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Wegbereiter der Quantenphysik

Der Physiker Max Born wollte Grenzen des Denkens überwinden. Wenn er Probleme in seinem Kopf herumwälzte und sich endlich die lang gesuchte Lösung abzeichnete, fühlte er sich "wie ein Seefahrer, der nach langer Irrfahrt von fern das ersehnte Land sieht".

Von Irene Meichsner | 11.12.2007
    An einer wissenschaftlichen Revolution teilzunehmen, die knisternde Spannung mitzuerleben, dabei von Gleichgesinnten umgeben zu sein - das ist der Traum jedes engagierten Forschers. Max Born, einer der Wegbereiter der modernen Quantenphysik, Nobelpreisträger von 1954, lebte diesen Traum. Trotzdem blieb er bescheiden genug, um gegen Ende seines Lebens im Rundfunk festzustellen, dass die Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Physik einfach reif gewesen sei.

    "Da war zunächst einmal das Vorhandensein zweier großer Theorien, von denen eine, die Relativitätstheorie Einsteins, abgeschlossen war, aber die Quantenmechanik, die Quantentheorie Plancks nicht. Und daran arbeiteten wir. Zweitens war die Zeit darum reif, weil es, ja, an verschiedenen Stellen der Welt zu gleicher Zeit wurden dieselben Themen bearbeitet. In Zürich und in Cambridge und in Göttingen. Und wir waren zufällig die ersten. Und drittens möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass Göttingen ein idealer Platz dafür war durch die Ruhe, Behaglichkeit des Lebens, die Stille."

    Born war in Göttingen seit 1921 Professor und dort Mitbegründer der theoretischen Quantenmechanik. Für die hoch abstrakten Probleme der Quantenphysik fand er mit einer speziellen Multiplikationsregel, der sogenannten Matrizenrechnung, ein logisches Rechenschema.

    "Mein erster Assistent, Mitarbeiter war Wolfgang Pauli, später Nobelpreisträger, dann kam Heisenberg, ebenfalls Nobelpreisträger, dann mein jetziger Nachfolger Hund und dann Unzählige andere, die ich gar nicht aufzählen kann, darunter zum Beispiel Oppenheimer, der Erbauer der Atombombe, und Fermi, der Erbauer des ersten Reaktors, und Norbert Wiener war da und viele andere."

    Max Born, Sohn einer großbürgerlichen deutsch-jüdischen Familie, am 11. Dezember 1882 in Breslau geboren, war schon früh vielseitig interessiert. In Breslau, Heidelberg, Zürich, Cambridge und Göttingen studierte er nicht nur Physik, Mathematik und Astronomie, sondern auch Rechtswissenschaften und Moralphilosophie.

    Wie den Dänen Niels Bohr, den philosophischen Kopf unter den Quantenphysikern, trieb auch ihn die Frage um, ob und wie die Inhalte der Quantenmechanik

    "durch Begriffe und Worte der gewöhnlichen Sprache ausgedrückt und der Anschauung zugänglich gemacht werden können, so dass das Paradoxe mancher Aussagen gemildert oder gar beseitigt wird."

    1933 wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner pazifistischen Einstellung zwangsbeurlaubt, emigrierte Born nach England. Dort erlebte er auch den Krieg und den Abwurf der ersten Atombombe über Hiroshima. Eine tiefe Zäsur in seinem Leben.

    "Natürlich hat man schon oft vorher darüber nachgedacht, was eigentlich mit dem, was man macht, geschieht, aber in der Atombombe hatte man ein solches Beispiel eines Missbrauchs einer großen Entdeckung, dass ich mich verpflichtet fühlte, darüber nachzudenken."

    1953 kehrte Born nach Deutschland zurück. 1957 unterzeichnete er das Göttinger Manifest - ein Aufruf von 18 deutschen Atomforschern gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr. Im selben Jahr erschienen seine Erinnerungen "Physik im Wandel meiner Zeit", 1962 folgte eine Sammlung von Aufsätzen über die "Verantwortung des Naturwissenschaftlers". Früher, so Born, habe man als Forscher noch "reine" Wissenschaft betreiben können, ohne sich um die Anwendungen viel zu kümmern.

    "Heute ist das nicht mehr möglich. Denn die Naturforschung ist mit dem sozialen und politischen Leben unentwirrbar verstrickt. Sie braucht große Mittel, die sie nur von der Großindustrie oder vom Staat bekommen kann. So ist jeder Naturforscher heute ein Glied des technischen und industriellen Systems, in dem er lebt. Damit hat er auch einen Teil der Verantwortung zu tragen für den vernünftigen Gebrauch seiner Ergebnisse."

    Bis zu seinem Tod am 5. Januar 1970 in Göttingen plagte Born eine tief sitzende Furcht, die politischen und militärischen Schrecken, der Zusammenbruch jeglicher Moral könnten eine "notwendige" Folge des wissenschaftlichen Aufbruchs gewesen sein und nicht nur ein vorübergehendes Phänomen. In letzter Konsequenz bangte er um den Menschen als freies, selbstverantwortliches Wesen.

    "Sollte die Gattung nicht durch einen nuklearen Krieg ausgelöscht werden, wird sie in einer Herde von dummen, dumpfen Kreaturen degenerieren, unter der Tyrannei von Diktatoren, die sie mit Hilfe von Maschinen und Robotern beherrschen. Dies ist keine Prophetie, sondern vielmehr ein Alptraum. Doch meine Beurteilung mag ganz falsch sein. Ich hoffe es."