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Weg nach Europa

Ceuta und Melilla, zwei spanische Gebiete an der Küste Nordafrikas, sind für viele Flüchtlinge das Tor nach Europa. Wer es hierher geschafft hat, so die Hoffnung, der wird es auch weiter nach Norden und damit in ein besseres Leben schaffen. Aber wer diesen Weg einschlägt, der muss hohe Doppelzäune mit Stacheldraht, Kameras und Flutlicht überwinden. Kein Grenzgänger bleibt da unentdeckt.

Von Oliver Glaap | 06.01.2006
    Es gibt einen Weg von Afrika nach Europa, der kürzer ist als alle anderen. Es ist der Weg über Ceuta und Melilla - zwei spanische Gebiete an der nordafrikanischen Küste, umgeben von marokkanischem Territorium. Melilla wurde 1497 von den Spaniern erobert, Ceuta war zunächst eine Eroberung der Portugiesen und kam etwas später, im Jahre 1580, zu Spanien.

    In Ceuta und Melilla leben jeweils um die 70.000 Einwohner. Sie sind spanische Staatsbürger, stammen aber aus den unterschiedlichsten Regionen und Kulturen. Ein großer Teil von ihnen sind Muslime, einige siedelten im Laufe der Zeit von Marokko aus über. Die beiden Städte sind Militärstützpunkte und leben zum größten Teil vom Handel mit Marokko, aber auch von Schmuggelgeschäften und vom Drogenhandel. Und: Sie sind eben nicht zuletzt Schnittstellen zwischen zwei Kontinenten. Wer von Afrika aus den Sprung nach Ceuta und Melilla geschafft hat, der ist von einem Moment zum anderen auf dem Gebiet der Europäischen Union. Und so sind Ceuta und Melilla zum Ziel unzähliger Flüchtlinge aus Afrika geworden, die illegal nach Europa wollen.

    Aber wer diesen Weg einschlägt, der muss hohe Doppelzäune mit Stacheldraht, Kameras und Flutlicht überwinden. Kein Grenzgänger bleibt da unentdeckt. Und so haben die Illegalen nur die Chance, zu Hunderten den Zaun zu stürmen und die Grenzbeamten mit ihrem Massenansturm schlicht zu überrumpeln. Im Schutz der Dunkelheit rücken sie an mit selbst gebastelten Leitern und riskieren dabei Kopf und Kragen. Joseph ist einer von denen, die es geschafft haben.

    "Ich hatte große Angst. Vor der marokkanischen Polizei. Vor der spanischen Grenzpolizei und vor dem Zaun. Denn als wir darüber stiegen, gab es viele Verletzte."

    Und doch gehen viele das Risiko ein. Denn andere Wege von Afrika nach Europa sind erheblich länger und nicht weniger gefährlich. Sie führen übers Meer, sei es das kurze Stück über die Meerenge von Gibraltar zur Südküste Andalusiens, sei es das sehr viel längere von der westafrikanischen Küste zu den Kanarischen Inseln. Woche um Woche, Tag um Tag kommen zahllose Flüchtlinge übers Meer, in Booten, die hoffnungslos überfüllt und zum Teil gar nicht seetüchtig sind. Doch den Schlepperbanden, die für eine Überfahrt pro Person gut und gerne 1000 Euro verlangen, scheint das egal zu sein, erzählt Osman, ein junger Mann aus Gambia.

    "Die erzählen dir nicht die Wahrheit. Die sagen: 'Steig erst mal in das kleine Boot, weiter draußen wartet ein großes Schiff.' Das war eine Lüge. Wenn ich das gewusst hätte! Auf so einem kleinen Boot hätte ich doch nicht mein Leben riskiert. Dann wäre ich lieber nicht gekommen."

