Donnerstag, 18. April 2024

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Weidetierhaltung
"Der Wolf ist ein Konkurrent des Schäfers"

Ein Wolfsangriff bedeutet laut Berufsschäfer Andreas Schenk nicht nur einen einmaligen wirtschaftlichen Schaden - er hat auch langfristige Auswirkungen auf Herde und Hütehunde. Trotzdem sei der Wolf nicht das wesentliche Problem der Schafhaltung heutzutage, sagte Schenk im Dlf.

Andreas Schenk im Gespräch mit Mario Dobovisek | 18.04.2018
    Die Schafe werden im Herbst von den Bergen zurück geholt.
    Der Herdenschutz sei sehr teuer, so Schäfer Andreas Schenk im Interview. (Picture Alliance / dpa / Epa / Birgir Thor Hardarson)
    Mario Dobovisek: Der Wolf ist zurück in Deutschland. 60 Rudel soll es inzwischen bundesweit wieder geben. Ein Reizthema für viele Landwirte, deren Weidetierhaltung mit dem Wolf vor neuen alten Herausforderungen steht. Denn der Wolf ist und bleibt ein Raubtier und reißt etwa das eine oder andere Schaf auf der Weide. Thema heute im Umweltausschuss des Bundestages bei einer Anhörung, zu der die Grünen den Bundesverband Berufsschäfer eingeladen haben. Für ihn spricht Andreas Schenk. Guten Morgen, Herr Schenk!
    Andreas Schenk: Guten Morgen!
    Dobovisek: Was wollen Sie den Politikern heute über das nicht immer glücklich endende Miteinander von Wolf und Schaf berichten?
    Schenk: Ja, Sie haben es schon gesagt. Das Zusammentreffen von Wolf und Schaf, wenn es denn wirklich passiert, endet selten gut für das Schaf und endet auch selten gut für den Schäfer oder die Schäferin. Aber zum Glück haben wir Mittel und Möglichkeiten, um dieses Zusammentreffen abzuwenden, in Form des Herdenschutzes. Aber Herdenschutz ist leider teuer, teilweise sehr, sehr teuer. Abhängig von den Flächen kann das Mehrkosten von 50 bis zu einigen hundert Euro haben. Diese Mehrkosten brauchen wir ersetzt, damit wir Herdenschutz machen können und damit wir als Schafhaltung auch weiter unsere Leistungen für die Gesellschaft erbringen können.
    Dobovisek: Gehen wir erst noch mal gemeinsam, Herr Schenk, einen Schritt zurück, bevor wir über den Schutz der Herden sprechen. Wie groß ist denn derzeit das Problem für Sie zum Beispiel als Berufsschäfer, das der Wolf verursacht?
    Schenk: Das muss man stark ausdifferenzieren. Wir haben ja nur einige Bundesländer, in denen der Wolf überhaupt da ist. Insofern Herdenschutz vorhanden ist wie zum Beispiel in Brandenburg, können dadurch Übergriffe relativ weitgehend minimiert werden. Aber in Brandenburg gab es, glaube ich, 2017 aus dem Kopf heraus gesagt 300 Risse, bei denen der Wolf nicht ausgeschlossen werden konnte als Verursacher, bei einem Bestand von, ich glaube, etwa 70.000 Mutterschafen. Das sind aus dem Kopf 0,5 Prozent der Tiere, die gerissen wurden. Das klingt nach nicht sehr viel. Das ist es auch in Bezug auf die Risse insgesamt. Aber so ein Übergriff auf eine Herde hat weitgehende Folgen für den Herdenverbund.
    Dobovisek: Welche?
    Schenk: Zum einen kann es zu einer geringeren Gewichtzunahme kommen. Es gibt weniger Lämmer pro Mutterschaf unter Umständen. Es kann zu Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen den Hütehunden und den Schafen kommen und das verursacht Arbeitsaufwand.
    "Der Wolf und der Schäfer sind natürlich Antagonisten"
    Dobovisek: Auf Deutsch gesagt: Die Schafe haben Angst vor dem Wolf. – Ist der Wolf damit des Schäfers Feind?
