Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Web 2.0 - Update für das Internet

20 Jahre lang war das Internet nicht viel mehr als ein simples Computernetzwerk - Web 2.0 erweckt das World Wide Web zum Leben. Neue Techniken verbinden nicht nur Millionen Rechner miteinander, sondern lassen auch Websites eigenständig miteinander kommunizieren und Inhalte austauschen.

Von Thomas Reintjes | 11.03.2007
    " Webmontag, das kennt man vielleicht von früher, so Stammtisch oder so was. Das ist es aber jetzt nicht mehr. Also wir sind hier nicht so ein klassischer Computerstammtisch oder so, sondern hier kommen aus den ganzen Bereichen, Medien, soziale Netzwerke, Technik, haben wir immer Leute da und wir versuchen immer so eine Mischung zu stellen, dass ein bisschen Technik, ein bisschen soziales und so weiter vorhanden ist. "

    Webmontag in Köln. Wer im Web 2.0 aktiv ist, trifft sich hier. Als Entwickler, Programmierer, Designer, Händler oder Blogger. Web 2.0 steht zwar für Online-Vernetzung, aber wer wirklich dazugehört, trifft sich hier, offline, in einer ganz normalen Kölner Kneipe.

    " Es ist halt auch eine Gelegenheit, sich zu treffen. Hier wird halt genetworked, hier treffen sich Leute, hier sieht man mal Gesichter zu etwas. Hier gibt's häufiger auch Blogger, die man kennt, die man liest und hier kann man sie mal anfassen, mit ihnen reden und so weiter. Auf der anderen Seite bietet sich halt im Stile von so einem technischen Stammtisch auch die Gelegenheit, Leute zu treffen, die an den selben Themen arbeiten. "

    Rene Bredlau moderiert den Kölner Webmontag zwar regelmäßig, das heißt aber nicht, das er ihn auch organisiert. Das läuft dann doch ganz im Web-2.0-Stil, nämlich online. In einem so genannten Wiki wird die Veranstaltung organisiert. Ein Wiki, das ist im Prinzip eine Website, die jeder Besucher nach Belieben bearbeiten kann. Das bekannteste Beispiel ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Was früher ein geschlossenes Content Management System war, ist im Web 2.0 ein Wiki, erklärt Tim O'Reilly. Der amerikanische Software-Entwickler und Verlagschef ist Erfinder des Begriffs Web 2.0. Der Webmontag allerdings ist eine Kölner Erfindung - mittlerweile fanden auch schon welche im Silicon Valley statt. Und so schreibt dann einer einen Terminvorschlag ins internationale Webmontags-Wiki, ein anderer hat einen Raum organisiert und stellt die Adresse ins Netz. Drahtloses Internet sei dort vorhanden, aber wer kann einen Videoprojektor mitbringen? Es wird sich jemand finden. So wächst der Webmontag aus der Gemeinschaft heraus. Und dieses Prinzip passt zur Web-2.0-Gemeinde. Dass die Nutzer selbst schaffen, was sie später nutzen wollen, das ist das neue am Internet, Version zwei. Gab es früher zwei Arten von Internetnutzern - die einen publizierten, die anderen besuchten die Seiten, so ist die Vision der Web-2.0-Enthusiasten, dass alle Nutzer auch zum Nutzen des Netzes beitragen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Wikipedia. Die Online-Enzyklopädie, die der Enzyklopædia Britannica und dem Brockhaus ernsthafte Konkurrenz macht, ist aus der Netzgemeinschaft heraus entstanden. Jeder kann etwas dazu beitragen, und sei es nur die Korrektur von Rechtschreibfehlern.

    Gemeinschaftlich und online entstehen auch Fotoalben - etwa auf der Plattform Flickr. Flickr - mittlerweile vom Internet-Urgestein Yahoo übernommen - zählt zu den Pionieren im Web 2.0. Eigentlich als nettes Gimmick zu einem Online-Spiel geplant, verselbstständigte sich die Fotoplattform. Ein Grund für den Erfolg war sicher der Zeitpunkt: Flickr startete als auch Digitalkameras und Kameras in Mobiltelefonen immer größere Verbreitung fanden. Und wenn die Bilder schon digital sind, ist es nur schlüssig, sie auch in ein digitales Album zu stellen. Gründerin Caterina Fake erinnert sich:

