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Weidmann will Banken abwickeln können

Bundesbankpräsident Jens Weidmann befürwortet ein "Abwicklungsregime" für Banken im Euroraum. Daran arbeite derzeit die Europäische Kommission. Das Ziel: Für die Abwicklung von Banken in Schieflage soll es eine "Haftungskette" geben, die den Steuerzahler schont.

Jens Weidmann im Gespräch mit Silvia Engels | 07.04.2013
    Silvia Engels: Herr Weidmann, das Europäische Zentralbanksystem und die Bundesbank haben spannende, sehr aufregende Zeiten hinter sich. Mit Zypern stand ein Land des Euroraums fast in der Staatspleite. Hatten Sie Angst, als die Banken wieder aufmachen sollten, dass die Zyprer die Banken stürmen werden?

    Jens Weidmann: Es gab natürlich die Sorge, dass die Unsicherheit über die weitere Entwicklung Zyperns sich auch auswirkt auf das Verhalten der Anleger in Zypern. Aber es wurden ja Vorkehrungen getroffen durch Kapitalverkehrsbeschränkungen, diesen Ansturm in der Anfangszeit der hohen Unsicherheit auch einzudämmen. Und wie es sich gezeigt hat, haben diese Maßnahmen ja auch gewirkt.

    Engels: Es ist nicht so weit gekommen, es gab keine langen Schlangen vor den Bankschaltern. Was hätte das bedeutet, wenn es dazu gekommen wäre, für den gesamten Euroraum?

    Weidmann: Also ich glaube, es ist wichtig, aus Zypern die Lehre zu ziehen, dass Banken auch abgewickelt werden können, trotz all der Probleme auf dem Weg dahin bei der Erarbeitung des Programmes. Und das ist eigentlich ein positives Signal und sollte insofern die Unsicherheit auch begrenzen helfen.

    Engels: Ist Zypern mit diesem ausgehandelten Plan, diesem Reformplan, der ja noch nicht durch alle Instanzen gegangen ist, was die zypriotische Seite angeht, das Mittel, um Zypern über den Berg zu bringen? Oder ist Zypern schon über den Berg?

    Weidmann: Ich glaube, es ist wichtig, und das nicht nur in Bezug auf Zypern, sondern in Bezug auf die Krise im Euro-Raum insgesamt, sich immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass sich die Probleme über eine sehr lange Zeit aufgebaut haben, die Ungleichgewichte, die zur Krise geführt haben, sich über eine sehr lange Zeit aufgebaut haben – und insofern auch nicht über Nacht gelöst sein werden. Also die Krise wird uns noch eine Weile begleiten, weil die strukturellen Ursachen der Krise angegangen werden müssen. Und das braucht eben Zeit.

    Engels: Rechnen Sie damit, dass Zypern noch einmal einen Nachschub an Liquidität braucht?

    "Die Krise wird uns noch eine Weile begleiten"
    Weidmann: Die Situation in Zypern hat sich in den letzten Tagen stabilisiert. Ich würde trotzdem nicht ausschließen, dass der Liquiditätsbedarf in Zypern steigt. Kern ist aber, dass Liquidität die Probleme in Zypern nicht löst, die Probleme sind struktureller Natur. Und die Überwindung dieser Probleme wird eben eine Weile dauern.

    Engels: Nun ist es ja so, dass der sehr große Bankensektor in Zypern kleiner gemacht werden soll. Darauf zielt auch das Programm, das jetzt mit dem Euroraum beschlossen worden ist. Wir haben den Eurogruppenchef Dijsselbloem gehört, der kurz nach Abschluss der Vereinbarung davon sprach, es sei eine "Blaupause". Man könne auch überlegen, bei künftigen Hilfsprogrammen stärker die Gläubiger, die Anteilseigner, aber auch die Sparer von Banken mit in dieses Hilfsprogramm einzubeziehen. Er ruderte dann zurück. Was ist es nun? Ist Zypern ein Einzelfall oder eine Blaupause?

