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Wegwerfgesellschaft
Kulturen des Reparierens

Vor Kurzem entschied die Bahn, nicht nur in neue ICE-Züge zu investieren, sondern die alten besser zu warten und zu reparieren. Damit korrigiert sie eine Entwicklung, die bislang von Wachstum und Wegwerfen geprägt war. Ein Trend, der sich möglicherweise auch in anderen Bereichen abzeichnet.

Von Christian Forberg | 28.02.2019
Ein Mann repariert ein altes Radio bei einem Repair Café Treffen. Repair Cafés sind ehrenamtliche Treffen, bei denen die Teilnehmer alleine oder gemeinsam mit anderen ihre kaputten Dinge reparieren.
In Repair Cafés werden nicht nur defekte Gegenstände repariert, sie sind auch Treffpunkt für konsumkritische Menschen (imago / JOKER)
Es ist nur wenig mehr als ein Jahrhundert her, dass Menschen gerade mal 400 Gegenstände ihr Eigen nannten – wenn sie nicht zur Oberschicht zählten. Dazu gehörten u.a. Mobiliar, Kleidung, Küchengeräte, Werkzeuge. Da Ersatz teuer war, mussten die Dinge gehegt, gepflegt und notfalls repariert werden, die dazu erforderlichen handwerklichen Fertigkeiten waren vorhanden. Heute, so wird geschätzt, haben wir es mit 10 000 Gegenständen zu tun. Wer wollte diese Masse notfalls reparieren, und – wer könnte es noch?
Nicht nur die Zahl der Dinge allein verstört. Es ist auch die Art, wie wir mit ihnen umgehen, und die Geschwindigkeit, mit der wir sie auswechseln.
"Unsere gesamte physische Umwelt wird in immer kürzeren Abständen ausgetauscht, auch weggeworfen. Was immer es sein mag: wir haben eigentlich nur noch flüchtige Beziehungen zu den allermeisten Dingen, die wir immer und immer wieder austauschen."
Der Soziologe Hartmut Rosa ist Professor in Jena und einer der Direktoren des Forschungs-Kollegs Postwachstumsgesellschaften:
"Eigentlich erfahren wir uns als ohnmächtig dem gegenüber. Das weiß jeder, der mit elektrischen Geräten zu tun hat. Ein Handy, das nicht mehr funktioniert, bei dem eine App nicht mehr aufspringt oder das Betriebssystem nicht geht – dem stehen wir vollkommen machtlos gegenüber. Wir haben eigentlich keinerlei wirkliche Beziehungen zu diesen Dingern. Die stehen uns völlig fremd gegenüber."
Am Anfang war das Basteln
Dabei begann gerade die technische Entwicklung spannend und kreativ: alles schien und war auch offen, das Radio zum Beispiel.
"Das Radio kommt erst nach und nach in der Form eines Radios, wie wir es heute annehmen, nämlich mit dem Gehäuse auf den Markt. Am Anfang sind es Bauteile, oder sie bauen einzelne Elemente – Draht, Batterie, Röhre usw. usf. – zusammen."
Die Historikerin Heike Weber hat eine Professur für Technikkulturwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie inne. Sie ist Mitherausgeberin des Buches "Kulturen des Reparierens".
"Das heißt, dieses Element des Bastelns ist für die frühen technischen Konsumgüter enorm wichtig gewesen. Das ändert sich in dem Moment, wo Radios, Autos oder andere Dinge zu Massenkonsumwaren werden."
Aber auch da, in den 50er Jahren konnte man sie noch gut reparieren.
"Das ändert sich in dem Moment, wo die ersten Transistorradios in Plastikgehäusen aufkommen. Viele der Gehäuse sind später gar nicht mehr mit Schrauben produziert, sondern zusammengeklebt, weil sie das in der Massenproduktion natürlich billiger herstellen können."
Dafür bezahlt der Käufer weit weniger als früher. Jedoch bezahlt er zugleich den Ausschluss mit, aktiv eingreifen zu können, wenn das Radio nicht mehr spielt – außer beim Batterie wechseln. Aber selbst das ist heute vielfach in Frage gestellt. Sein Mitwirken hat sich fast ausschließlich auf den Gebrauch beschränkt.
Und? Störte ihn das? Einige Menschen schon, denn, so Hartmut Rosa:
"Dieses Arbeiten an einem Gegenstand macht auch was mit mir. Die Art, wie wir mit der physischen Welt in Beziehung treten, ist eine andere – und übrigens oft eine befriedigende, weil wir uns auch materiell als selbstwirksam erleben. Nicht nur, weil ich Geld verdiene bin ich selbstwirksam, sondern weil ich dieses Ding wieder zum Laufen kriege. Ich kenne seine Eigenheiten, auch seine Macken. Ich kann damit vielleicht spielen."