    Immer wieder werden ertrunkene Immigranten an Spaniens Küsten angeschwemmt. Vor allem im Sommer, wenn das Wetter günstiger erscheint für die nächtliche Überfahrt, die aber trotzdem immer lebensgefährlich ist. Und da keiner den Flüchtlingen zuvor einen Wetterbericht übermittelt, sind sie auch den Stürmen hilflos ausgeliefert. Der Delta-Sturm zum Beispiel, der Ende November über die Kanaren hinwegfegte, kostete mindestens sechs von ihnen das Leben.

    Die Polizeiboote der Guardia Civil, der spanischen Grenzschutzpolizei, sind mit Spezialradar ausgerüstet und mit Infrarot-Sichtgeräten. Und so werden die Beamten oft zu Lebensrettern, sofern es ihnen gelingt, die gekenterten Boote rechtzeitig zu erreichen. An manchen Wochenenden greifen spanische Polizeiboote mehr als 300 illegale Immigranten auf.
    Ängstlich, vollkommen durchnässt und am Ende ihrer Kräfte hocken die Überlebenden dicht gedrängt nebeneinander. Unter ihnen auch Frauen und Kinder. Natürlich versuchen die Polizeibeamten herauszubekommen, wer den Illegalen ihre heimliche Überfahrt organisiert hat, erzählt der Einsatzleiter der Polizeistation von Algeciras.

    "Wir haben hier einen geschnappt und ihn gefragt, ob er hier bezahlt hat. Nein, nein, sagte der, ich hab den Mohammed drüben in Marokko bezahlt. Da gibt es Warteschlangen, haben sie uns erzählt. Da heißt es dann: 'Hör mal, du wirst heute Nacht fahren, sei um die und die Zeit an der und der Stelle - heute bist du dran.' Das ist eine eigene Mafia in Marokko, die eng mit einer Mafia hier in Spanien zusammenarbeitet."

    Eine goldene Nase verdienen sich die Schlepper an den illegalen Immigranten, und die Polizei tut sich schwer im Kampf gegen sie, manchmal auch deshalb, weil es schwarze Schafe in den Reihen der Polizei gibt. Das jedenfalls hat einmal ein spanischer Staatssekretär für Einwanderung zugegeben.

    Nun, es gab einige Polizisten, die verhaftet wurden, weil sie in Banden mitarbeiteten, die falsche Papiere besorgten. In Ceuta wurde eine Marokkanerin festgenommen, die im Auffanglager für Einwanderer ein Geschäft für gefälschte Papiere und Scheinehen aufgezogen hatte. Das gibt es in vielen Facetten, da sind Marokkaner und Spanier beteiligt, auch Südamerikaner. Allein in einem Jahr wurden 400 Personen verhaftet, die in diesen Mafias mitgearbeitet haben.

    Schleppermafias, die mit allem möglichen handeln, mit Zigaretten, Alkohol, Benzin und eben auch mit Menschen. Und das nicht nur bei der Fahrt übers Meer, sondern auch auf dem Landweg. Denn die Odyssee der Flüchtlinge beginnt bereits in der afrikanischen Wüste. Es ist ein langer, beschwerlicher und gefahrvoller Weg quer durch Afrika. Von Burkina Faso zum Beispiel über Niger und Algerien bis nach Marokko, bis an die Grenze der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla, dort, wo mitten in Afrika Europa beginnt. Aber für die meisten Flüchtlinge ist es der einzige Weg aus Armut und Unterdrückung.

