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#WeAreNotGymnastics
Parkour-Community wehrt sich gegen Olympia

Parkour ist mehr als an Wänden hochspringen oder über Geländer balancieren: Parkour ist eine Philosophie - sagen die, die es praktizieren. Jetzt soll die Sportart - wie schon BMX Freestyle und Skateboarden - olympisch werden. Doch die Parkour-Community reagiert mit Widerstand.

Von Sandra Schmidt | 12.11.2017
    Le Parkour in China
    "Für diesen Sport ist ganz wesentlich, dass er nicht wettkampfmäßig betrieben wird", sagt Eugene Minogue, Chef von Parkour UK. (picture-alliance/ dpa / Li Xiang Wh)
    Es begann mit einer Pressemitteilung des Weltturnverbandes FIG im Februar. Dort hieß es, das Exekutivkomitee habe beschlossen, eine neue Disziplin zu entwickeln: Parkour.
    "Nachdem ich FIG-Präsident geworden bin, habe ich nachgeforscht und herausgefunden, dass es keinen internationalen Verband für Parkour gibt. Und dann habe ich gedacht, dass ich die Sportart Parkour entwickeln möchte. Deshalb habe ich entschieden, Parkour in den Weltturnverband aufzunehmen." So erklärt Turn-Präsident Morinari Watanabe den Beginn der Initiative.
    Feindliche Übernahme durch den Weltturnverband?
    Seitdem geht alles sehr schnell: Anfang Mai bewarb sich die FIG um Aufnahme ins olympische Programm von Tokio 2020 und scheiterte. Dann traf Watanabe den Franzosen David Belle, der die Anfänge des Parkour Ende der achtziger Jahre maßgeblich geprägt und sich schon mal mit einer eigenen Organisation vergeblich um olympische Anerkennung bemüht hatte. Ende Mai trat die FIG bereits als Ausrichter eines Parkour-Wettbewerbs im Rahmen eines französischen Extremsportfestivals auf.
    Die Reaktionen in der weltweiten Community ließen nicht lange auf sich warten. Unter den Hashtags #FightTheFIG und #WeAreNotGymnastics füllte sich das Netz mit Statements der Ablehnung, in denen von einem Kapern der Sportart die Rede war.
    Dazu Eugene Minogue, Chef von Parkour UK: "Unserer Community wurde nicht die Möglichkeit gegeben, das Ganze als kollektive internationale Community zu diskutieren und zu entscheiden. Im Moment gibt es hier fachfremde Dritte, die Dinge tun und Entscheidungen über Sportaktivitäten treffen, die nicht die ihren sind, die sie nicht verstehen, und für die sie keinerlei Legitimation haben."
    Protestschreiben - auch aus Deutschland
    Parkour UK existiert seit 2008 und wurde Anfang des Jahres in Großbritannien offiziell als Sportfachverband für Parkour anerkannt. Minogue schrieb eine Reihe von offenen Briefen an die FIG, in denen er ihr die widerrechtliche Aneignung und Übernahme von Parkour vorwirft. Im August wurde mit Parkour Earth ein neuer internationaler Fachverband ins Leben gerufen, und zwar mit dem expliziten Ziel, die Souveränität und Autonomie von Parkour zu schützen. Er zählt bislang allerdings nur sechs Mitgliedsverbände. Gleichwohl solidarisierten sich zahlreiche internationale Parkour-Vereinigungen mit Parkour UK in der Ablehnung des Vorgehens des mächtigen Weltverbandes.
    In Deutschland verfassten mehrere Organisationen gemeinsam ein Protestschreiben an die FIG. Ben Scheffler, Mitunterzeichner und Geschäftsführer von ParkourONE in Berlin: "Für uns war eigentlich wichtig, verschiedene Parteien, auch große Parteien in den Regionen, die dort sehr viel Einfluss haben, zusammenzukriegen und zu sagen: Wenn es um die internationale Verwaltung und die Deutungshoheit von Parkour geht, möchten wir einfach definitiv ein Wörtchen mitreden, weil wir auch letztlich diejenigen sind, die auf die Straße gehen und praktizieren."
