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"Wegbleiben nützt gar nichts"

Nach Ansicht des SPD-Europaparlamentariers Jo Leinen hat die EU sich mit dem Scheitern einer einheitlichen EU-Position gegenüber der Anti-Rassismus-Konferenz der UNO blamiert. Er hält das deutsche Verhalten für ängstlich - und plädiert dafür, den Problemen offensiv entgegenzutreten.

Jo Leinen im Gespräch mit Christian Schütte | 20.04.2009
    Christian Schütte: Die Entscheidung fiel recht spät. Nach tagelangem Hin und Her verkündete Außenminister Frank-Walter Steinmeier gestern, Deutschland nimmt an der mehrtägigen Anti-Rassismus-Konferenz der UNO nicht teil. Die Begründung: Ebenso wie das Vorgängertreffen 2001 in Durban könnte die Veranstaltung als Plattform für andere Interessen missbraucht werden. Besonders kritisch beäugt wird dabei der Auftritt des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad am Nachmittag. Die Eröffnung in Genf am Vormittag also ohne Deutschland als Teilnehmer. Allerdings sind auch andere Staaten fern geblieben. Die Entscheidung der Bundesregierung hat hierzulande unterschiedliches Echo hervorgerufen.
    Unter anderem Deutschland boykottiert die UNO-Konferenz. Darüber spreche ich jetzt mit dem Europaparlamentarier Jo Leinen, SPD. Er ist auch Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte. Guten Tag, Herr Leinen.

    Jo Leinen: Guten Tag, Herr Schütte.

    Schütte: War die Entscheidung zu boykottieren richtig?

    Leinen: Ich halte sie für falsch. Das ist eher ein Zeichen der Schwäche und kein Zeichen der Stärke. Meines Erachtens hätten die Europäer unbedingt nach Genf gehen sollen, um ihre Meinung zu sagen. Wegbleiben nützt ja gar nichts. Man verhindert da überhaupt nichts, sondern stärkt eigentlich diejenigen, die da Schlechtes im Auge haben.

    Schütte: Bleiben wir einmal bei Deutschland. Also Deutschland hat hier eine ganz schwache Vorstellung gegeben?

    Leinen: Ja. Ich kritisiere zwar nicht, dass Deutschland die EU nicht koordiniert hat. Das ist nicht die Aufgabe des Bundesaußenministers, sondern der tschechischen Präsidentschaft, die ja erkennbar nicht funktioniert. Wir haben in Tschechien ein Vakuum, die alte Regierung geht, die neue ist nicht da, und das ist ein Zeichen von Chaos in der EU, ein Armutszeugnis. Aber Wegbleiben ist für meine Begriffe wirklich das falsche Signal, zumal Rassismus und Diskriminierung aus religiösen und ethnischen Gründen weltweit ein Massenphänomen ist und gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise ja eher zunimmt als abnimmt.

    Schütte: Das heißt also, Deutschland ist zu feige, um sich beispielsweise dem iranischen Präsidenten zu stellen?

    Leinen: Ich habe das Dokument für die Abschlusserklärung gelesen und ich muss ehrlich sagen, ich sehe nicht, warum man dieses Dokument nicht akzeptieren kann. Das war auch die Aussage des Vertreters der Europäischen Kommission. Das Dokument ist ja am Freitagabend fertiggestellt worden und aus Brüssel hieß es, es wäre voll und ganz zufriedenstellend. Und ich höre, dass auch der französische Außenminister da zufrieden ist und sagt, wenn das Dokument so bleibt, kann Frankreich sehr gut damit leben. Also da sind Ängstlichkeiten zu Tage getreten, die sind eigentlich nicht notwendig und eher schädlich.

    Schütte: Warum hat es so lange gedauert, bis Deutschland seine Position gefunden hat?

