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Weibliche Emanzipation 16. Jahrhundert

"Donata, Tochter Venedigs" ist der Roman eines weiblichen Emanzipations- und Bildungsprozesses im Venedig des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Die Lagunenstadt wird von Männern reicher Adelsfamilien regiert, die Stände sind scharf voneinander getrennt. Wer arm ist, bleibt arm und noch dazu politisch unmündig. Wer reich ist, bleibt reich und wahrt seinen Besitzstand und seine Privilegien. Über allem wachen der katholische Klerus und die Heilige Inquisition. Die Juden sind in ein Ghetto verbannt. Aber da Venedig eine Handelsstadt ist, die auf das Geld der jüdischen Bankiers angewiesen ist, werden zur Befriedigung des Vatikans strenge Gesetze erlassen, aber nach innen hin wird Toleranz geübt. Eine Toleranz, die auch einmal Frauen begünstigen kann, wenn es sich denn für das Geschäft, den Wohlstand und das Ansehen Venedigs als nützlich erweist.

Von Angela Gutzeit | 13.03.2004
    Mit dieser kurzen Skizzierung ist sowohl der historische Zeitabschnitt von Donna Jo Napolis Jugendroman gesetzt, wie auch das Interesse der Autorin an diesem Stoff angesprochen. Die amerikanische Linguistik-Professorin hat die Geschichte der Heimatstadt ihrer Vorfahren genau studiert, um in diesem Rahmen - man schreibt das Jahr 1592 - den Bedingungen nachzugehen, die einen weiblichen Bildungsweg möglich machten - allen Konventionen zum Trotz.

    Ihr historisches Vorbild ist dabei die italienische Gelehrte und Künstlerin Elena Lucrezia Cornaro Piscopia, die 1678 als erste Frau an der Universität von Padua den Doktortitel erwarb. Ihr hat Donna Jo Napoli diesen Roman gewidmet. Das hört sich zunächst recht akademisch an. Ist es aber nicht. Denn die fiktive Heldin des Romans, die vierzehnjährige Donata Mocenigo, wirkt in Jo Napolis sorgfältig recherchiertem Zeitgewebe keineswegs konstruiert, sondern überaus lebendig.

    Der Grundkonflikt der jungen Adelstochter klingt bereits auf der ersten Seite an. Unaufdringlich wird der Leser eingestimmt auf das, was Donata in ihrem innersten bewegt. Das Mädchen sitzt zusammen mit seiner Mutter, seiner Zwillingsschwester Laura und seiner jüngeren Schwester Paolina im Boot und denkt darüber nach, wie schön der Ausblick aus seinem Palazzo am Canal Grande sei, aber um wie vieles interessanter das Leben draußen sei - zwischen dem Getümmel der Boote und der Menschen.

    Aus dieser kleinen Momentaufnahme erklärt und entfaltet sich nach und nach die Schubkraft von Donatas Handeln. Es ist der Gegensatz von Drinnen und Draußen, die Empfindung von Eingesperrtsein und die Wahrnehmung vom Duft der Freiheit was diesen Roman strukturiert und spannend macht. Und diese Wahrnehmung ist bei Donata sehr ausgeprägt, so ausgeprägt, dass sie sich eines Tages die Kleider eines Fischerjungen besorgt und heimlich den Palazzo verlässt, um sich in den Gassen Venedigs umzusehen. Eine Unmöglichkeit für eine junge Adlige, deren untadeliger Ruf auf dem Spiel steht. Aber Donatas Zeit ist knapp, denn auf Mädchen ihres Standes und ihres Alters wartet die arrangierte Heirat oder das Kloster.

    Sie lernt das Judenviertel kennen und hier den jüdischen Schreiber Noé, in den sie sich verliebt. Sie sieht während ihrer kurzen Ausflüge die Armut jenseits der Paläste und das Schicksal der Gefangenen in den Kerkern, deren Zellenfenster fast auf dem Niveau des Wasserspiegels liegen, so dass sie bei Hochwasser überflutet werden. Sie sieht ihre Brüder, die sie liebt und bewundert, unbeschwert lachend und redend durch die Gassen gehen, während sie selbst sich verbergen muss, um nicht erkannt zu werden.

    Ein gefährliches Spiel, bei dem sie schließlich bis zum Äußersten geht und eine Verzweiflungstat verübt, um dem goldenen Käfig ihrer vorherbestimmten weiblichen Existenz zu entkommen. In Donna Jo Napolis Roman wird dieses Verhalten mit der ungewöhnlichen Intelligenz des Mädchens begründet. Sie kann sich nicht einfügen in die ihr zugedachte Rolle.

    Um dicht dran zu bleiben an der Beobachtungsgabe ihrer Heldin, an ihren wachen Empfindungen und ihrer raschen Auffassungsgabe, aber auch um die Identifikation mit dieser Heldin zu steigern, hat die Autorin für ihre Figur die Ich-Erzählung im Präsens gewählt. Bis auf kurze Retrospektiven sind Dialoge und Erzählpassagen in der unmittelbaren Gegenwart des Mädchens angesiedelt. Kein Erzähler ist also dazwischengeschaltet.

    Die Außenwelt - politische und wirtschaftliche Gegebenheiten, die die Lebenszeit und den Lebenskonflikt Donatas konturieren - muss den Filter dieser Ich-Erzählerin passieren, ohne jedoch diese Figur zu überfordern, aber auch ohne zuviel auszusparen. Diese Balance hat Donna Jo Napoli trefflich gewahrt.

    Sie entwirft ein weibliches Wesen, dass noch halb Kind ist, aber auch schon fast Frau, voll von Naivität und Albernheiten, gleichzeitig brennend vor Wissbegierde. Die Fragen dieses Mädchens erzwingen komplexe Antworten und setzen Denkprozesse in Gang, die der Autorin wiederum ermöglichen, zwanglos und fast beiläufig wichtige historische Details einzuflechten.

    Dass das manchmal auch ein wenig altklug klingt, kann man ohne Probleme als eine Nuance dieser jungen ungewöhnlichen Persönlichkeit wegstecken.

    Übrigens, Donata hat am Ende von Donna Jo Napolis schönem Jugendroman gesiegt: Sie darf studieren. Große Harmonie in der 14-köpfigen Familie der Mocenigos am Schluss des Buches! Das ist vielleicht ein bisschen zuviel des Guten. Aber in Donna Jo Napolis Roman wird nie dieser feine, interessante Faden fallengelassen, dass eine kluge Politik, ob in der Familie oder in der Gesellschaft, die Menschen dorthin stellt, wo sie zufrieden sind und damit - im Wirtschaftsjargon gesprochen - den meisten Profit abwerfen. Ein Gedanke, der keineswegs überholt ist!