    Es gibt immer wieder welche, die erzählen, sie seien gefoltert worden, in ihrer Heimat sei Krieg, sie seien eingesperrt gewesen, erzählt Sergio, ein junger Krankenhausarzt im Auffanglager von Ceuta. Wer solche Erlebnisse hinter sich hat, der nimmt offenbar auch in Kauf, sich monatelang in den Wäldern rund um Ceuta und Melilla zu verstecken, um beim Sturm auf die Grenzzäune immer wieder sein Glück zu versuchen. Und sein Leben aufs Spiel zu setzen. Denn beim Sturm auf die Grenzzäune gibt es eben nicht nur Verletzte, sondern immer wieder auch Tote. Die spanische Grenzpolizei setzt nach eigenen Angaben "nur" Gummigeschosse ein. Aber aus kurzer Distanz und je nachdem, wo sie den Körper treffen, können diese Geschosse auch tödlich sein. Viele der Illegalen verletzen sich – manchmal tödlich - am Stacheldraht oder stürzen vom Zaun in die nachdrängende Menge und werden erdrückt. Und im Spätsommer und Herbst kamen mehrere Flüchtlinge auch durch Kugeln ums Leben. Einer von ihnen war der Bruder von Mary Magdalene Abunu aus Kamerun.

    "Mein älterer Bruder wurde von der spanischen Grenzpolizei brutal getötet mit einem Gewehr oder, wie sie sagen, mit einem Bajonett, jedenfalls mit einer Waffe. Und er wurde bereits nach Marokko zurückgebracht, war nicht mehr auf dem Weg in spanisches Gebiet."

    Mary-Magdalene Abunu muss sich sehr zusammennehmen, um nicht in Tränen auszubrechen, als sie Monate später darüber berichtet. Die junge Frau aus Kamerun sitzt auf dem Podium, umgeben von Mitarbeitern der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Den Blick unverwandt auf die versammelten Journalisten gerichtet, erzählt sie vom Tod ihres Bruders am Grenzzaun von Melilla. Und dass sie auf ein persönliches Wort der spanischen Regierung immer noch vergeblich wartet.

    "Bisher hat meine Familie nichts bekommen. Nicht einmal eine Entschuldigung. Aber ich finde: Wir alle sind doch Menschen."

    Wenn 500 Immigranten die Grenze stürmen, dann kommen etwa 100 von ihnen durch – das ist die Faustregel.

    "Sie kommen hierher – übermüdet, durchgefroren und verletzt –, aber sehr glücklich, dass sie es geschafft haben. Sie sind in Spanien."
    So eine freiwillige Helferin über die Ankömmlinge. Inzwischen aber haben die marokkanischen Behörden angefangen, die Wälder rund um Melilla zu roden, und die spanischen Behörden wollen eine zusätzliche Barriere bauen. Eine Art Labyrinth aus Stahlseilen, das umso undurchdringlicher sei, je mehr Menschen versuchen, hindurch zu kommen. Die Chancen, den Grenzzaun zu überwinden, schwinden so mit jedem Tag.

    "Ich bin sehr glücklich, dass ich mit Gottes Hilfe jetzt hier bin"

    , sagt Joseph und blickt auf seine vom Stacheldraht zerkratzten Handflächen. Hier – das bedeutet im Centro de Estancia Temporal de Inmigrantes, kurz CETI. So heißt das Durchgangslager von Ceuta. Hilfsorganisationen schätzen, dass das Lager ständig mit mindestens 200 Personen überbelegt ist. Eine Schätzung wohlgemerkt aus der Zeit vor den großen Massenanstürmen des vergangenen Herbstes. In den überfüllten Auffanglagern dürfen die Flüchtlinge nur 40 Tage bleiben. Danach werden sie freigelassen und sitzen dann rechtlich zwischen allen Stühlen.

    "Ohne Aufenthaltserlaubnis und mit einem Abschiebebefehl, der praktisch nicht umsetzbar ist","

    so beschreibt Rechtsanwalt Alejandro Romero vom Spanischen Komitee für Flüchtlingshilfe die Situation der Illegalen. Denn der Versuch, sie in ihre Herkunftsländer abzuschieben, ist oft zum Scheitern verurteilt, entweder, weil es keine Abschiebeabkommen gibt, oder, weil die Immigranten keine Papiere und somit keine Herkunftsnachweise bei sich haben. Viele von ihnen gehen nach ihrer Freilassung zum Roten Kreuz, wo sie ein Bett und ein paar Mahlzeiten bekommen, aber ansonsten selbst sehen müssen, wie sie über die Runden kommen. Und damit fangen die Probleme erst an, meint Emilio Carrera, der Verwaltungschef der Exklave Ceuta.