    Leinen: Das Dokument ist am Freitagabend erst dort fertiggestellt worden. Da waren Passagen drin, die unakzeptabel sind. Israel wird jetzt gar nicht mehr erwähnt. Also ich wüsste nicht, wieso jetzt Israel sich besonders angegriffen fühlt. Dass auf einer Konferenz mit vielen Staaten auch Verrücktheiten gesagt werden - und die Position des iranischen Präsidenten ist ja hinlänglich bekannt -, das darf aber kein Grund sein, zu kneifen und wegzubleiben. In der Logik dürfte man auch nicht zur UNO-Generalversammlung nach New York gehen; da tritt Ahmadinedschad auch auf und verkündet seine Thesen. Man muss ihm entgegentreten. Wegbleiben hilft da nichts.

    Schütte: Nun sind auch andere europäische Staaten weggeblieben. Hat sich die EU hier blamiert?

    Leinen: Ja. Ich finde es ein Zeichen wirklich der Zerrüttetheit, der Uneinigkeit, und es ist höchste Zeit, dass wir den neuen Reformvertrag, den Vertrag von Lissabon bekommen, mit einem europäischen Außenminister, der den Außenministerrat über zweieinhalb Jahre leiten kann, und nicht diesen Wechsel der sechsmonatigen Präsidentschaften, die wie gesagt im Moment überhaupt nicht existiert und dann dieses Chaos da auftritt. Ich glaube, die Europäer machen kein gutes Bild in weiten Teilen der Welt, wo vor allen Dingen die Betroffenen, die von Rassismus und Xenophobie wirklich täglich betroffen sind, eigentlich von Europa Unterstützung erwarten und die bleibt jetzt weitgehend aus.

    Schütte: Die EU spricht einmal mehr nicht mit einer Stimme. Wer hat das zu verantworten?

    Leinen: Es ist Teil dieser unzufriedenen institutionellen Situation, dass wir keinen Außenminister haben, keine Institution, die kontinuierlich die Meinungen der 27 koordiniert. Das ist nicht leicht, aber es gelingt doch sehr oft und in diesem Fall merkt man, dass die tschechische Präsidentschaft ein Ausfall ist, dass sie nicht vorhanden ist, und dann tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Wenn die Katze nicht da ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Das ist in diesem Fall tatsächlich jetzt passiert. Ich finde es schlecht, dass Großbritannien, Frankreich hingeht, Deutschland und Italien nicht, der Vatikan geht hin, sieht sogar eine Riesenchance für einen Dialog und eine weltweite Verständigung gegen Rassismus. Also die EU hat hier versagt und hat ein ganz schlechtes Bild abgegeben.

    Schütte: Herr Leinen, wir lesen, "Deutschland nimmt zwar nicht teil, aber wird mit einem Beobachter in Genf vertreten sein". Viele fragen sich jetzt, worin besteht der Unterschied, dass man nicht teilnimmt, aber dennoch beobachtet. Können Sie uns diese Spielregeln in der Diplomatie erklären?

    Leinen: Wenn es niemand von der Regierung ist, sondern von irgendeiner Organisation, dann ist das nur eine Beobachtung aus Deutschland, aber nicht eine Teilnahme des Landes. Das sind feinsinnige diplomatische Attitüden, um aus der Bredouille rauszukommen. Ich hätte es für besser gehalten, heute hinzugehen und dann, wie es Frankreich und Großbritannien auch sagen, wo möglich auszusteigen, wenn wirklich an dem Text noch mal etwas negativ verändert wird oder Israel an den Pranger gestellt wird. Man hätte da alle Zeit der Welt gehabt, im Laufe dieser Woche den Text vielleicht sogar noch zu verbessern, wenn da noch was zu verbessern ist. Aber Wegbleiben ist eigentlich keine Methode. Vor allen Dingen schwächt man die UNO, die ansonsten ja auch von Deutschland gestärkt werden soll. Ban Ki Moon steht da jetzt im Regen: die USA kommen nicht, Teile Europas kommen nicht. Der Wert dieser Konferenz ist da unterhöhlt und das ist schlecht für das Thema, den Rassismus und die Xenophobie weltweit zu bekämpfen und auch den Nazismus und den Neonazismus zu bekämpfen - ein Thema, was übrigens in der Erklärung ganz deutlich auch angesprochen und angegriffen wird.

    Schütte: Der EU-Politiker Jo Leinen, SPD. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Leinen: Auf Wiederhören!