    Und genau darum geht es: Deutungshoheit und Definitionsmacht. Um die Frage, wer eigentlich mit welcher Legitimation definieren darf, was Parkour ist. Alfons Hölzl, Präsident des Deutschen Turner-Bundes, zögert nicht, wenn es um eine Definition geht: "Freies Turnen würde ich sagen. Parkour ist in der Tat Turnen."
    "Sehr sehr viele Unterschiede zum Turnen"
    Auf die Frage, was Parkour mit Turnen zu tun hat, sagt Ben Scheffler von ParkourONE: "Sehr wenig. Parkour hat insofern was mit Turnen zu tun, als dass es natürlich gewisse Bewegungsabläufe gibt, wo man, wenn man Turnen sehr gut kennt, vielleicht sagt: Das erkenn’ ich irgendwie wieder. Aber wenn es darum geht, wie wir uns damit auseinandersetzen, Hindernisse zu überwinden, wie groß der mentale Aspekt bei uns ist, die Philosophie, die Werte, die im Hintergrund stehen, denke ich, gibt’s auf jeden Fall sehr sehr viele Unterschiede zum Turnen."
    Die über hundert Millionen Mal angeklickten Parkour-Videoclips haben eins gemeinsam: Das Ganze geschieht im öffentlichen Raum, es gibt weder klar definierte Ziele oder Regeln, noch Sieger. In der reglementierten Versportlichung sehen die Gegner der FIG-Initiative denn auch eine der größten Gefahren. Eugene Minogue:
    "Die ganze Geschichte geht verloren, die Identität, das kulturelle Element, die uneigennützige Herangehensweise in unserem Sport. Für diesen Sport ist ganz wesentlich, dass er nicht wettkampfmäßig betrieben wird, der soziale Nutzen ist enorm groß. Wie wollen nicht, dass das Alles verdeckt wird, weil da irgendwer mit einer Medaille um den Hals auf einem Podium steht."
    IOC-Präsident Bach setzt auf junge Lifestyle-Sportarten
    ParkourONE, das seit 2007 Gruppen in Deutschland und der Schweiz zusammenbindet, und mit seiner Academy laut Scheffler eine der größten Parkour-Schulen weltweit betreibt, ist skeptisch: "Ich denke, es wird langfristig schwierig, zu definieren, was Parkour dann letztlich ist, weil natürlich hinter der FIG und hinter dem internationalen Sport Milliarden stehen, die wir natürlich so nicht zur Verfügung haben, und da kann man nochmal ganz anders Einfluss nehmen."
    Den Turner-Bund fechten solche Bedenken nicht wirklich an. In der vergangenen Woche tagte erstmals die neue Parkour-Kommission, unter Vorsitz von David Belle. Für 2018 wurde eine vierteilige Weltcup-Serie angekündigt, für 2020 die erste FIG Parkour Weltmeisterschaft, und ein Logo hat man sich auch schon ausgedacht. Außerdem wurde eine neue Vollzeitstelle für einen Parkour-Direktor in der Lausanner Zentrale geschaffen. Geld spielt offenbar keine Rolle. Und das Ziel ist klar: Die Olympischen Spiele 2024.
    Morinari Watanabe ist sich offenbar der Unterstützung von ganz oben sicher: "Wichtig ist, dass Parkour sich entwickelt. Und das IOC hat gesagt: Bitte kommt zu den Olympischen Spielen, weil Parkour sehr populär und sehr interessant ist! Also kommt bitte!"
    Parkour passt - wie schon BMX Freestyle und Skateboarden - nur allzu gut in die Vorstellungen von IOC-Präsident Thomas Bach, der mit seiner Agenda 2020 vermehrt auf junge, urbane Action- und Lifestyle-Sportarten setzt. Nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil diesen bislang weder der Mief korrupter Sportverbände anhaftet noch Dopingdiskussionen an der Tagesordnung sind.