    " Die Fotografie hat sich im digitalen Zeitalter extrem verändert. Und die alten Foto-Websites waren eher für die alte Technik gemacht. Da gab es noch den Begriff der Fotoalben und die wurden nur Freunden und Familie zugänglich gemacht. Flickr hatte einen anderen Ansatz. Flickr ist rein digital, ein Kind der digitalen Welt. Zum Beispiel der "Photostream". Der Photostream beinhaltet alle Bilder, die man mit seiner Digitalkamera aufnimmt und von wo auch immer hochlädt. Das ist ein Flow, ein Strom von Fotos, wie ein Tagebuch. Und mit Analogkameras hätte man niemals ein interessantes Schild fotografiert, dass einem auf dem Weg zur Arbeit aufgefallen ist oder man kann sich im Laden nicht zwischen zwei Paar Schuhen entscheiden, fotografiert sie, lädt die Bilder hoch und bekommt sofort ein Feedback. Andere Fotoseiten haben diese Entwicklung nicht widergespiegelt. "

    Flickr war in den Anfängen also ein hoch innovatives Angebot. Das zeigt sich in dem spielerischen Umgang mit den Bildern. So werden die Inhalte auf Flickr nicht mehr in klassische Kategorien sortiert, sondern lose miteinander verknüpft. Das erleichtert auch Querverbindungen. Schnell stolpert man beim Surfen auf der Seite von einem interessanten Hobbyfotografen zum nächsten, klickt sich durch Photostreams und landet in Spezialgruppen, die etwa Fotos von Laternen oder pinkem Weihnachtsschmuck sammeln und darüber diskutieren. Eine Reihe von Neuheiten hat zu dieser innovativen Praxis geführt:

    " Vieles was bei Flickr noch innovativ war, sieht man jetzt überall. Als wir Flickr konzipiert haben, lagen eine Menge Dinge in der Luft. Zum Beispiel sich in sozialen Netzwerken zu verbinden oder Tagging oder Tagwolken. Oder die Möglichkeit etwas aus einer Anwendung heraus direkt in einen Blog zu stellen. Oder die Fotos auf jeder beliebigen Seite einzubinden. All das ist jetzt alltäglich, aber damals war das anders. "

    Zwar haben sich die Konzepte noch nicht überall durchgesetzt, aber viele von Flickrs Innovationen gelten heute als Erkennungsmerkmal von Web-2.0-Seiten. Tagging zum Beispiel. Das bedeutet eigentlich nichts anderes als Verschlagwortung, das trifft es jedoch nur zum Teil. Mit Tags, also Schlagwörtern, wird im Web 2.0 alles versehen: Fotos - eigene oder fremde, Webseiten, Kontakte, Dateien. Das Besondere: Die Tags stammen nicht zwingend vom Urheber der Fotos oder Websites, sondern vor allem von den Nutzern. Webentwickler und Web-2.0-Experte Stefan Mintert hat seine ganz eigenen Erfahrungen damit:

    " Ich habe vor ungefähr drei Jahren nach einem neuen Auto gesucht. Und ich wollte einen Kombi haben. Wenn man sich aber auf die Suche macht nach einem Kombi. Versuchen Sie mal "Kombi" über Google zu suchen. Warum gibt's da keine Kombis? Weil der bei Audi glaube ich Avant heißt, bei BMW heißt er Touring. Und was ich damals gemacht habe, ich habe dann eben recherchiert und ich habe an alle diese Seiten ein Tag drangehängt, ein Label drangehängt, nämlich das Label "Kombi". Das ist erstmal eine Angelegenheit, die nur für mich gilt. Ich erhebe keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Ich finde nun aber all diese Seiten unter dem Begriff Kombi wieder und kann sie einsortieren. Wenn nun weitere Menschen kommen, die das gleiche Verständnis haben wie ich, die die gleiche Sprache haben wie ich, dann sind die aber nun in der Lage, dadurch dass ich den Begriff Kombi drangehängt habe, diese Seite als Kombi-Information zu finden. "

    Doch Tags können noch mehr. So erscheint beim Klick auf ein Tag auf vielen Seiten eine Liste der Elemente, die mit dem jeweiligen Tag versehen wurden. In Tagwolken werden alle Tags dargestellt. Häufige Tags werden dabei größer geschrieben als seltene. Schließlich geht man davon aus, dass die häufigsten Tags auch am meisten gesucht werden.

