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Weg von der reinen Minutenzählerei

Eine neue Definition des sogenannten Pflegebedürftigkeitsbegriffs ist nach Ansicht von Sabine Strüder von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz überfällig. Gerade der Betreuungsbedarf bei Demenzpatienten und kranken und behinderten Kindern müsse besser erfasst werden.

Sabine Strüder im Gespräch mit Jule Reimer | 27.06.2013
    Jule Reimer: Peer Steinbrück will sie zur Chefsache erklären, die Reform des deutschen Pflegesystems mit seiner noch jungen Pflegeversicherung und der wachsenden Zahl Pflegebedürftiger. Unter Schwarz-Gelb konnte Gesundheitsminister Daniel Bahr bisher viele seiner Reformideen nicht durchsetzen und die Pflegereform sorgt derzeit für viel Streit. Heute Mittag nun soll der Expertenbeirat der Bundesregierung ein großes Gutachten dazu vorlegen, im Mittelpunkt steht eine neue Definition des sogenannten Pflegebedürftigkeitsbegriffs.

    Frage an Sabine Strüder von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz: Warum braucht es denn überhaupt eine neue Definition dafür, ab wann man als pflegebedürftig eingestuft wird?

    Sabine Strüder: Nun, das Problem ist ja, dass bei dem jetzigen Begriff der Pflegebedürftigkeit gerade Demenzpatientinnen und -patienten viel zu kurz kommen, dass gerade der Betreuungsbedarf, den ja diese Patientinnen und Patienten haben, bei dem bisherigen Begriff viel zu kurz kommt. Der jetzige Pflegebedürftigkeitsbegriff orientiert sich ja an einer reinen Minutenzählerei. Das heißt, es wird alleine geguckt, welche Verrichtungen schlagen mit welchem Zeitaufwand zu Buche, was brauche ich bei Körperpflege, bei Ernährung, bei Mobilität, bei der Hauswirtschaft. Aber gerade der Betreuungsbedarf für Demenzpatienten fällt ja derzeit eher hinten herunter.

    Reimer: Wie soll denn dann das neue System aussehen und entspricht das Ihrer Ansicht nach den Notwendigkeiten, was da so im Hinterkopf der Experten ist?

    Strüder: Zunächst ist es ja so, dass man sich eigentlich schon seit 2009 mit diesem neuen System beschäftigt. Es gab ja schon einen Expertenbeirat dazu. Und dieses neue System wird gerade diese Abkehr von dieser Minutenzählerei bewerkstelligen. Ausschlaggebendes Kriterium wird eher jetzt sein das Ausmaß der Selbständigkeit und die Frage der Abhängigkeit von personeller Hilfe. Das heißt, es wird nicht mehr nur geguckt, wo brauche ich denn bei diesen Alltagsverrichtungen Hilfe, sondern es wird auch geguckt, welche kommunikativen und kognitiven Fähigkeiten hat denn der Pflegebedürftige, wie sind seine Verhaltensweisen, wie sind seine psychischen Problemlagen, wie sind die Anforderungen an Krankheits- oder Therapiebedingungen. All das, insgesamt acht Kriterien spielen hier jetzt eine Rolle, und das wird doch gerade den Demenzpatientinnen und Demenzpatienten wesentlich gerechter. Es ist auch ein Verfahren, was beispielsweise besser geeignet ist zur Begutachtung von kranken und behinderten Kindern.

    Reimer: Wir wissen, die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Wir wissen, dass es im Augenblick kein Vergnügen ist, in der Pflege zu arbeiten: Schlechte Besetzung, das Personal wird auch schlecht bezahlt, es ist sehr anspruchsvoll. Die Frage ist außerdem: wer soll das alles bezahlen. Macht eine private Vorsorge wie bei der Riester-Rente Sinn?

    Strüder: Ich sage mal, der Pflege-Bahr ist ja schon als Stück einer privaten Vorsorge eingeführt worden. Wir sehen es aus Verbrauchersicht eher so, dass die Pflege nach wie vor solidarisch finanziert werden sollte. Das heißt, Pflegebedürftige und nicht Pflegebedürftige zahlen gemeinsam in einen Topf ein. Die Pflegeversicherung sollte auch paritätisch finanziert sein. Das heißt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen ein und es sollte nicht auf den privaten Bereich verlagert werden, nur auf die Arbeitnehmer oder auf die Rentenbezieher.

    Reimer: Was heißt das konkret?

    Strüder: Das heißt, dass die Beiträge von den Arbeitgebern und von den Arbeitnehmern eingezahlt werden und nicht nur alleine über eine Beitragsfinanzierung seitens der Pflegebedürftigen oder der Bevölkerung, sondern dass die Arbeitgeber hier genau ihren Anteil auch leisten.

    Reimer: Ganz kurz noch. Was machen Sie mit denen, die über Mieten Einkünfte machen? Sollen die auch beisteuern?

    Strüder: Das ist ein weiterer Aspekt. Es müssten auch andere Einkommensarten mit einbezogen werden. Es ist ja so, dass der Anteil an Einkünften aus Arbeitseinkommen im Verhältnis geringer ist, und deshalb müssten auch andere Einkommensarten wie beispielsweise Mit- oder auch Zinseinkünfte mit einbezogen werden. Und es ist auch wichtig, Sie sagten es ja schon, ...

    Reimer: Danke! Entschuldigung, die Zeit läuft uns weg!

    Strüder: Okay!

    Reimer: Die Forderungen der Verbraucherzentrale zur Pflegereform – danke an Sabine Strüder in Mainz für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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