    Weidmann: Zypern ist sicherlich keine Blaupause, weil der Bankensektor in Zypern außergewöhnlich groß ist und sich auch die Finanzierungsstruktur des Bankensektors in Zypern von anderen Ländern unterscheidet. Trotzdem ist es natürlich richtig, dass bei der Stabilisierung des Bankensystems das Verursacherprinzip auch Anwendung findet, dass also diejenigen in die Verantwortung genommen werden, die auch die Entscheidungen, die zu den Problemen geführt haben, getroffen haben – dass also zunächst einmal die Eigentümer der Banken in die Haftung genommen werden, dann die Fremdkapitalgeber, aber erst ganz am Ende der Haftungskette die Einleger, und möglichst nicht der Steuerzahler, sei es der nationale oder der europäische.

    Engels: Das heißt, Ihr Plan ist doch, dieses Modell, wenn es auch Zypern nicht genau ist, aber diese Idee fortzuentwickeln, dass demnächst bei künftigen Hilfsprogrammen möglicherweise auch Sparer über die Summe von 100.000 Euro, die garantiert sind, mit ihr Geld verlieren.

    Weidmann: Das ist eben genau nicht das Modell. Es gibt aber Arbeiten auf europäischer Ebene an einem Abwicklungsregime. Es geht ja darum, dass wir Banken, die in Schieflage geraten sind, nicht immer mit dem Geld der Steuerzahler retten müssen, sondern dass die Banken auch verursachergerecht abgewickelt werden können, ohne eine Gefahr für das Finanzsystem darzustellen. Und deswegen geht es auch darum, in diesem Rahmen erstens die Abwicklung zu ermöglichen und die Lasten dann durch die tragen zu lassen, die die Verantwortung tragen für die Entscheidungen, die zu den Problemen geführt haben. Und daran arbeitet im Moment die Kommission, nämlich an einer Richtlinie über ein Abwicklungsregime.

    Engels: Wie soll das konkret aussehen?

    Weidmann: Die Arbeiten sind im Moment in vollem Gange. Es geht insbesondere eben auch darum, eine richtige Haftungsreihenfolge zu definieren. Und die Haftungsreihenfolge sieht sicherlich so aus, dass die Eigenkapitalgeber, also diejenigen, die unternehmerische Verantwortung tragen, auch die Hauptlast der Anpassung tragen müssen.

    Engels: Das hieße, man würde überlegen, dass diejenigen, die in irgendeiner Form Geld in die Banken gesteckt haben, auch dann dafür haften. Und würde man diese Bank, die in Schieflage ist, im Notfall auch Pleite gehen lassen?

    Ziel ist, dass man Banken nicht mit Steuergeldern retten muss
    Weidmann: Na ja, das heißt zunächst mal, dass es einen Unterschied gibt in der Haftungsreihenfolge, dass also diejenigen, die unternehmerische Verantwortung tragen – das sind diejenigen, die das Eigenkapital zur Verfügung stellen –, dass die in der Haftungsreihenfolge am Anfang stehen. Und dass erst ganz am Schluss die Einleger beispielsweise stehen und die Einlagen, die unter 100.000 Euro fallen – also die durch die Einlagensicherung nach den EU-Regeln auch geschützt sind - möglichst nicht angetastet werden. Das ist die richtige Haftungsreihenfolge. Und das Ziel ist, dass man Banken, die in Schieflage geraten sind, eben nicht mehr zwangsläufig retten muss mit Steuerzahlergeldern und damit auch zu einem risikobewussteren Verhalten führt und in Zukunft möglichst Krisen weniger wahrscheinlich macht.

    Engels: Das heißt, das wäre der Weg hin zu einer Bankenunion in Europa letztendlich, dass das Bankensystem und die Gläubiger dort intern für mögliche Verluste haften. Ist das Ihre Idee?

    Weidmann: Nein, das ist sicherlich nicht der Kernpunkt der Bankenunion. Die Bankenunion, die ja als Begriff sehr unterschiedlich definiert wird, besteht meines Erachtens aus zwei wesentlichen Elementen. Das eine Element ist eine gemeinsame, nach einheitlichen, strengen Regeln operierende Aufsicht. Und das andere Element ist ein Abwicklungsregime, mit dem Banken eben auch abgewickelt werden können. Und dann kommen noch andere Elemente dazu, die sicherlich auch große Bedeutung haben, beispielsweise regulatorische Elemente, die verhindern, dass sich Banken mit staatlichen Risiken vollsaugen, wie das in der Vergangenheit passiert ist und was ja auch eine der Ursachen war, die bei Zypern eine Rolle gespielt haben, aber auch beispielsweise bei Griechenland.