    Die Nutzer sind es also, die zum einen die Inhalte des Web 2.0 bereitstellen: Fakten bei Wikipedia, Videos bei Youtube, Fotos bei Flickr und persönliche Profile und Kontakte bei Myspace oder Xing. Und die Nutzer sind es auch, die diese Inhalte durch Tags durchsuchbar machen. Klingt, als würde vieles auf die Surfer abgewälzt. Denn schließlich nutzen auch die großen, die bereits Geld verdienen im Web 2.0 den Input der Nutzer. Doch was hat einer davon, der beispielsweise bei Amazon Produkte mit Tags versieht? Doch der Hamburger Programmierer Stefan Mintert sieht die Entwicklung unter dem Aspekt der Demokratisierung:

    " Es wird darüber eben nicht so sein, dass irgendwelche Gremien und Komitees über die Begriffe entscheiden, mit denen wir über Informationen und damit auch über Dinge reden, sondern wir haben hier eine Bewegung von unten. Und das sehe ich vor allen Dingen als den Weg, den das Web in den nächsten fünf Jahren nehmen wird. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. "

    Gerade diese Bewegung von unten ist es, die für viele den Charme des Web 2.0 ausmacht. Denn während es für den einfachen Nutzer viel leichter geworden ist, eigene Inhalte ins Netz zu stellen, so hat sich auch für Entwickler einiges verbessert. Im Vergleich zur ersten Welle des Internet-Hypes ist heute deutlich weniger Kapital erforderlich, um ein interessantes Angebot im WWW zu starten. Eine Blogging-Software auf einem Server zu installieren ist selbst für Laien machbar. Wer ein größeres Projekt startet, kann bei der Programmierung auf Baukastensysteme zurückgreifen, einfache Technik, die Freiräume schafft für Ideen. Kreative brauchen also kein großes Unternehmen oder mächtige Kapitalgeber hinter sich, um mit einer eigenen Plattform oder einem neuartigen Dienst an den Start zu gehen.

    Diese Einfachheit auf beiden Seiten ist allerdings nicht ohne Risiko. Eine schnell zusammengesteckte Anwendung entspricht möglicherweise nicht immer den höchsten Anforderungen an die Datensicherheit. Das wird vor allem deshalb zum Problem, weil viele Web-2.0-Dienste auf persönliche Daten setzen. Daten über die der ursprüngliche Besitzer, also jeder einzelne Nutzer die volle Macht behalten sollte. Was veröffentlicht wird und was nicht, muss jeder selbst steuern können. Leider klappt das nicht immer. So verteilte ein fehlerhafter Flickr-Server in den USA im Februar als privat markierte Bilder öffentlich im Netz. In Deutschland fiel vor allem das Studierendennetzwerk StudiVZ mit Negativschlagzeilen auf. Blogger titelten:

    StudiVZ - ein weiteres Sicherheitsloch für Privatestes
    Superfrischer Privacy-GAU bei StudiVZ
    Deine absolut vollkommen harmlosen Daten bei StudiVZ
    Der Datenschutz-GAU von StudiVZ: Auch geschützte Bilder sind für jeden online ohne einloggen abzurufen
    Liebe StudiVZ Nutzer - Sie verkaufen Euch
    Studivz, Scheunentore und kein Ende


    Die Kampagne gegen StudiVZ schreckte das Verlagshaus Holzbrinck nicht, die Plattform für einen geschätzten Preis von 85 Millionen Euro zu kaufen. Die bisher größte Übernahme eines Web-2.0-Dienstes in Deutschland. International erreichen die Kaufpreise noch ganz andere Sphären: Die Video-Community Youtube ging für 1,65 Milliarden Dollar an den Suchmaschinengiganten Google. Ein stolzer Preis für eine Seite, die bisher nichts produziert als horrende Verluste. Da liegt die Frage nahe, was eigentlich das Potenzial einer Web-2.0-Plattform ist. Neue Technik ist es jedenfalls nicht, meint der Programmierer Stefan Mintert:

    " Ich glaube tatsächlich, es ist keine technische Revolution oder Evolution. Die Dinge, die wir heute im Web sehen, die sind in der Fachliteratur zum Teil seit Jahrzehnten bekannt. Ich bin ein großer Fan davon, alte Texte zum Thema IT zu lesen. 40 Jahre alte Bücher, meinetwegen 50 Jahre alte Artikel. Es gibt einen Artikel, der im Bereich Hypertext, mit dem ja nun auch das Web zu tun hat, sehr bekannt ist, der wurde von einem Menschen namens Bush geschrieben, ungefähr zum Ende des zweiten Weltkriegs. Und er hat einen Artikel geschrieben, der heißt "as we may think". Der ist damals in einer Zeitung erschienen und er beschreibt darin, wie wir in Zukunft mit Information umgehen werden. Das faszinierende an diesem Artikel ist: Er ist außerordentlich konkret. Er nimmt Technik aus jener Zeit, schaut sich die Entwicklung der vergangenen Jahre an und macht eine Extrapolation und zeigt auf: Wenn die Entwicklung so weiter geht, dann werden wir meinetwegen in zehn Jahren in der Lage sein, dass jeder Mensch, die gesamte Literatur der Menschheit mit sich herumtragen kann. Die Technik, die er damals für die Speicherung gesehen hat, das ist der Mikrofilm. Und er hat damals vorhergesagt, es wird eine neue Berufsgruppe geben, die so genannten trail blazer. Ich stelle mir da jemanden vor, der mit einer Machete durch den Dschungel läuft und einen Pfad durch den Dschungel schlägt. Er meinte natürlich den Dschungel der Information. Er hat gesagt, wir brauchen Leute, die Trails dadurch legen. Und der trail blazer, den wir heute haben, ist natürlich Google. Und die Trails, die Bush 1945 beschrieben hat, sind die Links die wir heute haben. Und man lernt aus diesen alten Artikeln, dass die Technik zwar der Impulsgeber sein kann, aber nicht der eigentliche Träger der Revolution oder Evolution oder was auch immer ist. Sondern es kommt immer darauf an, welche Ideen haben die Menschen? Wie wollen sie das neue Medium nutzen? Und von daher bin ich eben auch der Meinung, die Web-2.0-Geschichte ist ganz und gar keine technische Geschichte, also von daher für mich ein ganz klares Nein, nicht die Technik ist hier der auslösende Part. "

    Und tatsächlich: Zwei der Schlüsseltechniken des Web 2.0, RSS und Ajax, sind knapp zehn Jahre alt. Nur hat sie in der Vergangenheit niemand benutzt. Jetzt aber sind Ajax und RSS in Mode und zu einem Markenzeichen des Web-2.0 geworden. RSS wird benutzt, um Neuigkeiten zu verteilen. Ajax erlaubt einer Website eine flexible Kommunikation mit dem Server. So können nur Teile einer Seite nachgeladen werden, die sich verändern. Der kreative Umgang mit diesen Programmiertechniken macht Websites innovativ. Und diese Innovation, meint Google-Vize Marissa Mayer, komme automatisch zustande, wenn man sich an den Bedürfnissen der Nutzer orientiert. Und dann lohne es sich auch, Milliarden in eine Plattform wie Youtube zu investieren:

    " Wenn Sie etwas machen, das eine Menge Nutzer anzieht, das sie jeden Tag benutzen wollen, das zu einem Teil ihres Lebens wird, dann werden Sie einen Weg finden, daraus Gewinn zu ziehen. Entweder weil die Nutzer direkt für den Dienst bezahlen oder weil Sie so viele Nutzer haben, dass die Werbemenschen von selbst auf Sie zukommen. Es gibt also Möglichkeiten, Geld zu verdienen, wenn man massenweise Nutzer hat und etwas elementares anbietet. Also uns ist klar, dass man mit Youtube Geld verdienen kann, dass man mit Myspace Geld verdienen kann. Man sieht ja, dass diese Dienste ziemlich gut darin sind, Nutzer zu gewinnen, zu behalten und auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Das zeigt, was wir uns da an Erlösen versprechen. "

    Die wirklich neuen Geschäftsmodelle werden sich erst noch herauskristallisieren. Diese werden dringend erforderlich, denn wie die Medien, so ändern sich auch deren Konsumenten. Die Zielgruppe atomisiert sich zu kleinsten Interessensgrüppchen. Bisher fällt den Betreibern außer Werbung nicht viel ein. Flickr zeigt, wie es gehen könnte: Die Amerikaner veröffentlichen neuerdings Statistiken darüber, mit welchem Handy und welcher Kamera die meisten Bilder auf die Flickr-Server geladen werden. Daten, für die Geräte-Hersteller sicher auch bezahlen würden. Doch nicht ohne Grund sind Myspace, Youtube und Co bisher sehr zurückhaltend, was Anzeigen auf ihren Plattformen oder Datenhandel angeht. Denn von heute auf morgen könnte die wertvolle Nutzermasse ihren Unmut darüber äußern, indem sie ganz einfach zur zahlreich vorhandenen Konkurrenz wechselt. Das gleiche gilt, wenn die Entwickler hinter diesen Diensten den Kontakt zu ihrer Klientel verlieren. Dann wird rasch ein anderer eine neue Funktion anbieten, die für die Nutzer Grund genug für einen Anbieterwechsel ist. Auf diese Weise gewinnen die Nutzer also ein gutes Stück ihrer Macht zurück, das sie mit dem Zur-Verfügung-stellen ihrer Daten aufgegeben haben.

