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Weg von der Sonderstellung

Nur 17 Prozent aller deutschen Professoren sind Frauen. Förderprogramme für Frauen in der Wissenschaft sind deshalb wichtig. Keine Extrawurst sein, aber die männliche Kultur durchbrechen - auch in den eigenen Köpfen - dafür machen sich Spitzenforscherinnen stark.

Von Verena Herb | 16.09.2009
    "Tatsächlich gab es Wissenschaftler damals – eventuell auch sehr hochrangige, die Frauen eben nicht geduldet haben an Bord – aus verschiedenen Gründen. Vielleicht weil sie gedacht haben, die bringen das Geschäft durcheinander."

    Rund 40 Mal war Antje Boetius schon auf Forschungsexpedition, auf sämtlichen Meeren der Welt unterwegs. Die 42-jährige Professorin ist Meeresforscherin und Mikrobiologin, lehrt an der Jacobs University in Bremen, ist Arbeitsgruppenleiterin am Alfred-Wegner-Institut und am Max-Planck Institut.

    "Es hieß auch, Frauen können mit schwerem Gerät nicht umgehen. Man muss dort anpacken, zupacken ... "

    Die Professorin spürt in ihrer Forschung winzigen Organismen nach, die Teile des Meeresbodens besiedeln und großen Einfluss auf das weltweite Klimageschehen haben. Dafür hat sie in diesem Jahr den mit 2,5 Millionen Euro höchstdotierten deutschen Forschungspreis – den Leibniz-Preis – verliehen bekommen.

    An diesem Nachmittag berichtet die Spitzenforscherin dem Auditorium im Hörsaal A der Hamburger Uni von ihrer Arbeit: Erklärt den Planet Tiefsee, zeigt Bilder von Forschungsschiffen und den Kleinstlebewesen auf dem Grund der Meere. Antje Boetius nimmt die Zuhörer mit auf eine Forschungsexpedition: Ebenso drei weitere Professorinnen, die über ihre Forschung berichten: eine Juristin, eine Literaturwissenschaftlerin und eine Experimentalphysikerin.

    Es geht in erster Linie darum, ihre Forschungsarbeiten vorzustellen. Aber auch, und ganz besonders darum, zu zeigen, welche Rolle Frauen im Vergleich zu Männern, in der Spitzenforschung heute spielen:

    "Da sehe ich ganz große Unterschiede, dass Frauen gerade im Bereich der Spitzenforschung mit Erwartungen konfrontiert werden, die sie als Frauen festmachen. Und die Erwartungen mit der Vermutung zusammenhängen, dass sie Mutter werden könnten, oder dass sie auf jeden Fall für den Hauptteil der Erziehungsarbeit zuständig sind, und deshalb nicht vergleichbar publizieren können, wie ihre männlichen Kollegen, ob mit oder ohne Kinder. Also es gibt eine ganze Menge von Kausalzusammenhängen, die ganz fest etabliert sind, in der Art und Weise, wie Wissenschaft wahrgenommen wird."

    Sagt Anita Engels, Professorin für Soziologie an der Hamburger Universität, die zur Zeit untersucht, wo Frauen in der Spitzenforschung stehen. Sie unterstützt eine Veranstaltung wie diese, damit klarer wird, dass die männlich geprägte Kultur in der Wissenschaft durchbrochen werden muss.

    Auch Elke Scheer hält einen Vortrag aus ihrem Fachgebiet: Sie ist Professorin für Elementarphysik an der Universität Konstanz und versucht, das Publikum von "sehr kleinen Schaltkreisen" zu begeistern. Auch sie ist Anfang 40, und nimmt in ihrem Bereich, ob gewollt oder nicht gewollt, immer eine Sonderstellung ein:

    "In meinem Fach speziell sind Frauen ja in der Minderheit. Und das ist immer eine Sondersituation. Und das spüre ich. Ich sage jetzt nicht, dass das immer negativ ist, es kann durchaus auch positiv sein. Aber ich habe immer eine Sonderstellung."

    So wie Frauen in der Spitzenforschung generell, so scheint es. Nur 17 Prozent aller deutschen Professoren sind Frauen. Was dazu führt, dass Frauen häufig auf das internationale Parkett ausweichen, da dort die Anerkennung für die wissenschaftliche Leistung schneller erfolgt, als in der deutschen, doch recht konservativ geprägten Hochschullandschaft.

    "Aber man macht sich dieser Denkstruktur ja nicht bewusst – auch Männer sind sich dessen nicht bewusst. Und in je mehr Kommissionen in denen ich sitze, desto klarer wird mir: Es ist trotzdem da. Zum Beispiel, dass immer gesagt wird: Ja, das ist ein guter Mann, den müssen wir einladen. Gute Frau gibt´s überhaupt nicht, kommt nicht vor. Also das sitzt so tief, und ich ertappe mich selber dabei, dass ich mich manchmal darüber wundere, dass, wenn ich ein gutes Paper lese, dass das von ner Frau geschrieben ist. Das sitzt so tief, weil man eben in meinem Fachgebiet erwartet – das sind Männer."

    Sagt die Physikerin. Anita Engels, die Hamburger Soziologin, berichtet, dass gerade junge Nachwuchswissenschaftlerinnen ein Problem damit haben, dass sie besonders gefördert, und damit anders behandelt werden:

    "Man möchte das nicht so sehen, Frau möchte das nicht so sehen. Weil niemand möchte sich in einer strukturell benachteiligten Situation wiederfinden. Das führt aber dann auch dazu – und das ist ein ganz witziger Effekt, dass wenn etwas wie Gleichstellungsmaßnahmen, oder irgendwelche Programme zur Erhöhung der Chancengleichheit dann greifen, dass das auf gar keinen Fall als Erfolg dieser Maßnahme verkauft werden darf. Weil das eben die Integrität der Forscherin zu leicht angreifen könnte."

    Professor Ulrike Beisiegel hat die Veranstaltung "Auf Forschungsexpedition mit Wissenschaftlerinnen" ins Leben gerufen – sie selbst lehrt an der medizinischen Fakultät der Uni Hamburg, ist Biochemikerin. Sie macht noch einmal deutlich, wie wichtig Förderprogramme für Frauen in der Wissenschaft sind:

    "Es geht hier nicht um eine Extrawurst, sondern es geht darum, die männlich geprägte Kultur zu durchbrechen. Und dazu muss man ganz bewusst und aktiv Frauen fördern. Mit großen Mentorinnen-Programmen die laufen, und auch zum Teil exzellent sind: Zum Beispiel das Professorinnen-Programm. Ich glaube, diese Förderung ist nötig. Nicht, weil Frauen schlechter sind als Männer. Aber weil sie eben noch nicht in diese männliche Kultur reingewachsen sind und weil es noch Abgrenzungen gibt."

    Die Resonanz auf die Vorträge der Spitzenwissenschaftlerinnen ist groß: Überraschend nur, dass so wenige junge Frauen im Publikum sitzen. Dabei sollen doch gerade sie angesprochen werden – denn eines haben die Professorinnen hinter dem Rednerpult gemeinsam: Sie wollen Vorbild sein für den weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchs.