Dienstag, 16. April 2024

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Wehrbeauftragter fordert ehrliche Bestandsaufnahme von Merkel

Reinhold Robbe, Wehrbeauftragter des Bundestages, hat vor der heutigen Regierungserklärung zum Afghanistan-Einsatz eine ehrliche Bestandsaufnahme der Lage gefordert. Die öffentliche Debatte leide unter großer Unwissenheit über die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort, sagte der SPD-Politiker.

Reinhold Robbe im Gespräch mit Sandra Schulz | 22.04.2010
    Sandra Schulz: Drei deutsche Soldaten starben bei den schweren Gefechten in Afghanistan am Karfreitag. Keine zwei Wochen später, heute vor einer Woche, dann erneut ein schwerer Anschlag der Taliban: in der nordafghanischen Provinz Baglan fallen vier weitere Bundeswehrsoldaten. Wenn denn das Wort Peter Strucks gilt, unsere Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt, so wird zumindest die Frage lauter, um welchen Preis. Dieser Frage will sich Bundeskanzlerin Angela Merkel heute stellen, mit ihrer Regierungserklärung zur Afghanistan-Strategie. Welches Signal muss die Kanzlerin heute aussenden? - Die Frage geht an den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, den SPD-Politiker Reinhold Robbe.

    Reinhold Robbe: Nun, es wäre vor allen Dingen aus Sicht der Soldatinnen und Soldaten gut, wenn deutlich würde, dass die Bundesregierung mit der Kanzlerin an der Spitze weiterhin erstens fest zu diesem Mandat steht, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist. Aber es wäre gut, wenn auch nach den Opfern, die wir in den letzten Wochen zu beklagen hatten, die sieben gefallenen Soldaten und die vielen Verwundeten, wenn danach noch einmal deutlich unterstrichen würde, was das Ziel des Afghanistan-Einsatzes ist, was dahin zu diesem Ziel noch an Notwendigkeiten besteht, dass die Bundesregierung dahinter steht und dass man vor allen Dingen auch noch mal erklärt, dass die deutsche Gesellschaft mitgenommen werden soll auf diesem Weg. Das wäre sicher ein gutes und wichtiges Signal.

    Schulz: Wie kann Angela Merkel denn deutlich machen, dass unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird?

    Robbe: Ich will nicht auf dieses immer wieder beschworene Bild eingehen, sondern will ganz nüchtern darauf hinweisen, dass wir auch heute eine andere Situation haben als damals, als Peter Struck diesen Satz prägte. Es hat zumindest in Teilen von Nordafghanistan eine eskalierende Situation inzwischen gegeben, insbesondere im Großraum Kundus. Das heißt aber nicht, dass es überall so ausschaut. Nicht überall in Nordafghanistan haben wir kriegsähnliche Zustände. Es gibt weite Bereiche, weite Gebiete, da gibt es Frieden, da ist auch nichts von Krieg zu spüren. Insofern muss man hier auch differenzieren.

    Worunter die ganze Debatte bei uns im Lande ja leidet, ist auch ein Unwissen über die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort. Das kann man sicher nun nicht in einer Debatte und auch nicht alles in einer Regierungserklärung kommentieren, aber nach meiner Auffassung wäre es gut, wenn auch mit der heutigen Regierungserklärung zumindest der Versuch unternommen würde zumindest, eine offene, eine ehrliche Bestandsaufnahme hinzukriegen und das als Grundlage zu nehmen für die notwendige Debatte, die wir in unserer Gesellschaft benötigen, um diesen Einsatz zu führen.

    Schulz: Eine Diskussion, die auch die Kanzlerin geführt wissen will, der Soldaten willen, sagt sie. Was haben denn die Soldaten von dieser Diskussion?