    Die Macht der Masse - ein weiteres Steckenpferd des Web 2.0. Lieber redet man in der Szene von der Weisheit der Massen. Soll heißen: Die Gemeinschaft ist immer schlauer als der einzelne. In gewissen Grenzen lässt sich dies sogar belegen. Der Gelehrte Francis Galton ließ fast 800 Menschen das Gewicht eines Ochsen schätzen. Der Mittelwert lag um nur ein Pfund daneben. Und keine der Einzelschätzungen war besser. Der verblüffte Brite veröffentlichte das Ergebnis vor 100 Jahren in der Zeitschrift Nature. Soweit die Fakten. Ob sich dies aber auch auf andere Bereiche übertragen lässt? Verfügt die Gemeinschaft der Internetnutzer über lexikalisches Wissen? Das Onlinelexikon Wikipedia scheint dies zu belegen. Können viele Hobbyredakteure Nachrichten besser sortieren als ein einzelner Fachmann? Nachrichtenportale wie digg.com wollen den Beweis antreten. Nutzer geben hier ein, was sie für neu und relevant halten, andere bewerten die Nachrichten. Die Top-Meldungen landen schließlich auf der Startseite - eine Auswahl, die sich durchaus sehen lassen kann. Genauso eben wie viele der weit mehr als 500.000 enzyklopädischen Artikel in der deutschen Wikipedia.

    Doch hier scheint man sich der uneingeschränkten Weisheit der Massen nicht mehr so sicher zu sein. Deshalb sorgte es auch für einigen Wirbel, als Gründer Jimmy Wales ankündigte, dass es so genannte stabile Versionen von Artikeln geben soll. Also Artikel, die von einem Lektor geprüft wurden. Ein klarer Bruch mit dem klassischen Wiki-Prinzip der Korrektur durchs Kollektiv. Der Weisheit der Massen ist eben nur bis zu einem bestimmten Punkt über den Weg zu trauen. Denn die Masse ist anonym - niemand, der am Ende dafür bürgt, dass legitim ist, was die Masse entscheidet. Wer weiß schon, welches Video bei Youtube durch Urheberrechte geschützt ist?

    Das Web 2.0 beginnt, sich aus einer Nische heraus zum Massenphänomen zu entwickeln. Der Franzose Loic LeMeur beschäftigt sich bei dem Software-Unternehmen Sixapart beruflich mit Blogs und ist selbst Autor eines Online-Tagebuchs. Er beschreibt, wie die neuen Möglichkeiten den Umgang jedes einzelnen mit dem Internet verändern können:

    " Wir bewegen uns von den Massenmedien hin zu einem Medium der Massen. Also von ein paar Leuten, die massenweise Menschen erreichen können hin zu einem System, in dem sich jeder mit jedem verknüpfen, verlinken kann und seine Sicht der Dinge verbreiten kann. Durch die heutige starke Vernetzung war es nie so einfach, Menschen mit gleichen Interessen zu finden. Es wird eine Kommunikation von vielen zu vielen geben. "

    Diese zunehmende Kommunikation der Nutzer untereinander wird noch unterstützt durch die Kommunikation der Websites untereinander. Denn im Web 2.0 werden auch den Servern, auf denen verschiedene Websites liegen, Möglichkeiten gegeben, eigenständig miteinander Informationen auszutauschen. Eine dieser Möglichkeiten ist RSS. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als eine kleine Datei mit Überschriften und Anreißern mit Link zum dazugehörigen Artikel. Diese Liste wird ständig aktuell gehalten und lässt sich in andere Webseiten einbinden. So ist es problemlos möglich, beispielsweise aktuelle Börsenkurse von einer Finanzseite nahtlos in die eigene Homepage zu integrieren. Gleiches gilt für Veranstaltungshinweise in Lübeck oder die neuesten Fotos von Lanzarote. Solche so genannten Feeds im RSS- oder im Konkurrenz-Format Atom sind nicht nur leicht zu empfangen, sondern ebenso leicht zu verbreiten.

