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Wechselwirkung zwischen den Kulturen

Seit dem 15. Jahrhundert wurden aus Venedig kostbare Stoffe an die Sultane im Palast Topkapi Sarail geliefert. Heute ist der Palast ein Museum: Eine Ausstellung über Venedig und Istanbul gibt Einblicke in die Wechselwirkungen der beiden Kulturen.

Von Sabine Küper-Büsch | 26.11.2011
    Istanbul und Venedig sind zwei Metropolen, die stellvertretend für die Kultur von Orient und Okzident stehen. Rund ein Jahrtausend lang war die Republik Venedig eine der größten europäischen Städte, bis ihre Selbstständigkeit 1797 endete. Wirtschaftlich war die Weltstadt an der Adria jahrhundertelang der Knotenpunkt zwischen Westeuropa und dem östlichen Mittelmeer. Die Stadt profitierte vom Handel mit Luxuswaren. Grossabnehmer waren die Osmanen am Bosporus. Die osmanischen Sultane residierten im Topkapi Sarail. Heute ist der Palast ein Museum und gehört zum Weltkulturerbe. Bis Januar beherbergt er die Ausstellung Venedig und Istanbul, fantastische Beziehungen rund um den Stoff. Zu sehen sind Brokat, Damast und Samtstoffe aus Venedig und osmanische Sarail-Bekleidung aus diesen erlesenen Stoffen. Seit dem 15. Jahrhundert gehörten die Produkte venezianischer Webkunst zu den festen Bestandteilen osmanischer Mode, erläutert Kuratorin Sibel Arca vom Topkapi Sarail Museum.

    In der Sammlung des Topkapi Sarails gibt es zahlreiche Kaftane und Pumphosen aus Stoffen, die in Venedig gewebt wurden. Sie wurden speziell für den osmanischen Hof produziert und zeigten osmanische Motive.

    Am osmanischen Hof trugen die Sultane über langen Pumphosen prachtvolle Kaftane. Das sind knielange Hemden, die über den Hüften gegürtet werden. In Venedig entstand ein ganzer Industriezweig mit Webereien, die orientalische Muster webten. Tulpenmotive und Ornamente in Karminrot, azurblau, Ockergelb, leuchtend grün und strahlendem Gold. Über die Jahrhunderte beeinflussten sich die Designstile in Venedig und Istanbul gegenseitig unterstreicht die Topkapi-Sarail-Kuratorin Sibel Arca.

    In Venedig wurden dann Stoffe mit orientalischen Motiven, die sich aber nach dem venezianischen Geschmack richteten, hergestellt. Es gab eine Wechselwirkung zwischen den Kulturen innerhalb dieses Handels.

    Diese Einflüsse beider Kulturkreise aufeinander reichen weit über das Stoffdesign hinaus. Trotz des islamischen Bilderverbotes luden die osmanischen Herrscher etwa berühmte Renaissance-Maler wie Tizian, Tintoretto und Bellini nach Istanbul ein, um sich portraitieren zu lassen. Gentile Bellini malte bereits 1480 Mehmed den Zweiten, den Sultan, der 27 Jahre zuvor Istanbul von den Byzantinern erobert hatte. Das Gemälde entstand anlässlich des Friedensabkommens zwischen der Regierung Venedig und dem Sultan. Das war der Auftakt einer ertragreichen Freundschaft unterstreicht Ilber Ortayli, Direktor des Topkapi Sarail Museums.

    Die Türken und die Venetianer haben es immer verstanden gute und profitable Beziehungen zu unterhalten. Der Reichtum der venezianischen Künste wurde mit osmanischen Motiven verwoben.

    Ebenso unentbehrlich wie die venezianischen Stoffe für den osmanischen Hof wurden, waren auch die Orientteppiche aus den Palazzi in Venedig nicht mehr wegzudenken. Der deutsche Kunsthistoriker Wilhelm von Bode entwickelte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Theorie, dass die Farben der italienischen Malerei von den Farben der Orientteppiche beeinflusst wurden. Denn die Bilder sollten farblich zum Bodenbelag in den Patrizierhäusern passen.

    Der Istanbuler Schriftsteller Mario Levi stammt aus seiner jüdisch-sephardischen Familie, die vor der Inquisition in Spanien in das Osmanische Reich floh. Für ihn ist Venedig die orientalischste Stadt Europase und Istanbul die europäischste Metropole des Orients.

    Wenn man durch Venedig läuft, kann man spüren, das vor Jahrhunderten andere Menschen hier gelebt und ihre Spuren hinterlassen haben. Sie kamen aus unterschiedlichsten Ländern. Genau so ist es in Istanbul. Die Multikulturalität ist das Herz dieser Metropolen.

    Der Künstler Hüseyin Alptekin holte für die Istanbul-Biennale 2005 die Replikas der Quadriga der Markuskathedrale in Venedig nach Istanbul. Es wollte mit dieser Aktion daran erinnern, dass die Pferde ursprünglich eigentlich auf dem Istanbuler Hippodrom gestanden hatten. Sie wurden während des vierten Kreuzzug vom Dogen Enrico Dondollo als Beute von den Byzantinern geraubt und nach Venedig transportiert. Für Alptekin waren die Pferdeskulpturen so etwas wie die visuelle Erzählung einer gemeinsamen Geschichte. Venedig und Istanbul, Europa und die Türkei haben sich zivilisatorisch und kulturell immer beeinflusst.