Probleme mit der Wegwerfgesellschaft
Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre wuchs das Unbehagen, Dinge nur noch austauschen zu können. Die Wegwerfgesellschaft hatte sich etabliert, so Heike Weber.
"Das ist neuer Gedanke: ein Radio zum Wegwerfen steht den Konsumgewohnheiten der damaligen Zeit noch sehr entgegen, weil Leute eher gewohnt sind: die Dinge noch lange hüten, für diese Dinge sorgen, reparierend eingreifen."
Sie waren unter anderen Umständen herangewachsen, hatten den Mangel von Krieg und Nachkrieg erlebt, alte Leute sogar zweimal. Reparieren aus der Not heraus hatte Konjunktur.
Ähnlich seien die Prozesse bei der Kleidung verlaufen, sagt Heike Derwanz. Sie hat die Juniorprofessur "Vermittlung Materieller Kultur" an der Uni Oldenburg inne. Bis zur Ära des Massenkonsums wurde über Jahrhunderte darauf geachtet, Kleidung solide zu fertigen und möglichst lange zu tragen.
"Außer in den ganz hohen Gesellschaftsschichten. Da hatten wir das schon immer, dass Kleidung der Mode nach gewechselt wurde. Aber in den anderen Gesellschaftsschichten ging’s um Haltbarkeit und Langlebigkeit der Kleidungsstücke, und da gehört Reparieren mit rein. Und dann haben wir eine spannende Verschiebung: Die oberen Schichten haben eher gestickt, die Frauen, als repariert, und Mitte des 20. Jh. habe ich dann Quellen gefunden, die sagen, dass man stolz darauf ist, dass es einem jetzt besser geht nach dem Krieg und man sich damit sozial auszeichnet zu sagen: Ich kann schon gar keinen Knopf mehr annähen, ich weiß gar nicht wie das geht. Das muss ich gar nicht können."
Mag sein, dass dieses zum Ausdruck gebrachte Gefühl der Befreiung ein wenig überzogen ist. Sie hat nämlich auch untersucht, ob es in Haushalten noch Nähkästchen gibt. Ja, es gibt sie. Die meisten waren allerdings von Kleinmöbel- auf Schachtelgröße geschrumpft. Zudem:
"Das muss nicht unbedingt heißen, dass die Leute, wenn sie zum Beispiel einen Stopfpilz haben, stopfen wie die Weltmeisterinnen. Stopfpilze habe ich sehr selten getroffen. Das meiste ist natürlich Nadel und Faden und noch eine Schere zu haben. Schon wenn wir das mit einem Nähkästchen aus der Mitte des letzten Jahrhunderts vergleichen – es ist eine ungemein reduzierte Ausstattung, die auf die letzten Tätigkeiten hinweist, die man damit noch ausführen kann. Und das wäre z. Bsp. Knopf annähen."
Und doch kam und kommt es immer wieder dazu, dass vorrangig Frauen zu Nadel und Faden greifen. Von ausgemachten Konjunkturen mag Heike Derwanz nicht sprechen, sondern von individuellen Entscheidungen, weil ...
"… jede Generation Sachen für sich wieder neu entdeckt. Z. Bsp. das Nähen von Babyausstattung; dann werden Nähkurse gemacht. Oder dass Leute anfangen zu stricken im Erwachsenenalter, das für sich entdecken. Dass die Jung-Studierenden bei uns im Moment das Gefühl haben, dass Second-Hand-Märkte oder Second-Läden überall neu kommen. Aber aus der Erfahrung wissen wir, dass es die spätestens in den 70er Jahren in Deutschland, in den Großstädten überall gab."
Als aus dem Do-it-Yourself Umweltpolitik wurde
Die späten 60er- und frühen 70er-Jahre kann man durchaus als Konjunkturphase des Reparierens bezeichnen. Die Gegenkultur zum Massenkonsum kam zunächst in den USA auf: Der Club of Rome prognostizierte die "Grenzen des Wachstums", im "Whole Earth Catalog" wurde zum Do it Yourself animiert und der Philosoph Robert M. Pirsig schrieb ein Reisebuch, das sein Motorrad in den Mittelpunkt stellte, eine alte Honda, an der er ständig basteln musste - und wollte. Hunderttausende Leser auch in Deutschland lernten den selten gewordenen Liebhaber des Reparierens kennen, der seinem Gefährt sogar einen eigenen Charakter zuschrieb.
