Mittwoch, 24. April 2024

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Weibliche Religionsvermittlung im Islam
Trend zur Frömmigkeit

Die Bedeutung von Frauen als Islamgelehrte in Afrika nimmt wieder zu. Ein Angriff auf die patriarchale Vorherrschaft innerhalb des Religiösen gehe damit aber nicht einher, erklärt die Islamwissenschaftlerin und Afrikanistin Britta Frede im DLF. Es gehe besonders seit den 90er-Jahren eher um das Bekenntnis zu Traditionen.

Britta Frede im Gespräch mit Mascha Drost | 14.04.2017
    Eine Moschee auf Koh Lanta in Thailand.
    Eine Moschee auf Koh Lanta in Thailand. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Mascha Drost: Die Stellung der Frau im Islam ist ein Thema, worüber seit vielen Jahren sowohl in der westlichen als auch in der muslimischen Welt diskutiert wird. Von westlicher Seite wird dem Islam oft ein rückständiges Frauenbild vorgeworfen – allerdings, wenn man tatsächlich einmal richtig zurückblickt, ein paar Jahrhunderte zurück, dann möchte man doch lieber eine Frau im Orient als im mittelalterlichen Europa gewesen sein, denn damals waren Frauen als Gelehrte den Männern nahezu gleichgestellt.
    Sie unterrichteten in Moscheen, sie unterrichteten in Koranschulen, und Aischa, die jüngste Frau des Propheten Mohammed, soll allein die Hälfte des gesamten islamischen Wissens bewahrt haben. Zudem stammen viele Berichte von wichtigen Ereignissen oder Veränderungen aus weiblicher Feder – beispielsweise über den Anfang der prophetischen Mission.
    Von der Tradition lehrender Frauen ist heute allerdings nicht mehr viel zu spüren, allerdings nimmt durch die Privatisierung des Bildungssektors in Afrika die Bedeutung islamischer Bildungseinrichtungen wieder zu, und es wird auch wieder auf die Tradition weiblicher Religionsvermittlung und Lehre zurückgegriffen.
    Darüber habe ich vor der Sendung mit der Islamwissenschaftlerin und Afrikanistin Britta Frede gesprochen, die mehrere Jahre in verschiedenen Ländern Afrikas zu diesem Thema geforscht hat.
    Reine Islam-Tradition, staatliche Bildung und Mischformen
    Britta Frede: Es wird auf Tradition zurückgegriffen, und teilweise hat sie nicht geendet. Ich hab ein Beispiel: Ich arbeite seit Längerem in Nouakchott, der Hauptstadt von Mauretanien. In Mauretanien ist diese traditionell islamische Bildung nicht unterbrochen worden durch das Monopol einer staatlichen Bildungseinrichtung, sondern existierte parallel zur staatlichen Bildungseinrichtung durchgängig weiter.
    Dadurch gab es natürlich auch weiter Leute, die ausschließlich in dem islamischen traditionellen Bildungssektor gebildet waren, und da gab es auch durchgängig Frauen, die dort aktiv waren, eigene Schulen leiteten, unterrichteten und eben auch Texte verfassten.
    In anderen Regionen, wie zum Beispiel in Mombasa in Kenia, wo ich auch Forschungen gemacht habe, entsteht eher der Eindruck, wir haben hier eine Unterbrechung, einen Abbruch, und das wird jetzt wiederbelebt in einer Rückbesinnung auf ein bestimmtes islamisches Frömmigkeitsbild, und eben dann werden alte Traditionen ausgegraben und es wird gesagt, bei uns wird das alles nicht mehr richtig gemacht, wir müssen das jetzt uns von woanders wieder importieren.
    Starker Einfluss der Kolonialzeit auf den Gesellschaftswandel
    Drost: Und hab ich Sie richtig verstanden, dass dieser Abbruch einer Tradition durch staatliche Strukturen beeinflusst wurde?
    Frede: Ich würde sagen, dass sicherlich die Kolonialzeit hier einen sehr dramatischen gesellschaftlichen Wandel hervorgerufen hat – zum einen durch die Einführung eines Bildungssystems, welches für muslimische Gemeinschaften natürlich in Konkurrenz zu schon bestehenden Bildungssystemen eingeführt wurde, nämlich ein Bildungssystem, welches darauf abzielt, Menschen für den Arbeitsmarkt vorzubereiten.