    Für den Austausch komplexerer und dynamischerer Daten dagegen sind diese Techniken kaum geeignet. Websitebetreiber, die wollen, dass fremde Websites selbstständig mit dem eigenen Server kommunizieren können, bieten deshalb eine offene Schnittstelle an. Der Kölner Web-2.0-Gründer Stefan Kellner:

    " APIs gibt's in verschiedenen Formen. Im Web spricht man meistens davon, dass ein Service zusätzlich zu der Schnittstelle, die der User im Browser bedient, also zu der normalen Benutzerschnittstelle noch eine andere Schnittstelle darstellt, mit der Leute, die Software schreiben, das gleiche tun können wie ein Benutzer, der die Website bedient. Und die APIs machen nichts anderes als es anderen Leuten zu ermöglichen, das System zu benutzen. Das hat einen sehr, sehr interessanten Aspekt, weil das halt dazu führt, dass andere Softwareentwickler, die nicht mit dem Service irgendwie verbandelt sind, die Möglichkeit haben, Dinge zu machen, an die der eigentliche Betreiber nicht gedacht hat. "

    Eines der verbreitetsten APIs ist das von Google Maps. Die Schnittstelle erlaubt es jedem Webprogrammierer, die Satelliten- und Straßenkarten von Google interaktiv in die eigene Seite einzubinden. Dabei stehen die selben Funktionen zur Verfügung, wie auf der Google-Maps-Seite selbst. Warum aber verteilt das amerikanische Unternehmen die wertvollen Daten gratis im Internet?

    " Es ist uns wichtig, Informationen zugänglich zu machen. Nicht nur durch unsere Suche, sondern auch für Entwickler, die auf Basis unserer Daten etwas bauen möchten. Letztendlich ist das nicht nur für sie, sondern auch für uns eine Chance. Wenn es darum geht, wie man damit Geld verdienen könnte aber auch, wenn man sich fragt, welchen Nutzen man den Usern bietet. Eine der interessantesten Anwendungen der Google-Maps-Schnittstelle ist die Verknüpfung von Immobilienanzeigen mit dem Stadtplan von San Francisco. Man fährt dann mit der Maus über kleine rote Pins in der Karte und ein Bild und der Preis der Wohnung erscheinen. Das ist großartig! Und ein Entwickler konnte das an einem Wochenende programmieren. "

    Mit dieser offenen Strategie und flexiblen Technik haben es Vize-Chefin Marissa Mayer und ihr Unternehmen geschafft, dass Google Maps im Internet sehr weit verbreitet sind.

    Eine gute Basis, um nun ortsbezogene Werbebotschaften in die Karten einzublenden oder gegen Geld die Standorte von Hamburger-Restaurants zu markieren. Für werbefreie Karten müssen in Zukunft vermutlich die User zahlen.

    Bisher steht aber der spielerische Umgang mit den Daten im Vordergrund. Mit den Daten von vielen anderen Diensten lässt sich auf ähnliche Art und Weise hantieren. Kreative führen zwei oder mehr Datenquellen zusammen und lassen daraus etwas neues entstehen. Wie ein Discjockey den Sound, so remixen sie die Daten.

    So kreativ, unterhaltsam und auch nützlich diese so genannten Mashups auch sein mögen, ausgereift scheint diese Idee noch nicht. Denn wer BBC-Nachrichten auf einer Google Map darstellen kann, kann dasselbe noch lange nicht mit den Konkurrenzprodukten etwa von Yahoo oder Microsoft tun. Stefan Kellner, Mit-Gründer der Web-Applikation plazes:

    " Ich glaube, dass die ganzen Einzeldienste, die sich als Bausteine sehen und die sich verbinden wollen und die eine gemeinsame Basis schaffen wollen, dass die sich sehr sehr anstrengen müssen, gemeinsame Standards zu schaffen. Standards heißt also, dass es für mich keinen Unterschied mehr macht, ob ich jetzt meine verschiedenen Bausteine bei verschiedenen Betreibern zusammenbaue oder ob ich zu einem einzelnen gehe. Ich persönlich bin nie so ein großer Freund von Monopolen gewesen oder von ausgeliefert sein. "

    So austauschbar, dynamisch und flexibel ist das Web 2.0 dann nämlich doch nicht. Und ob die großen Player daran interessiert sind, das zu ändern, darf bezweifelt werden. Denn für sie geht es schließlich darum, die einmal gewonnenen Nutzer zu behalten. Da darf der Wechsel von Google Mail zu Yahoo Mail oder umgekehrt von Yahoos Fotoseite Flickr zu Googles Picasa dem Nutzer nicht allzu leicht gemacht werden.