    Schenk: Nein, er ist kein Feind im eigentlichen Sinne. Der Wolf und der Schäfer sind natürlich schon Antagonisten. Der eine hat etwas, was der andere fressen möchte. Aber das gesamte Ökosystem besteht aus Antagonismen und da ist das keine Ausnahme. Der Wolf ist ein Konkurrent des Schäfers, könnte man sagen, aber ich würde jetzt nicht so weit gehen zu sagen, er sei ein Feind.
    Dobovisek: Andere sehen das nicht ganz so entspannt wie Sie ganz offensichtlich. Die Rückkehr des Wolfes ist aus ihrer Sicht ein Fehler und sie fürchten um ihre Sicherheit und die Existenz, erschießen sogar illegal einzelne Tiere. Ist da wieder die archaische übertriebene Angst vor dem bösen Wolf, oder ist da was dran an dieser Gefahr?
    Schenk: Ich glaube, das mit der archaischen Angst haben Sie sehr gut formuliert. Es gibt natürlich reale Bedrohungen, aber wenn man diese Bedrohungen in Relation setzt zu anderen Gefährdungen, denen wir uns tagtäglich in unserer Alltagswelt aussetzen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, eine unangenehme Begegnung als Mensch mit dem Wolf zu haben, doch sehr zu vernachlässigen. Man muss sich alleine einmal anschauen, wie viele Menschen durch Wildschweine verletzt werden oder durch Haushunde.
    Weder Kuschelopfer noch Monster
    Dobovisek: Also viel Lärm um fast nichts?
    Schenk: Das würde ich so nicht sagen. Ich meine, Ängste sind immer real und Ängste werden immer von Menschen erlebt und man muss diese Ängste ernst nehmen und man muss sich mit ihnen auseinandersetzen und Lösungen finden. Die Rückkehr des Wolfes ist abhängig von der Akzeptanz unter den Nutztierhaltern der ländlichen Bevölkerung. Das heißt, zum einen einen aktiven Dialog zu führen, und zum anderen, natürlich auch wirtschaftliche Schäden zu ersetzen und zu verhindern, dass es überhaupt zu Rissen oder Begegnungen mit den Menschen kommt. Der Wolf ist ein Wildtier und genauso müssen wir ihn auch nehmen. Wir dürfen ihn weder zum Kuschelopfer machen, noch dürfen wir ihn zu einem Monster hochstilisieren. Wir müssen ihn einfach in Ruhe lassen und wenn er auffällig wird, und beginnt, Weidetiere zu reißen, dann müssen wir ihn töten, und das müssen wir auch ehrlich so sagen.
    Dobovisek: Das will ja auch die FDP. Die FDP will den Wolf in das Jagdrecht aufnehmen. Bisher ist die Jagd auf Wölfe ja verboten, nur in wirklich geringen Ausnahmefällen gestattet. Folgen Sie eher der FDP oder doch den Grünen, die Sie heute eingeladen haben?
    Schenk: Nein! Der Wolf ins Jagdrecht, das ist aus unserer Perspektive absolut keine Lösung. Das bestehende europäische und deutsche Recht bietet genügend Möglichkeiten für die Tötung von Wölfen, die auffällig sind, die Interessen von Menschen mehr verletzen als es vertretbar ist. Diese Möglichkeiten müssen einfach nur genutzt und konsequent umgesetzt werden.
    Dobovisek: Wer entscheidet das, was vertretbar ist und was nicht?
    Schenk: Das ist zum einen natürlich eine juristische Frage und zum anderen ist es wie alles ein Produkt eines gesellschaftlichen Dialogprozesses. Vor Ort entscheiden das die jeweils zuständigen Naturschutzbehörden in den betroffenen Bundesländern. Brandenburg hat da beispielsweise gerade eine Verordnung erlassen, in der drinsteht, dass ein Wolf mit Blick auf die Weidetierhaltung dann zu entnehmen ist, wenn er zweimal Schafe gerissen hat, trotz Herdenschutz.
    Dobovisek: Da kommen wir zu einem ganz praktischen Problem. Wie will man das nachweisen?
    Schenk: Ja, das ist tatsächlich eines der großen Probleme in der gesamten Diskussion. Dafür brauchen wir tatsächlich mehr Diskussion und Brandenburg hat es, wenn ich mich richtig entsinne, so gelöst, dass sie gesagt haben, wenn kein einzelner Wolf zugeordnet werden kann und in einem Gebiet gibt es trotzdem Risse, dann kann auch das gesamte Rudel entnommen werden, sofern die Risse schwerwiegend genug sind.