    Und damit konnte natürlich dann auch eine traditionell islamische Bildungseinrichtung nicht zwangsläufig konkurrieren. Was dann entstand, waren Einrichtungen, die versuchten, beides zusammenzubringen, oder eben wie in Mauretanien wirklich die Koexistenz beider Einrichtungen, aber in den meisten Regionen eben nicht.
    Kein Angriff auf die patriarchale Vorherrschaft
    Drost: Vielleicht klingt die Frage jetzt etwas plump, aber vermitteln weibliche Lehrkräfte den Koran beziehungsweise den Islam anders?
    Frede: Ich glaube, nicht. Das ist eine Frage, die mir oft gestellt wird, aber ich glaube, das ist eben genauso wenig pauschal zu sagen. Es gibt ja Studien, zum Beispiel zur Frauen-Moscheen-Bewegung in Ägypten, und hier wurde ganz deutlich gezeigt, dass nicht zwangsläufig mit einer Frauenbewegung innerhalb des Religiösen ein Angriff auf die patriarchale Vorherrschaft einhergeht oder eine komplett andere Herangehensweise an denselben Textkorpus.
    Spezifische Aspekte für die Frauen im Unterricht
    Drost: Und setzen sie vielleicht andere Schwerpunkte?
    Frede: Die Schwerpunkte sind mit Sicherheit anders, insbesondere dann, wenn Frauen Frauen unterrichten, weil dann andere Themen im Vordergrund stehen.
    Da geht es natürlich dann sehr viel um die Rolle der Frau auch im häuslichen Kontext, dann geht es um bestimmte spezifische Reinheitsvorschriften, die allein Frauen betreffen, und es geht natürlich um die Vorstellung von Rollen der Frau in der Kindererziehung. Das sind Themen, die würde man vermutlich in der Form so, wenn man Männer unterrichtet, nicht in den Fokus stellen.
    Trend zu Frömmigkeit seit den 90er-Jahren
    Drost: Sie haben ja nun in Afrika geforscht, wie sieht es denn in anderen muslimisch geprägten Ländern aus – Iran, Irak, auf der arabischen Halbinsel oder in Indonesien etwa?
    Frede: Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben in Indonesien ebenfalls traditionell Bildungseinrichtungen, die dort weiterexistieren, aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich selber dort eben nicht geforscht habe, aber von der Literatur, die ich kenne, gibt es auch dort eine zunehmende Bewegung von Frauen.
    Und das hat damit zu tun, dass es einen generellen Trend seit den 1990er-Jahren zu einer gewissen Art von Frömmigkeit gibt, und die Bildung, also das Beschäftigen mit islamischen Texttraditionen, ist ein Teil von Frömmigkeitsaktivitäten.
    Frauengelehrte vermitteln weitestgehend dieselben Texte wie Männer
    Drost: Und wie reagieren die männlichen Gelehrten darauf, gibt es da vielleicht auch eine Art männliche Gegenwehr?
    Frede: Das gibt es grundsätzlich nicht. Grundsätzlich gibt es eigentlich keine Vorbehalte dagegen, dass Frauen sich mit islamischen Texten beschäftigen. Anders sieht es natürlich aus mit den sogenannten Gender-Dschihadisten, also Frauen, die hier versuchen, den Koran feministisch neu auszulegen, aber das meine ich nicht mit Frauengelehrten im klassischen Sinne. Die Frauengelehrten im klassischen Sinne vermitteln weitestgehend die gleichen Texte, die Männer auch vermitteln.
    Drost: Weibliche Wissensproduktion, Frauen als Mittlerinnen des Islams. Britta Frede war das, Islamwissenschaftlerin und Afrikanistin. Sie arbeitet am Berliner Leibniz-Zentrum Moderner Orient und forscht zu muslimischen Frauengelehrten und ihren Bildungsaktivitäten in Mauretanien, Kenia und Südafrika.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.