In Deutschland gewann in jener Zeit der Begriff Umwelt an Wert, sagt Heike Weber.
"Er wird vom englischen Begriff Environment übernommen, und da startet erstmals so etwas wie eine Umweltpolitik. Und tatsächlich ist diese Umweltpolitik am Anfang sehr weit verstanden: es gibt Anfang der 70er Jahre einige Forschungsinitiativen, die schon auch schauen auf das Reparieren oder die Lebensdauer der Dinge."
Dennoch dominierte der Massenkonsum, befeuert durch Reaganomics und Thatcherismus. Parallel wurde das Recycling, das Wiedereinfügen nicht mehr gebrauchter Dinge in getrennte Stoffkreisläufe eingeführt. Das damit verbundene Versprechen lautete: Wir können weiter produzieren und du kannst weiter konsumieren und musst trotzdem kein schlechtes Gewissen haben. Das funktioniert immer noch, die meisten Bürger machen mit. Aber:
"Das ist natürlich eine Illusion. Recycling ist im Grunde genommen der Feind des Reparierens. Das sehen wir in vielen momentanen Entwicklungen da, wo man zugunsten von Recyclingsystemen für Altgeräte beispielsweise auf das Reparieren dieser Dinge eher verzichtet."
Für kurze Lebensdauer gefertigt
In den Sprachgebrauch Einzug fand der Begriff "Lebensdauer". Damit werde Technik anthropomorphisiert, sagt Heike Weber,
"… als wäre sie etwas Menschliches und hätte so etwas wie eine Lebensdauer. Technik an sich verschleißt, wird alt. Aber was wir mit Lebensdauer meinen im Bereich der Innovations- und Marketingtheorien ist, dass ein Produkt auch dann alt wird, weil neue technische Entwicklungen gekommen sind, die es alt aussehen lassen ..."
… oder nur, weil es neue Moden gibt. Im Bereich der Kleidung habe sich da der Begriff "Fast Fashion" eingebürgert, merkt Heike Derwanz an.
"… also Kleidung, die sehr billig in sehr großer Masse sehr schnell für aktuelle Trends hergestellt wird. Wenn man sich darüber versorgt, dann sind wir für eine Tüte Kleidung, die uns vielleicht von oben bis unten komplett einkleidet, bei weniger Geld als für ein ordentliches Essen. Da zeigt sich, dass das für eine Reparatur nicht mehr in Frage kommt."
Es soll ja auch gar nicht. Es wird mit der sprichwörtlich heißen Nadel genäht: schnell, oberflächlich. Heike Derwanz bezieht sich auf englische Studien, wenn sie von in die Kleidung eingebauter Obsoleszens, von geplantem Verfall spricht. Das Resultat ist Wegwerfkleidung.
Auch bei technischen Geräten haben Nutzer oft das Gefühl, dass sie geplant auf eine recht kurze Lebensdauer hin gebaut wurden. Doch so ohne weiteres will Heike Weber dem nicht zustimmen. Vor allem den Produzenten allein die Schuld zu geben, gezielt sogenannte Sollbruchstellen einzubauen, geht ihrer Meinung nach fehl: Konsumenten seien quasi Komplizen.
"Sie sind nicht völlig naiv und machen sich keine Gedanken darum, wie lange diese Waschmaschine, die sie kaufen, halten wird oder dieser PKW – sie machen sich darum Gedanken."
Und das wissen auch die Produzenten und produzieren in diesem Sinne. Sie leben schließlich in Symbiose mit den Konsumenten. Und trotzdem sollte dieses Verhältnis verändert werden, sollte größere Transparenz herrschen seitens der Hersteller und ein Mehr an Nachdenken über die Nutzungsdauer der Dinge seitens der Konsumenten.
"Diese Debatte um die geplante Obsoleszenz ist wichtig. So [Web]Seiten wie murks-nein-danke[.de] sind wichtig, um auf Fehlstellen hinzuweisen, die auf jeden Fall bestehen. Aber noch wichtiger ist die Debatte, dass wir uns alle über diese Frage von Lebensdauer der Technik Gedanken machen. Und uns selber zugeben, dass wir Technik bestimmte Lebenszeiten zumessen, und manchmal nach zwei Jahren denken: wir wollen ein neues Handy haben. Nicht weil das Handy kaputt ist, sondern weil das neuere schneller zu sein scheint, mehr Datenvolumen hat.
Reparatur Cafés: Eine neue Welle des Reparierens?