    ""Wenn jemand in einen öffentlichen Park kommt, dann kann er sich nicht setzen, weil der Park voll ist. Weil alle Bänke von Immigranten besetzt sind. Das soll nicht heißen, dass die Immigranten kein Recht hätten, diese Bänke zu benutzen, sondern es zeigt, dass die öffentlichen Systeme mit dem Problem überfordert sind."

    Bei solchen ständigen Engpässen ist es kein Wunder, dass die Flüchtlingsanstürme des vergangenen Herbstes endgültig nicht mehr zu verkraften waren. In Ceuta, Melilla und ganz Spanien wuchs der Zorn auf das Transitland Marokko, denn die Razzien der marokkanischen Polizei in den Wäldern um Ceuta und Melilla sind zwar bei den Flüchtlingen gefürchtet, aber andererseits werden viele Flüchtlinge gerade dadurch zum Sturm auf die Grenzen getrieben.

    Viel Schuld haben die Marokkaner, ihre Polizei und ihre Regierung, schimpft ein Mann. Und manche Politiker in Spanien argwöhnen, dass die marokkanische Regierung aus den Flüchtlingsproblemen von Ceuta und Melilla politischen Nutzen ziehen wolle, denn Marokko erhebt seit Jahrzehnten Anspruch auf die beiden spanischen Exklaven und könnte nun, so wurde vermutet, stärkeren Druck ausüben. Wie auch immer, die spanische Regierung musste im wahrsten Sinne des Wortes einen Ausweg finden, und der einzige Ausweg, den sie fand, war der Rückweg, der Rückweg über den Zaun. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle kündigte Spaniens stellvertretende Ministerpräsidentin María Teresa Fernández de la Vega somit völlig überraschend an:

    "Es sollen Maßnahmen ergriffen werden zur Rückführung illegaler Immigranten."

    Und zwar Rückführung nach Marokko. Genau dagegen hatte sich die marokkanische Regierung immer gesperrt. Sie nahm ausschließlich marokkanische Illegale zurück, nicht aber Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern. Diese Haltung gab Marokko nun auf, und dadurch schien alles noch schlimmer zu werden.

    "Eine Ausweisung nach Marokko gleicht einem Todesurteil."

    Diese Befürchtung äußerten sofort Sprecher von Menschenrechts-Organisationen, und sie behielten Recht. Denn die marokkanischen Behörden packten Hunderte von Flüchtlingen in Busse, brachten sie bis ins Grenzgebiet nach Algerien und Mauretanien und setzten sie dort einfach ohne Essen und Wasser in der Wüste aus. Wenn die Flüchtlinge Glück hatten, trafen sie auf Teams von Nicht-Regierungs-Organisationen, die dort nach ihnen suchten. Julio Rodriguez, Sprecher der Organisation "Paz Ahora", "Frieden jetzt", berichtete:

    "Es gibt kein Wasser, keine Nahrung. Und von den Betroffenen selbst wissen wir, dass unter diesen schrecklichen Umständen an die zehn Personen gestorben sind: an Hitze, an Hunger, an Durst."

    Die Länder Mali und Senegal zeigten sich als erste Herkunftsländer bereit, ihre Emigranten zurückzunehmen. Die übrigen aber wurden weiterhin mit Handschellen gefesselt in vollbesetzten Bussen von Mellila oder Tanger Richtung Süden gekarrt – meist mit unbekanntem Ziel. Die spanische Regierung wiederum schien schon bald kalte Füße zu bekommen; von weiteren Abschiebungen aus Melilla nach Marokko wurde nichts mehr bekannt.

