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"Weg von der Hinterzimmerpolitik"

Laut Umfragen ist der Einzug der Piraten-Partei in den nordrhein-westfälischen Landtag durchaus möglich. Gelingen soll das mit einem anderen Politikstil, sagt der Landesvorsitzende der NRW-Piraten, Michele Marsching.

Michele Marsching im Gespräch mit Peter Kapern | 16.03.2012
    Jürgen Liminski: Rot, Grün und Schwarz sitzen im nächsten Düsseldorfer Landtag, das ist sicher. Dunkelrot hat Chancen, Gelb allerdings muss auf ein Wunder hoffen. Nach den Umfragen hat eine Partei sogar mehr Chancen als die FDP, nämlich die Piraten. Orange ist ihre Farbe, Augenklappe und Laptop sind ihre Markenzeichen, und Michele Marsching ist ihr Vorsitzender. Mein Kollege Peter Kapern hat ihn gestern Abend gefragt, ob der überraschende Wahlkampf seine Partei nun auf dem falschen Fuß erwischt habe.

    Michele Marsching: Nein, wir werden nicht auf dem falschen Fuß erwischt durch den Wahlkampf, der reinbricht. Wir sind vorbereitet, wir sind ein Landesverband in einem Land mit einer Minderheitsregierung und wir sind nicht dumm. Wir wussten, es kann jederzeit dazu kommen, dass Neuwahlen anstehen. Dementsprechend gab es Pläne, die mussten jetzt aus der Schublade geholt werden, es gibt Abläufe, die sind einfach fest geregelt, die müssen gemacht werden und nach denen gehen wir jetzt vor und wir haben da keineswegs Panik oder irgendwas und wir sind auch nicht auf dem falschen Fuß erwischt.

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    Peter Kapern: Den Umfragen zufolge ist ja ein Einzug der Piraten in den Düsseldorfer Landtag durchaus möglich. Was hätten die Piraten dort zu bieten?

    Marsching: Wir haben zu bieten einen anderen Politikstil. Wir wollen den Bürgern wieder erklären, wie Politik überhaupt gemacht wird, was der Landtag für eine Bedeutung für ihr Leben, für ihr tägliches Leben hat, was da für Entscheidungen getroffen werden. Wir wollen weg von der Hinterzimmerpolitik, von der Kungelpolitik, wo man sich vorher zusammentut, irgendein Ergebnis schon feststeht und das Plenum am Ende nur noch abnicken darf, sondern wir wollen in den Dialog treten auch mit Bürgerbeteiligung und wollen die Transparenz in die Politik, in den Landtag NRW hineintragen.

    Kapern: Nun stören sich die nordrhein-westfälischen Wähler ja möglicherweise nicht nur an Stilfragen, sondern sie haben auch das Bedürfnis, inhaltliche Fragen geklärt zu bekommen. Was haben die Piraten dort zu bieten?

    Marsching: Na ja, es kommt darauf an, inwieweit man inhaltliche Antworten definiert. Wir sind natürlich nicht eine Partei mit einem Vollprogramm, dafür war die Zeit jetzt einfach tatsächlich zu knapp. Vielleicht wäre das der falsche Fuß, wo man sagen kann, darüber könnte man stolpern. Wir sehen das aber nicht so. Wir sagen, wir wachsen und wir gedeihen, und das quasi täglich, wir haben den großen Vorteil, dass wir einen enormen Zulauf haben. Wir haben ein Programm, ein Wahlprogramm aus dem Jahr 2010, wir haben Expertise hinzubekommen in der Zwischenzeit, die immens ist, wir schrauben und wir schreiben an diesem Programm herum, sodass wir ein Wahlprogramm für das Jahr 2012 haben werden. Das wird verabschiedet entweder in eineinhalb Wochen auf unserem ersten außerordentlichen Landesparteitag, den wir in Münster haben werden, oder vier Wochen später auf dem zweiten außerordentlichen Landesparteitag, den wir extra nur für Programmfragen einrichten. Wir wollen den Bürgern zeigen, dass wir keine Internetpartei ohne Programm sind, dass wir eine Protestpartei sind, die immer nur dagegen ist, sondern wir wollen zeigen, dass wir durchaus auch eigene Ideen haben.

    Kapern: Sie sagen, die Piraten wachsen und gedeihen. Das tun die Schulden in Nordrhein-Westfalen auch. Das ist vielleicht das drängendste Problem dieses großen Bundeslandes. Welche Antworten haben Sie auf dieses Problem?

