und kommen auch für unsere Arbeit nicht ohne diese Grenzverletzung, das sage ich ausdrücklich, aus.

    Meurer: Und auch nicht ohne Scheckbuch zum Beispiel?

    Reitz: Bisweilen nicht ohne Scheckbuch, wobei: Die Hochzeiten des Scheckbuch-Journalismus vorbei sind. Die Hochzeit des Scheckbuch-Journalismus, das war die Zeit unmittelbar nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit, als Stasi-Informanten und Informanten des sowjetischen Geheimdienstes oder des russischen Geheimdienstes Informationen an West-Journalisten gegen Geld feilgeboten haben. Das hat sich mehr oder weniger ausgelaufen. Das war in der Tat zwei, drei Jahre der Fall nach der Wiedervereinigung.

    Meurer: Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Pressefreiheit sprach ich mit Ulrich Reitz, dem Chefredakteur der "WAZ", der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung". Schönen Dank, Herr Reitz und auf Wiederhören.

    Reitz: Danke auch. Tschüss, Herr Meurer.