    Robbe: Wissen Sie, wir haben doch immer wieder zu verzeichnen, dass es erhebliche Zweifel gibt. Es werden nach jeder Hiobsbotschaft aus dem Einsatzgebiet schnell Umfragen veröffentlicht, die dann angeblich belegen, dass die Mehrheit unserer Bevölkerung dafür ist, sofort die Soldaten zurückzuziehen. Das kommt immer wieder als Signal herüber. Und stellen Sie sich mal vor, die Soldaten, die jetzt wirklich über Wochen hinweg jeden Tag schweren Gefechten ausgesetzt sind, die miterleben, wie links und rechts Kameraden nicht nur verwundet werden, sondern auch fallen, die getötete Soldaten zu betrauern haben, und die gucken dann ins Internet oder bekommen irgendwann die Nachricht, dass die Bevölkerung im Grunde hier überhaupt nicht diesen Einsatz mitträgt. Das ist ein Missverhältnis, was nach meiner Auffassung langfristig nicht tragbar ist. Es kann nicht sein, dass die Soldatinnen und Soldaten dort ihren schweren Dienst tun, dass sie ihre Gesundheit, ihr Leben einsetzen, und zwar nicht freiwillig, sondern weil sie da hingeschickt wurden, weil sie vom Deutschen Bundestag dort hingeschickt wurden. Langfristig kann es nicht sein, diesen Zustand so zu haben, weil diese Soldaten dann natürlich wirklich zweifeln müssen und, ich sage, langfristig weder der Afghanistan-Einsatz, noch künftige Einsätze gefahren werden können. Hier brauchen wir einen Wandel insgesamt in der Einstellung. Das ist sicher keine einfache Aufgabe, nur irgendwann muss damit begonnen werden.

    Schulz: Und die Diskussion um die Frage, ob wir Krieg führen in Afghanistan, war das eine Diskussion, die eigentlich abgelenkt hat von der neuen Gefährlichkeit auch des Einsatzes?

    Robbe: Eigentlich schon. Nach meiner Auffassung hat man entweder gründlich aneinander vorbeigesprochen, oder es ist versucht worden, hier unter welchen Vorzeichen auch immer parteipolitische Vorteile für die eine oder andere Seite zu erhaschen. Das bringt aber überhaupt nichts. Wir hatten doch über einen langen Zeitraum hinweg die Situation, dass bestimmte Begrifflichkeiten einfach nicht verwandt werden durften. Es war nicht opportun, über kriegsähnliche Zustände zu sprechen, obwohl die Soldaten das vor Ort erlebten und objektiv die Kriterien vorhanden waren für kriegsähnliche Zustände. Jetzt haben wir hier einen Wandel. Jetzt darf das, was vor Ort sich darstellt, auch so genannt werden, und jetzt sollte man bitte schön nicht hier eine unnötige semantische verkrampfte Auseinandersetzung beginnen, sondern einfach ganz nüchtern sagen: Wir haben in Kundus kriegsähnliche Zustände - das heißt aber nicht, dass überall solche Zustände sind - und wir haben auch nicht einen Krieg im völkerrechtlichen Sinne, weil Deutschland Afghanistan nicht den Krieg erklärt hat. Das hat inzwischen auch jeder kapiert und insofern rate ich sehr dazu, ...

    Schulz: Herr Robbe, geben Sie mir die Gelegenheit, zwischendurch auch eine Frage zu stellen. Die Frage, die sich aus der neuen Terminologie ableitet, ist ja, ob die Konsequenz daraus ist, dass der Einsatz auch einer neuen Legitimation durch das Parlament bedarf. Sigmar Gabriel, der SPD-Chef, hat das ins Gespräch gebracht.

    Robbe: Ja, genau. Hier eine ganz klare Antwort: Ich kann das nicht erkennen, denn dieses Mandat ist auf der Grundlage dessen formuliert worden und auch gefasst worden, im vollen Wissen um alle Kriterien, dass es hier einen Strategiewechsel gibt. Daran ist jetzt noch einmal besonders deutlich erinnert worden durch den Besuch von General McChrystal, der auch im Detail erläutert hat, um was es geht. Das sind aber für die Fachpolitiker alles keine Neuigkeiten, sondern das sind Sachen, die schon vor einem halben Jahr bekannt waren. Man hat sich darauf eingelassen, die deutsche Politik hat sich darauf eingelassen. Es wird der Versuch jetzt unternommen, mit dieser neuen Partnering-Strategie einen Wandel herbeizuführen, eine neue Zusammenarbeit vor allen Dingen zu finden, auch mit den amerikanischen Verbündeten. Und jetzt muss dieses Mandat so umgesetzt werden. Das ist der Auftrag des Deutschen Bundestages. Ich will hier keine Ratschläge erteilen, erst recht nicht an das deutsche Parlament, aber ich möchte doch zumindest zu überdenken geben, ob es nicht jetzt ratsam ist, einfach in das Mandat zu schauen und das Mandat so umzusetzen, wie es beschlossen worden ist. Darum geht es im Prinzip.