    Marsching: Wir haben keine konkreten Antworten, die ich jetzt wie aus der Pistole geschossen bringen könnte, aber das ist, glaube ich, auch nicht der richtige Weg, denn wir haben festgestellt, wir wollen dazu, dass wir sagen, transparente Politik und mehr Bürgerbeteiligung, vor allen Dingen eine sachorientierte Politik, und wir haben festgestellt, dass es da noch einige Defizite gibt, was die anderen Parteien oder was den Umgang der anderen Parteien auch mit neuen Möglichkeiten, mit neuen Medien angeht. Es gibt ein kommunales Finanzmanagement, das ist Gesetz in NRW, das sollte eigentlich jede Kommune befolgen, weg von der Kameralistik, hin zu einem neuen Finanzmanagement auf Bilanzbasis. Die wenigsten Städte und Gemeinden halten sich daran, einfordern tut es niemand im Landtag und sich die Zahlen hinterher angucken auch nicht. Soweit wir wissen, sind wir die ersten, die da sich überhaupt für interessiert haben. Wir sagen, Zahlen auf den Tisch, und wir sagen, dann bitte mit dieser Transparenz und mit den Bürgern zusammen darüber beraten, wie man die Schulden in den Griff kriegen kann. Das kann durchaus hinführen bis zu einem Stichwort wie zum Beispiel dem Bürgerhaushalt, wo man sich konkrete Vorschläge sammelt und dann hinterher darüber nachdenkt, diese Vorschläge, was bringen sie und wie kann man sie umsetzen, um den Bürger tatsächlich direkt zu beteiligen an der Politik, die im Landtag passiert.

    Kapern: Also auch da dreht sich alles um die Stichworte Transparenz und anderer Politikstil. – Diese beiden Punkte haben ja auch die Piraten in Berlin, wo sie im Abgeordnetenhaus sitzen, auf ihrem Zettel gehabt. Sie sind dann allerdings eher durch Personalkrach und Chaos auffällig geworden. Ist das eigentlich eine Belastung für die nordrhein-westfälischen Piraten?

    Marsching: Also für uns sind die Piraten in Berlin was Besonderes. Die sind anders und für die Berliner Piraten sind wir was Besonderes und anders.

    Kapern: Sind die Berliner Piraten besser als die nordrhein-westfälischen oder schlechter?

    Marsching: Das hat nichts mit besser oder schlechter zu tun. Das hat einfach was damit zu tun, worauf man sich einigt. Die Berliner haben das große "Pech", dass sie die erste Landesvertretung darstellen, die erste Fraktion der Piratenpartei in einer Landesvertretung. Die müssen gewisse Pfade austreten, die wir vielleicht nutzen können. Bei denen sieht es aus wie Streit und wir können dann harmonisch über diese Hindernisse hinwegsteigen. Ich glaube, auch bei uns wird es Findungsschwierigkeiten geben, auch bei uns wird es Anpassungsschwierigkeiten geben. Wir sind eine junge Partei, wir müssen den Politikbetrieb noch lernen und wir sind auch nicht irgendwie vermessen zu sagen, wir kommen da jetzt hin und wissen sofort, was Sache ist. Das wird so nicht funktionieren. Das wäre auch nicht ehrlich gegenüber dem Bürger und ehrlich gegenüber uns selbst.

    Kapern: Bei allem, Herr Marsching, was Ihre Partei noch lernen muss, könnte sie denn aus dem Stehgreif mitregieren, wenn es keine klaren Mehrheiten im Landtag gäbe?

    Marsching: Nein! Ich verneine diese Frage einfach mal aus dem Wissen heraus, dass wir eine sachorientierte Politik bevorzugen und dass wir eine faktenbasierte Politik bevorzugen und dass wir tatsächlich jeden einzelnen Antrag uns ansehen wollen und dass wir sagen wollen, macht das Sinn oder macht das keinen Sinn, und alles hinterfragen wollen. Das ist, glaube ich, auch das, was der Bürger von uns erwartet.

    Kapern: Machen Koalitionen Ihrer Meinung nach grundsätzlich keine Sachpolitik?

    Marsching: So kann man das nicht sagen. Aber es macht keinen Sinn, dass man in einer Fundamentalopposition sitzt und sagt, wir müssen jetzt gegen alles sein, weil die sind dafür. Das ist so, glaube ich, eines der schlimmsten, der rotesten Tücher, die wir überhaupt kennen: Ich muss gegen etwas sein, weil der andere dafür ist, oder genau umgekehrt. Was wir nicht verstehen und wo wir einfach vielleicht anders dann mit dem und im Internet – deswegen sind wir vielleicht als Internetpartei bekannt – sozialisiert wurden, ist tatsächlich, dass irgendein Referent ein Gesetz einreicht und der Hinterbänkler hebt seine Hand und ist dafür, obwohl er dieses Gesetz noch nicht mal gesehen hat, gelesen hat, verstanden hat. Das ist eine Politik, wie wir sie nicht machen wollen, und deswegen wird es schwierig werden, wird es ein Anpassungsprozess werden. Aber wir sind Improvisationstalente für den Anfang und hinterher sind wir ganz schlaue Kerlchen und Mädels, wir kriegen das schon hin.

    Liminski: Michele Marsching, Vorsitzender der Piraten in Nordrhein-Westfalen, im Gespräch mit meinem Kollegen Peter Kapern.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.