    Während sich immer mehr Dienste aus der Offline-Welt oder von der Festplatte des Computers in das Internet und den Browser verlagern, stellt sich aber ein viel dringenderes Problem. Mit der wachsenden Vielzahl der Services multipliziert es sich nur noch. Stefan Kellner:

    " Die größte Baustelle ist die Identität. Es gibt Web 2.0 und es gibt verschiedene Services und ich hab bei jedem Service einen eigenen Account. Bei jedem Service muss ich meine Benutzerdaten eintragen und habe jetzt wahrscheinlich 500 verschiedene Passwörter und Usernamen. Und was fehlt ist die so genannte Identity 2.0, also ein Identitätsmanagement. Das ist der große, große Baustein, und da weiß keiner genau, wie machen wir das eigentlich. Google macht's mit allen seinen Services. Wenn ich einmal einen Google-Account habe, dann kann ich alle diese Services mit dem Google Account benutzen. Aber das ist halt auch wieder nur ein Google-Account. Und das ist für mich die ganz, ganz große offene Frage: Wird es irgendwann mal eine Identität geben, die unabhängig von irgend einem kommerziellen Service oder von irgendeiner Organisation meine Daten zentral verwaltet, die mich identifiziert und die ich dazu benutzen kann, mich bei anderen Services zu identifizieren? "

    Wer das allerdings leisten könnte, kann niemand sagen. Denn schließlich müsste dieser Identitätsverwaltung von allen Seiten uneingeschränktes Vertrauen entgegen gebracht werden.

    Was schon recht bald vom Web 2.0 aus der kleinen Szene-Nische heraus an die breite Masse gelangen wird, das ist, was flapsig mitunter auch das Mitmach-Web genannt wird. Gemeint ist, dass sich Internetnutzer eben nicht länger nur Seiten anschauen, die von anderen bereitgestellt werden. Stattdessen werden Internetnutzer in Zukunft an immer mehr Stellen im Netz Gelegenheit bekommen, selbst zu der Vielfalt des Internets beizutragen. Es zeichnet sich ab, dass immer mehr Anwendungen vom Computer ins Netz wandern und so überall verfügbar sind. So gibt es bereits zum Teil bescheidene, zum Teil auch recht ausgereifte Programme für Texterstellung, Tabellenkalkulation und sogar Bild- und Videobearbeitung, die rein im Browser ablaufen. Für die eher ferne Zukunft prophezeien Visionäre eine Art Online-Betriebssystem, das Computer ohne Netzzugang sinnlos werden ließe. Ist das dann Web 3.0? Loic LeMeur, inzwischen Europachef des britischen Blog-Software-Herstellers Sixapart:

    " Ich denke, irgendwann werden wir einfach nicht mehr darüber reden. Also, wir werden Web 3.0 erreichen, wenn wir nicht mehr darüber reden, weil es überall sein wird. Reden Sie noch viel über E-Mail? Weil es normal geworden ist. Wir werden diesen Meilenstein erreicht haben, wenn wir nicht mehr drüber reden. In unserer Software kommt das Wort Blog gar nicht vor, denn es ist klar, dass es verschwinden wird. "

    Web 2.0 - was alles damit zusammenhängt, kann nur eine Momentaufnahme sein. Blogs, Podcasts, RSS-Newsfeeds, Tags oder leicht bedienbare Online-Applikationen dank Ajax-Programmierung - all das wird nach dem Web 2.0 nicht der Rede wert sein. Der Umgang damit wird Normalität. Und mit der häufiger werdenden Frage nach Geschäftsmodellen, werden auch viele der spielerischen Anwendungen wieder verschwinden. Dennoch sind sie heute wichtig, um herauszufinden, was sich eigentlich alles machen lässt, wenn Online- und Offline-Welt immer stärker miteinander verschmelzen. Das Spiel bringt Neues hervor, das von Dauer sein wird. Wie die Fotoseite Flickr, die eigentlich nur als Zusatzfunktion eines Online-Spiels geplant war.