    Amnesty international warf unterdessen der spanischen und der marokkanischen Regierung Menschenrechtsverletzungen vor, angefangen bei den Toten und Verletzten an den Grenzzäunen. Die Grenzbeamten auf beiden Seiten hätten in übertriebener und unverhältnismäßiger Weise Gewalt angewendet, und dies auch mit tödlichen Waffen. Zu diesem Ergebnis kam eine vierköpfige Delegation von Amnesty, die eine Woche lang in Marokko, Ceuta und Melilla recherchierte. Die Regierungen in Madrid und Rabat hätten zwar selbst Untersuchungen eingeleitet, würden sich aber in erster Linie gegenseitig die Verantwortung für die Toten zuschieben, kritisierte Delegationsleiter Javier Zúñiga.

    Heftige Kritik übte amnesty auch an der Abschiebepraxis der spanischen und der marokkanischen Behörden. Virginia Alvarez, eines der Delegationsmitglieder, sprach in Tanger mit Flüchtlingen. Sie waren im Schnellverfahren von Melilla auf dem Umweg über die Südküste des spanischen Festlandes nach Marokko abgeschoben worden und hätten noch nicht einmal einen Anwalt bekommen.

    "Zu keinem Zeitpunkt wurden ihnen ihre Rechte vorgelesen, zu keinem Zeitpunkt wurden sie über die Verfahrensweise informiert. Ja, schlimmer noch: Man sagte ihnen, dass sie nach Spanien gebracht würden, und sie fanden sich zu ihrer Überraschung in Marokko wieder."

    In Marokko wiederum seien Hunderte von Flüchtlingen, darunter auch Asylbewerber, zunächst in Militärlagern festgehalten, später mit Autobussen in die Wüste deportiert und dort ohne Wasser und Nahrung ausgesetzt worden. So bestätigte die amnesty-Delegation die inzwischen weit verbreiteten Berichte. Und Philip Luther, der für amnesty international auf der marokkanischen Seite ermittelt hat, warf den marokkanischen Behörden juristische Trickserei vor.

    "In ihren Augen wurden die Flüchtlinge nicht festgenommen, sondern "wieder zusammengeführt". Wer so etwas sagt, der spielt mit Worten und spielt zugleich mit den Rechten derer, die am verwundbarsten sind."

    Die amnesty-Delegation forderte Spanien und Marokko auf, die Abschiebungen sofort zu beenden. Der Europäischen Union warf amnesty vor, sich in ihrer Reaktion nur auf schärfere Grenzkontrollen zu konzentrieren. Es sei besorgniserregend, dass die EU überlege, mit Staaten wie dem Kongo oder der Elfenbeinküste zusammenzuarbeiten, wo massiv Menschenrechte verletzt würden.

    All das ändert aber nichts daran, dass die Auffanglager von Ceuta und Melilla längst hoffnungslos überfüllt sind. Länger als 40 Tage darf kein Illegaler dort festgehalten werden. Danach stehen die Immigranten buchstäblich auf der Straße, wenn man sie nicht abschieben kann. Und so ist es schon einige Male vorgekommen, dass die Flüchtlinge kurzerhand aufs spanische Festland geschickt wurden.

    Illegal und zum Teil unter menschenunwürdigen Bedingungen werden sie auf den südspanischen Obst- und Gemüseplantagen beschäftigt und zumeist ausgebeutet. Die Politiker wissen um den Bedarf an Arbeitskräften und versuchen, ihn durch legale Einwanderung zu decken, indem sie mit Marokko und anderen Herkunftsländern jedes Jahr neue Quoten vereinbaren, die sich strikt am Bedarf orientieren. Abkommen, die die Einreise der Immigranten steuern und begrenzen helfen sollen. Aber diese Steuerungsversuche werden, wenn überhaupt, erst langfristig greifen. Gleichwohl, für Spaniens derzeitige sozialistische Regierung gehört die Immigrationspolitik untrennbar zur Arbeitsmarktpolitik. Ob Bauarbeiter oder Erntehelfer, ob Kellner oder Hausangestellte, ohne Immigranten wären all diese Jobs in Spanien nicht zu besetzen. Das sei die Realität in Spanien, sagt die Regierung. Und dementsprechend hat sie im vergangenen Frühjahr versucht, die Rechtslage dieser Realität anzupassen. Mit einer auf drei Monate befristeten Legalisierungsaktion. Eine Aktion, die gezielt bei den arbeitenden Immigranten ansetzte, erklärte Consuelo Rumí, Staatssekretärin für Immigration:

    "Wir wollen, dass sie den gesetzlichen Normen entsprechend arbeiten, mit einem legalen Vertrag und zu den Arbeitsbedingungen, die in dem jeweiligen Sektor üblich sind."

    Die Regierung stellte ihnen drei Bedingungen: Sie mussten sich seit mindestens einem halben Jahr in Spanien aufhalten. Sie durften weder hier noch in ihrer Heimat vorbestraft sein, und sie mussten einen Arbeitsvertrag von mindestens sechs Monaten Laufzeit vorweisen. Insgesamt machten rund 700.000 illegale Immigranten von der Möglichkeit Gebrauch, die Spaniens sozialistische Regierung ihnen eingeräumt hatte. Arbeitsminister Jesús Caldera sprach von einem großen Erfolg.

    "Das ist ohne Zweifel die europaweit größte Aufdeckung von Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft der vergangenen 40 bis 50 Jahren."

    Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter illegal beschäftigen, müssen seit Ablauf der Legalisierungsfrist mit Geldstrafen von 60.000 Euro pro Arbeitnehmer rechnen. Und die illegalen Arbeitnehmer selbst werden abgeschoben und dürfen monate- oder jahrelang nicht mehr nach Spanien einreisen. Aber nicht nur die Opposition, sondern auch mehrere Hilfsorganisationen sehen in der Legalisierungsaktion nicht mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein. Denn auch danach, so schätzen sie, lebten immer noch eine Million Menschen illegal in Spanien. Und damit nicht genug: Nach dieser Aktion würden noch sehr viel mehr Migranten kommen, warnte von Anfang an der Vorsitzende der konservativen Volkspartei, Mariano Rajoy:

    "Das ist schon ein Ding, dass man Leute legalisieren will, die zuvor illegal beschäftigt wurden. Das wird mit Sicherheit als eine sehr großzügige Einladung aufgefasst werden."

    Spätestens bei den Massenanstürmen auf die Grenzzäune von Ceuta und Melilla fühlte sich die konservative Opposition in ihren Befürchtungen bestätigt. Die Regierung dagegen wurde nicht müde zu betonen, dass von der Legalisierungsaktion ja nur diejenigen profitieren konnten, die sich bereits in Spanien aufgehalten hätten, und das seit mindestens sechs Monaten. Doch solche Feinheiten dringen wohl kaum von Kontinent zu Kontinent. Und selbst wenn: Bei den meisten Flüchtlingen, das hat gerade der vergangene Herbst mehr als deutlich gezeigt, bei den meisten Flüchtlingen ist der Drang ins gelobte Europa offenbar stärker als alles andere. Wer die Immigranten vor ihrem Flüchtlingsschicksal und Europa vor dem Flüchtlingsansturm bewahren will, der muss das Problem an der Wurzel packen. Für Jeronimo Nieto, den Beauftragten der spanischen Regierung in Ceuta, ist das der einzige erfolgversprechende Weg.

    "Wenn wir eine starke Grenze errichten, mit Guardia Civil auf der einen und marokkanischer Polizei auf der anderen Seite, dann kann man verhindern, dass viele Immigranten drüber springen. Aber so löst man das Problem nicht. Ich meine, man muss politisch etwas für die Entwicklung in den Herkunftsländern tun."

    Aber das ist auch bei bestem Willen eine Arbeit von Jahrzehnten. Und so lange werden die Menschen dort mit ihrer Flucht nicht warten.