Donnerstag, 28. März 2024

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We are family!
Ein Hausbesuch bei Martha Wainwright

Mit ihrem neuen Album "Goodnight City" kehrt Martha Wainwright zu ihren Wurzeln zurück. Entstanden ist es in ihrem Haus im Montréaler Stadtteil "Outremont". Nach dem Tod ihrer Mutter Kate McGarrigle zog sie zusammen mit ihrem Ehemann und den beiden Kindern wieder dorthin, wo sie aufgewachsen ist.

Von Dennis Kastrup | 12.11.2016
    Sängerin Martha Wainwright, aufgenommen am Rande der 63. Berlinale in Berlin
    Die kanadische Folk-Pop-Musikerin Martha Wainwright ( imago/Seeliger)
    Herbst in Montréal. Bunte Blätter liegen auf dem Boden. Der schicke Stadtteil "Outremont" präsentiert sich mit den vielen Bäumen in seinen schönsten Farben. Hier wohnt Martha Wainwright. Ihr dreistöckiges Haus ist ruhig gelegen. Über die typisch amerikanische Wendeltreppe davor gelangt man zur Eingangstür im zweiten Stock.
    Im Schlabberlook, mit zerzaustem Haar und Pantoffeln an den Füßen öffnet die Kanadierin die Tür. Die Begrüßung ist freundlich. Man fühlt sich willkommen, genauso wie in ihrer Wohnung. Martha Wainwright serviert Tee im Wohnzimmer.
    Ein großes Klavier dominiert den gemütlichen Raum. Daneben steht der Gitarrenverstärker, mit dem ein Stück auf dem neuen Album entstanden ist. Überall hängen Fotos - oder Bilder, die von ihrer Familie oder Freunden gemalt wurden. Wainwright zeigt auf zwei Bilderrahmen.
    "Diese gerahmten Plattencover an der Wand stammen aus dem Appartement einer Freundin. Dort gab es einen fürchterlichen Brand, der alles zerstört hat – außer diese beiden angekokelten Plattenhüllen. Das waren die beiden einzigen Dinge, die meine Freundin aus dem Feuer retten konnte. Auf dem Cover sieht man meine Mutter und meine Tante Für mich sind das die ausdrucksstärksten Bilder in meinem Leben."
    Haus voller Erinnerungen
    Das Haus atmet die Geschichte der gesamten Familie. Hier hat Martha Wainwright im Alter von 18 Jahren gelebt, bevor sie später nach New York gezogen ist. Seit dem Tod ihrer Mutter Kate McGarrigle wohnt sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern wieder in Montréal. Im obersten Stockwerk hängt eine riesengroße Fotowand, zur Erinnerung an die Mutter, die berühmte Folksängerin:
    "Nach fast 20 Jahren Musikmachen, habe ich akzeptiert: Ich bin wie meine Mutter! Ich wohne in ihrem Haus. Ich singe ihre Songs. Hoffentlich ist diese ganze Vetternwirtschaft dazu gut, das Beste aus dem Leben heraus zu holen. Das Ironische daran ist, dass mir die Beziehung zu meiner Verwandtschaft hilft, mehr ich selbst zu sein. Weil ich aufgehört habe, dagegen anzukämpfen, können sich die Leute mehr mit der Person identifizieren, die ich bin: Martha Wainwright."
    Privater Einblick: Martha Wainwrights privates Arbeitszimmer.
    Privater Einblick: Martha Wainwrights privates Arbeitszimmer. (Deutschlandradio / Dennis Kastrup)
    Natürlich handelt auch das neue Album "Goodnight City" viel von ihrer Familie. Der Titel stammt zum Beispiel von ihrem zweijährigen Sohn Francis Valentine. Er soll die Worte immer kurz vor dem Zubettgehen gesagt haben. Eigentlich meinte er das Kinderbuch "Goodnight New York City", ein Klassiker unter den Eltern Nordamerikas. Doch trotz Familienhintergrund:
    "Dieses Album ist nicht so autobiographisch wie meine vorherigen Alben, auch wenn es mein momentanes Lebensgefühl widerspiegelt. Die Songs über meine Kinder, wie etwa "Francis" und "Franci", sind natürlich sehr autobiographisch. Aber ein Stück wie "Around The Bend", in dem es um Pillen geht, ist eher eine lustige Fantasie. Es ist nicht so, dass ich noch nie in meinem Leben Pillen genommen habe. Der Song handelt auch davon, viel Kokain zu schnupfen, was ich ebenfalls getan habe, aber es ging dennoch eher darum, der Vorstellungskraft freien Lauf zu lassen."
    Breite Unterstützung
    Unterstützt wurde Martha Wainwright dabei musikalisch von ihrem Bruder Rufus Wainwright, ihrer Tante Anna McGarrigle oder auch Merryl Garbus von der Indieband Tune Yards. Den Text zum Song "Piano Music" schrieb Michael Ondaatje, Autor des Bestsellers "Der englische Patient".
    "Ich habe diese Angewohnheit, immer wieder mit denselben Leuten zu arbeiten, meiner musikalischen Familie. Dazu zählen auch Glen Hansard und Beth Orton, mit denen ich schon sehr oft gemeinsam auf der Bühne gestanden habe. Diese Menschen kennen mich einfach sehr gut. Ich dachte mir also, dass sie Songs schreiben können, die meine Person zeigen können. Ich sang sie dann so, als hätte ich sie selbst geschrieben."
    Diese Herangehensweise führte dazu, dass einige der Songs rockiger klingen, als man es von Martha Wainwright gewohnt ist. Man merkt ihrer Stimme an, dass sie sich mit dem Gesang schwer getan hat. Das gibt sie bei einer weiteren Tasse Tee auch zu. Anders ihre eigenen Stücke: Die entstehen meistens in ihrem Büro "up there", also da oben. Dabei schaut sie in Richtung Treppe und schiebt ein wenig nachdenklich hinterher:
    "Ich bin gerade erst 40 geworden und habe vor kurzem ein zweites Kind bekommen. Auf dem Cover sieht man mich, wie ich mit zwei Gesichtern nach vorn und zurück schaue. Dahinter steckt die Idee, etwas zurückzulassen. Man verabschiedet sich von der Verrücktheit der Jugend und tritt hinein in einen erwachseneren Lebensabschnitt."
    Kochen statt zurücklehnen
    Dieser neue Abschnitt beginnt also da, wo sie sich laut eigenen Angaben am wohlsten fühlt: in dem Haus ihrer Mutter. Damit scheint sich für die Musikerin ein Kreis zu schließen. Dieser Gedanke könnte ein romantisches Bild - ganz in der Tradition der Familie McGarrigle / Wainwrights - hervorrufen: das Bild von einer Mutter mit Gitarre und singenden Kindern, Doch Martha Wainwright muss da leider enttäuschen.
    "Ich verbringe viel Zeit mit Kochen. So sehr ich mir auch wünsche, ich würde mich mehr zurücklehnen, eine Tasse Tee trinken oder ein Glas Wein genießen können. So ist es letztlich doch so, dass ich die meiste Zeit vor diesem verdammten Herd verbringe, um das Essen zuzubereiten."