Womit eine neue Art des Reparierens ins Spiel kommt, die nicht zuletzt mit der Vielzahl der inzwischen angestauten Krisen zu tun hat: ein gemeinsames Reparieren von Alltagsdingen. Es findet in offenen Werkstätten und Reparatur Cafés statt. Einige dieser Cafés hat Dr. Sigrid Kannengießer von der Uni Bremen näher untersucht. Die Kommunikationswissenschaftlerin hat deren Betrieb lange beobachtet und Organisatoren, Helfende wie Hilfebedürftige befragt. Motive, an den Veranstaltungen teilzunehmen, gab es einige: Kritik am Konsum, Wertschätzung von Objekten, aber auch finanzielle Notlagen bei Arbeitslosen, Studierenden und älteren Leuten.
"Ein Interviewpartner ist z. Bsp. mit seinem Radiogerät in einer Reparaturveranstaltung gewesen, hat zwei-drei Wochen kein Radio gehabt, hat betont, wie sehr er das vermisst hat, und hervorhob, dass er bis zu der Reparaturveranstaltung warten musste, bis er es kostenlos reparieren konnte mit entsprechender Unterstützung. Und das auch muss, weil er sich kein neues Gerät leisten kann."
Um das Angebot einer kostenlosen Dienstleistung geht es jedoch nicht in erster Linie.
"Sondern es geht letztendlich darum, dass die Helfenden die Expertise, also Reparaturkenntnisse haben, diese weitergeben, dass sie erklären, wie das Reparieren funktioniert und die Personen selber tätig werden sollen. Es zeigte sich in den Beobachtungen, dass das nicht immer aufgeht, dieses Ziel. Also dass für Personen repariert wird, als dass die immer eingebunden werden ..."
… was der Selbstermächtigung, die Dinge wieder selbst in den Griff zu bekommen, von vornherein Grenzen setzt. Neugier am Reparieren wird dennoch geweckt.
Eine von Hunderten Städten, in denen regelmäßig Reparatur Cafés stattfinden, ist Oldenburg; auch hier hat Sigrid Kannengießer recherchiert. Eines fand in einer Szenekneipe statt, die zumeist jüngeres Publikum aus dem linken Spektrum frequentiert. Doch dann gingen die Initiatoren eine Kooperation mit dem Oldenburger Theater ein, das eine Probebühne in einer Fußgängerzone betreibt.
"Und da explodierte quasi die Veranstaltung: während in dem kleineren Café immer eine kleinere Gruppe da war, waren dann bei den Veranstaltungen in der Fußgängerzone manchmal über 400 Personen an einem Tag da. Das Reparatur Café wurde über mehrere Ebenen angeboten, die ganz schön die verschiedenen Bedeutungen widergespiegelt haben: im unteren Bereich wurde Café und Kuchen angeboten, in der mittleren Etage gab es das Reparaturangebot, und dann gab es noch eine dritte Etage, wo es eher um Kunstprojekte ging, die im Rahmen des Reparierens angeboten wurden."
Soziale Reparaturen durch Reparieren von Technik
Womit ein Grundzug dieser Cafés an sich deutlich wird: es geht weit mehr als um das Reparieren eines einmal erworben Gegenstandes. Emphatisch ausgedrückt: es geht auch um die Reparatur der Gesellschaft.
"Die Personen nehmen auch aus sozialen Aspekten teil, weil sie gleichgesinnte Menschen treffen wollen, deren Ziele sie teilen und weil sie sich zugehörig fühlen. Man kann mit Max Weber ganz klassisch die Reparatur Cafés als Orte oder Veranstaltungen für Vergemeinschaftung verstehen."
Was in Zeiten des Kaufens im Internet von großer Bedeutung sei, betont Sigrid Kannengießer. Um konsumieren zu können, müsse man eigentlich keinen Fuß mehr in den öffentlichen Raum setzen. Sie erfuhr in Gesprächen aber auch von der Ambivalenz, dass eine konsumkritische Haltung weder Fernreisen noch eine Vielzahl an Dingen, also mehrere Fernseher im Haushalt, Handys oder Tablet und Notebook neben dem Desktop Computer, ausschließen muss.
"Viele der Teilnehmenden verweisen auf ihre Verortung in der Konsumgesellschaft, dass sie sich dem Konsum gar nicht ganz entziehen können, wenn sie nicht gesellschaftliche Aussteiger werden möchten …"
In dieser Zwickmühle steckt nicht nur der Einzelne, sondern stecken auch die Reparatur Cafés an sich.
"Auch wenn die Anzahl wirklich extrem gestiegen ist, findet das Reparieren immer noch in einer Nische statt, ist eine Nischenhandlung und keine Praxis, die sich in der Konsumgesellschaft so einfach durchgesetzt hat oder einfach durchsetzen wird."