    Engels: Der deutsche Sparer denkt dann aber auch, wenn Banken abgewickelt werden können und er hat möglicherweise Einlagen über 100.000 Euro, ist sein Geld nicht sicher. Was entgegnen Sie ihm?

    Weidmann: Also zunächst mal ist es doch so, dass der Sparer auch Steuerzahler ist. Und die Alternative für dieses Vorgehen ist, dass die Steuerzahler im jeweiligen Land und vielleicht auch in Europa als Ganzem geradestehen müssen für Fehler, die andere begangen haben. Und das ist eine Situation, die wir als Lehre aus der Krise verhindern wollen. Und genau deswegen geht es jetzt um ein vernünftiges Abwicklungsregime. Und dieses Abwicklungsregime schafft am Ende im Zusammenhang mit anderen Regelungen auch die Sicherheit für die Einleger in den Banken, dass ihre Einlagen dort sicher sind – beispielsweise dadurch, dass die Eigenkapitalregeln ja verschärft werden sollen über die Regulierungen von Basel III, sodass diejenigen, die am Anfang der Haftungsreihenfolge stehen, nämlich die Eigenkapitalgeber, dass die einen größeren Puffer aufbauen müssen, in den bei Problemen dann auch eingeschnitten werden kann. Das muss das Ziel sein. Also das Ziel kann nicht sein, dass die Anleger die Lasten von unternehmerischen Fehlentscheidungen tragen, oder von Bankenschieflagen. Das Ziel muss sein, das Bankensystem stabiler zu machen, durch eine bessere Aufsicht, durch höheres Eigenkapital und durch die Möglichkeit, Banken eben auch abzuwickeln, was dann auch wieder zu einem risikogerechteren Verhalten führt.

    Engels: Aber selbst wenn der Sparer ziemlich weit hinten in der Haftungskette steht – wenn er darin steht, hat er Sorgen, denn ein Anleger kann ja nicht immer genau überblicken, wie sicher die Bank ist, in der er sein Geld hat.

    Weidmann: Und deswegen arbeiten wir ja daran, dass das System als Ganzes stabiler wird. Also ich verstehe sehr gut, dass die Einleger nach den Diskussionen um die Rettung von Zypern unsicher geworden sind. Und dieser Unsicherheit gilt es jetzt entgegenzutreten, indem wir eben zeigen, dass durch die verschiedenen Regeln, die jetzt aufgestellt werden, eine bessere Aufsicht, solche Schieflagen, die dann auch zu einer Belastung der Einleger führen, weniger wahrscheinlich geworden sind, dass das System insgesamt sicherer geworden ist.

    Engels: Auf der anderen Seite könnte natürlich die Sorge von Anlegern, dass sie jetzt möglicherweise mit in die Haftungskette kommen, auch dazu führen, dass die Kapitalflucht zunimmt. Wir lesen gerade in Medien, dass Berichte aufgetaucht sind über weitgehende Netze, die Steueroasen betreffen. Könnte da nicht der Trend ausgelöst werden, dass aufgrund von Sorge, hier in Haftung genommen zu werden, mehr Geld außerhalb des Euroraums sich ansiedelt?

    Weidmann: Also ich glaube nicht, dass die steuerliche Gestaltung und die Steuerflucht in Steueroasen im Zusammenhang steht mit der Frage der Bankenabwicklung im Euroraum.

    Engels: Nun, mancher, der in Zypern Geld angelegt hat, wird sich schon wahrscheinlich eher gewünscht haben, er hätte es auf den Cook-Islands getan.

