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Weg mit dem "Doktor"-Zusatz in den Medien

Der Doktortitel als erste Krönung einer Wissenschaftskarriere ist offenbar zu reizvoll für manche: siehe den Fall Guttenberg. Neben den Hochschulen können auch die Medien, die gerne das Fachwissen eines "Doktors" abrufen, hier gegensteuern.

Von Thomas Wagner | 17.11.2011
    "Ich hab' nur Zitate gelesen, die gesagt haben: Meine Güte, da lachen alle, wenn ich sage, ich komme von der Uni Bayreuth, ich hab da promoviert. Ach – Du bist ja so eine Art Guttenberg, hieß es dann."

    Jeanne Rubner schreibt als Redakteurin der "Süddeutschen Zeitung" über Wissenschaftsthemen und Bildungspolitik. Ganz bewusst war sie vom Physikalischen Institut der Universität Freiburg als Referentin zu einer "Nachbetrachtung zum Fall Guttenberg" eingeladen worden. Den sehen Medien nämlich teilweise anders als die Hochschulen. Das zeigt sich schon daran, dass Journalisten wie Jeanne Rubner eigentlich nachhaltigere Reaktionen vom Wissenschaftsbetrieb erwartet hätten.

    "Ich fand die Hochschulen und den gesamten Wissenschaftsbetrieb viel zu defensiv. Erst gab es ja viele Reaktionen, die sagten: Das kann bei uns nicht passieren. Oder: Der ist ein Betrüger. Der hat die Universität verseucht, infiltriert. Dass man sich selbstkritisch gefragt hätte: Wie konnte das passieren? Wie konnte es geschehen, dass ein Doktorvater eine halb abgeschriebene Arbeit mit der Bestnote bewertet? Das habe ich tatsächlich vermisst von den Hochschulen, aber auch von den Wissenschaftsorganisationen. Also da hätte ich mir eine klare Botschaft gewünscht."

    Doch klare Botschaften sind häufig nicht das Ding der Wissenschaft, sondern eher der Medien – und das zeigt der Fall Guttenberg nur allzu gut: Wissenschaftliche Texte sind ausführlicher, verklausulierter, wiegen sorgsam das Für und Wider einer Fragestellung ab – häufig das Gegenteil von klaren Botschaften. Journalistische Texte dagegen spitzen gerne Sachverhalte zu. Das weisen viele Professoren als unwissenschaftlich zurück. Möglicherweise, so hieß es gestern Abend in Freiburg, war dies mit Grund für das anfängliche Schweigen des Wissenschaftsbetriebes. Doch war das, was dann folgte, nicht Empörung genug? Immerhin hatten sich Professoren und Doktoranden in Unterschriftenaktionen entschieden gegen die Betrachtung der Plagiatsaffäre als eine Art Kavaliersdelikt ausgesprochen.

    "Ich finde diesen Teil des Wissenschaftsbetriebes sehr gut insofern, als dass sich der Wissenschaftsbetrieb dagegen gewehrt hat, dass das als Bagatelle abgewehrt werden sollte, was es mit Sicherheit nicht ist."

    Meint Göz Kaufmann, Akademischer Rat im Fach Germanistische Linguistik der Universität Freiburg. Doch bei der Empörung blieb es nicht. In den Hochschulen und Wissenschaftsverbänden folgten Diskussionen über mögliche Strukturreformen des Promotionsrechts; der Deutsche Wissenschaftsrat veröffentlichte dazu ein Gutachten. Darin stellen die Experten die Frage, ob über 20.000 Promotionen pro Jahr in Deutschland nicht ein wenig zu viel seien. Und ob der klassische Doktorvater als Betreuer der Arbeit nicht gleich durch eine ganze Promotionskommission ersetzt werden soll – mit einem viel intensiveren und regelmäßigeren Betreuungsangebot für die Doktoranden. Das vermindert die Gefahr des Abschreibens ganz ungemein, da die Betreuer im Dialog mit dem Doktoranden erkennen, ob der sich tatsächlich mit dem Thema beschäftigt. Andere Länder setzen viel stärker als Deutschland auf ständige Betreuung der Doktoranden – England beispielsweise, aber auch Brasilien. Dort hat der Germanist Göz Kaufmann zehn Jahre lang gearbeitet.

    "Also die Betreuung ist sehr, sehr intensiv, was im Endeffekt auch zum Problem werden kann, weil im Endeffekt sehr viel Arbeit des Betreuers mit in der Doktorarbeit stecken kann. Aber es ist völlig klar, dass der Betreuer nicht begutachten kann und dass externe Gutachter dabei sind, also von anderen Universitäten."

    Diese Trennung zwischen Betreuer und Gutachter besteht in Deutschland aber nicht. Möglicherweise, so hieß es gestern in Freiburg, war dies mit Grund dafür, dass Guttenbergs Doktorvater seinem Zögling auch noch ein erstklassiges "Summa cum laude" ausstellte. Der Fall zeigt noch ein weiteres: Doktortitel haben in Deutschland nicht nur die Funktion eines wissenschaftlichen Gütesiegels. Doktortitel sind vielmehr der Schlüssel zu gesellschaftlichem Prestige und Aufstieg. Tobias Rave, Doktorand der Physik an der Uni Freiburg, spricht in diesem Zusammenhang gerne von Karriere-Promotionen.

    "Karriere-Promotionen sind in meinen Augen diejenigen, die nebenher, neben ihrer beruflichen Karriere, denken, dass es das gesellschaftliche Standing dieses Titels so hoch ist, dass sie glauben, es könnte für sie nützlich sein, diesen Titel zu führen. Der Doktortitel ist eine Stufe des gesellschaftlichen Aufstieges. Durch diesen Doktortitel kommt man in die Wahrnehmung hinein, dass man sich von der breiten Masse abhebt."

    Was mit dem Ehrgeiz, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu präsentieren, kaum mehr etwas zu tun hat. Und gerade wenn der Doktortitel nur als Schlüssel zu gesellschaftlichem Aufstieg verstanden werde, stellt dies nach Ansicht von Tobias Rave eine Gefahr dar:

    "Da hat uns die Diskussion ja auch ein wenig hingeführt: Wenn ich meinen Doktortitel teilweise nur aus materiellen Gründen mache, liegt es natürlich nahe, dass man eine Abkürzung nimmt, wenn sie einem offensteht."

    Deshalb der überraschende Wunsch der Wissenschaft an die Medien, in Artikeln und Beiträgen lieber auf die Nennung von Doktortiteln zu verzichten. Vielleicht, hieß es gestern, werde dadurch die Funktion des Doktors als wissenschaftlicher Qualifikationsnachweis wieder aufgewertet.

    "Ob das an meinem Klingelschild steht, ist überhaupt nicht relevant. Ich glaube vielmehr, dass es schlecht ist für unsere Gesellschaft, wenn wir uns zu sehr an diesen Titeln aufhängen."