    Dobovisek: Andere Bundesländer gehen Ihnen da nicht weit genug?
    Schenk: Ich finde, das, was Brandenburg da vorgeschlagen hat, ist schon eine sehr, sehr solide Lösung. Die muss sich nur noch in der Praxis bewähren. Man muss auch sehen: Wolfabschüsse an sich sind nicht einfach. Wenn man einzelne Tiere entnimmt, da ist die Literatur sehr, sehr gespalten. Aber einige Positionen zeigen auch ganz klar, wenn man zum Beispiel ein männliches Tier entnimmt, das sehr wichtig für den Verbund ist, dass es dann tatsächlich zu mehr Rissen kommen kann, weil die jüngeren Tiere weniger dazu in der Lage sind, Wildtiere zu jagen und eher auf Nutztiere gehen.
    Um noch einmal auf Ihre Frage zum Jagdrecht zurückzukommen: Es gibt da keine pauschale Lösung, sondern wir müssen erst mal hingehen und feststellen, wie die gesamte Interaktion von Herdenschutz, Wolf und Weidetieren überhaupt ist. Währenddessen müssen wir unsere Herden einfach gut schützen. Abgesehen davon ist der Wolf auch nicht das wesentliche Problem der Schafhaltung heutzutage. Das wesentliche Problem ist unsere fehlende Wirtschaftlichkeit und die ungenügende Förderung unserer öffentlichen Leistungen durch den Staat.
    "Wir brauchen eine Weidetier-Prämie"
    Dobovisek: Das heißt, sie fordern mehr Geld?
    Schenk: Ja. Wir brauchen eine Weidetier-Prämie zum Ausgleich der Mehrkosten unserer naturnahen Form der Weidetierhaltung.
    Dobovisek: Sie haben ja auch die Kosten angesprochen, die für einen Weidetierschutz anfallen würden, zum Beispiel, wenn Zäune gebaut werden müssen, wenn Hunde beschafft und ausgebildet werden müssen und so weiter. Jetzt mal ein bisschen ketzerisch gefragt: Wenn einzelne Tiere nur gerissen werden, ist dann der Schutz vor dem Wolf nicht viel, viel, viel teurer, als einzelne Tiere zu ersetzen?
    Schenk: Ja! Der Herdenschutz ist in der Breite gesehen tatsächlich die wesentlich größere Belastung für die Betriebe, als tatsächlich die Tierverluste an sich oder auch die indirekten Folgen dieser Tierverluste. Für einzelne Betriebe, die wiederholt Opfer von Übergriffen werden durch Problemwölfe, sieht das natürlich anders aus. Für die kann natürlich eine Serie von Übergriffen bereits existenzbedrohend sein. Aber in der Breite sind die Kosten des Herdenschutzes tatsächlich das viel, viel größere wirtschaftliche Problem aus der Rückkehr des Wolfes.
    Dobovisek: Was erwarten Sie da jetzt ganz konkret von der Bundesregierung?
    Schenk: Mit Blick auf den Wolf brauchen wir zum einen klare nationale Regelungen für den Umgang mit Problemwölfen, die Rechtssicherheit schaffen. Dann brauchen wir einfach eine ordentliche Forschung zu dem gesamten Thema Herdenschutz und einen Austausch zwischen Praktikern, zwischen europäischen Ländern, innerhalb Deutschlands. Und dafür brauchen wir ein Kompetenzzentrum Herdenschutz.
    Wir brauchen eine europäische Fördermaßnahme für den Herdenschutz und wir brauchen wirklich umfassende Entschädigungen für die Kosten von Herdenschutz und für die Folgen von Rissen für die Betriebe. Denn die extensive Weidetierhaltung bringt so viele anerkannte Leistungen für die Gesellschaft, dass es ein Konsens ist, dass man es sich nicht leisten kann, uns zu verlieren. Und das heißt natürlich auch, wir müssen erst mal die ökonomische Stabilität des Sektors wiederherstellen, und solange der Markt uns nicht für unsere Leistungen in Natur-, Umwelt- und Landschaftspflege bezahlt, muss die öffentliche Hand da eintreten. Deswegen brauchen wir diese Weidetier-Prämie.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.