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Weibliche Stimmen unerwünscht

Das polnische Parlament hat die Rundfunkgebühr abgeschafft - für die Bürger sicherlich eine gute Nachricht. Weniger gut werden die Hörer von Polskie Radio den jüngsten Erlass der Programmdirektion aufgenommen haben. Mit der Begründung, Männerstimmen klängen besser und seien glaubwürdiger als Frauenstimmen, hat die Leitung des Senders alle Moderatorinnen aus seinem Frühprogramm gestrichen.

Zwischenruf von Beatrix Novy | 22.06.2009
    Die Fotos vom Dolce Vita in Silvio Berlusconis Villa auf Sardinien haben die deutsche Öffentlichkeit mit der Spezies der Veline bekanntgemacht, ohne die im italienischen Fernsehen keine Talkrunde, Spielshow oder Diskussionssendung auskommt. Sie sind langhaarig, langbeinig, super gelaunt, leicht bekleidet und tragen zur Gemütlichkeit bei. Es darf angenommen werden, dass die geklonten Busenwunder nicht in allererster Linie nach ihren stimmlichen Äußerungen beurteilt werden. Die haben es gut.

    Beim Radio, das war bisher ein Trost, muss niemand sein Geld zum Schönheitschirurgen tragen. "Wir sind ja nicht beim Fernsehen", ist eine gängige Bemerkung in Redaktionszimmern, wenn etwa eine Moderatorin sich über ihren Bad Hair Day aufregt oder über einen Kaffeefleck auf der Bluse. Im Radio kommt es nur darauf an, was man sagt und wie man es sagt. Und: mit wie viel Hertz man es sagt. Die mittlere Frequenz einer Frauenstimme liegt bei 205 Hertz. Das ist zu viel. Das quietscht. Darum, und das ist jetzt nicht erfunden, sollen in Zukunft im Ersten Programm des Polnischen Radios bis 14 Uhr nachmittags nur Männer am Mikrofon sitzen.

    Folglich suchten vorige Woche Moderatorinnen von Polskie Radio vergeblich nach ihrem Namen auf dem Dienstplan, da wo die Frühschichten eingetragen sind. In dieser Rubrik fanden sich nur noch die Namen von Kollegen. Leute mit einer durchschnittlichen Stimmfrequenz von 118 Hertz, was irgendwie einen vorteilhafteren Eindruck machen soll. Die Herren des öffentlich-rechtlichen Programms glauben zu wissen: Männerstimmen klingen einfach besser, seriöser, glaubwürdiger.

    Man soll sich ja nichts vormachen. Die sonore Stimme des Piloten, der sich im Flugzeug übers Mikrofon meldet, verfehlt nicht ihre Wirkung gerade auf weibliche Flugpaniker. Und es ist der schrille Ton, den Frauen am Rednerpult oft im Kampf um Lautstärke entwickeln, der sie so selten zu Volkstribunen aufsteigen lässt.

    Aber: Glaubwürdigkeit? Müssen wir uns im Ernst dieses Szenario vorstellen: Im Kernkraftwerk ist der Super-GAU eingetreten, durchs Radio wird die Bevölkerung dringend aufgefordert, die Fenster abzudichten und unverzüglich Keller und Bunker aufzusuchen. Aber am Mikrofon sitzt, leider, eine Sprecherin. Folge: Kein Mensch geht in den Keller. Pech für Polen. Mit einem Mann am Mikrofon wäre das nicht passiert. Dieser hypothetische Fall beruht natürlich auf der Annahme, dass sich Unfälle in Atomreaktoren grundsätzlich nur bis 14 Uhr ereignen.

    Diese Tageszeitregelung ist übrigens nur auf den ersten Blick ominös. Dass Frauen erst nach 14 Uhr den Dienst antreten können, muss daran liegen, dass sie dann mit dem Haushalt fertig sind. Die Betten gemacht, das Mittagessen gekocht, das Geschirr gespült. Das entspricht dem Frauenbild, das eine katholisch-nationale Mentalität zum Leidwesen polnischer Feministinnen und Frauenpolitikerinnen bis heute mitschleppt, unbeeindruckt von der Realität der Lebensverhältnisse, aufgelockert nur vom Sexismus, der sich heute liberalerweise austoben kann. Vor ein paar Jahren warb ein Privatsender mit dem Bild eines Frauenbusens, auf dem statt der Nippel Radiodrehknöpfe saßen. Heilige Maria hilf! Zu Ostblockzeiten muss es schon einmal eine Initiative zur Eindämmung weiblicher Radiostimmen gegeben haben. Die wurde damals zurückgeschlagen, mit dem interessanten Argument, der Rundfunk sei dazu da, Stereotype aus dem 19. Jahrhundert abzuschaffen, nicht, sie zu bestätigen.

    Wenn Radio Polskie seine im wahrsten Sinn aparte Mikrofonpolitik durchsetzt, kann es künftig damit angeben, sich weit hinter die kommunistische Ära katapultiert zu haben, direkt ins 19. Jahrhundert, als es kein Radio gab und anständige Frauen auch um 14 Uhr nicht zur Arbeit gingen.

    Natürlich dürfen Sie mir kein Wort glauben. Es ist jetzt noch nicht mal halb zehn Uhr morgens.