    Weidmann: Ja, ich weiß nicht, ob wirklich das Bankensystem auf den Cook-Islands am Ende sicherer ist als das Bankensystem im Euroraum. Ich glaube, die zentrale Erkenntnis ist doch, dass die Verzinsung in einem direkten Verhältnis steht mit dem Risiko, das man eingeht. Wenn ein Anleger hohe Zinserträge hat, steht dem in den meisten Fällen eben auch ein höheres Risiko gegenüber. Das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Erkenntnis. Und im Übrigen zielen alle Regulierungsbestrebungen eben darauf ab, das Finanzsystem sicherer zu machen und damit auch die Einleger, aber vor allem eben auch den Steuerzahler zu schützen.

    Engels: Ein Argument, weshalb der Steuerzahler bei früheren Bankenrettungen immer geradestehen musste, war ja auch die Systemrelevanz von Banken, dass eben eine Bank, die in Schieflage gerät, über ihre vielen Verflechtungen das gesamte System in den Abgrund reißen kann. Wenn ich Sie so höre, scheint das ja nicht mehr zu gelten.

    Weidmann: Ja, natürlich ist das noch ein Problem. Aber das Beispiel von Zypern, das Sie ja herangezogen haben, zeigt doch, dass Banken auch abgewickelt werden können, ohne das System als Ganzes zu gefährden. Und das ist ja zunächst mal ein positives Element. Gleichzeitig besteht das Problem fort, dass Banken zu vernetzt, zu groß sein können, um ohne Gefahr für das Finanzsystem abgewickelt zu werden. Und deswegen müssen diese Banken besonders gut, besonders sorgfältig, besonders streng beaufsichtigt werden. Und deswegen werden für diese Banken auch andere Kapitalregeln gelten. Sie müssen also mehr Eigenkapital als Puffer für Risikofälle vorhalten als andere Banken.

    Engels: Mehr Kapital aufzunehmen, sicher zu halten, ist das eine. Auf der anderen Seite wird auch im europäischen Raum immer wieder angesprochen, ein europäisches Einlagensicherungssystem aufzubauen. Und da wachsen wieder die Sorgen des deutschen Steuerzahlers, dass er am Ende über die Bankeneinlagen auch für marode Banken innerhalb des Euroraumes haftet.

    Bundesbankpräsident Jens Weidmann
    Weidmann: "Die Krise wird uns noch eine Weile begleiten" (Deutschlandradio - Nils Heider)
    Bankbilanzen sind immer auch ein Spiegel der Gesamtwirtschaft
    Weidmann: Ja, die Sorgen teile ich. Und ich glaube, dass eine gemeinsame Einlagensicherung eine sehr umfassende Haftungsvergemeinschaftung bedeuten kann und insofern im jetzigen System sicherlich nicht angemessen ist, weil eine entsprechende Kontrolle, die dieser Haftung gegenübersteht, nicht gegeben ist. Ich kann nicht für etwas haften, für das ich keine Kontrolle habe. Und Banken oder Bankbilanzen sind am Ende eben immer auch ein Spiegel der Gesamtwirtschaft. In ihnen spiegeln sich konjunkturelle Entwicklungen beispielsweise, aber in ihnen spiegelt sich auch die Solidität der Staatsfinanzen in einzelnen Ländern über die staatlichen Risiken in den Bankbilanzen.

    Und für diese Risiken kann ich nur dann gemeinschaftlich haften, wenn ich auch eine umfassende gemeinschaftliche Kontrolle habe. Und so lange diese Kontrolle nicht gegeben ist, würde diese Vergemeinschaftung der Haftung zu einem System führen, das in sich nicht schlüssig ist, aber auch zu einer viel zu großen Risikoübernahme führt. Und deswegen würde ich das nicht befürworten.

    Engels: Sie hören das Interview der Woche mit Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Das Thema Zypern haben wir schon angesprochen, aber es hat noch in einem anderen Zusammenhang in den letzten Wochen Relevanz gehabt. Das Stichwort lautet Machtzuwachs der Europäischen Zentralbank. Mancher hat sich daran gestoßen, dass es so wirkt, als ob die Europäische Zentralbank Zypern an einem Punkt ein Ultimatum gesetzt hat für die weitere Versorgung mit Liquidität und damit Zypern getrieben hat, doch dem Konzept der Euro-Gruppe zuzustimmen. Hat die Europäische Zentralbank hier ihr Mandat überdehnt?

    Weidmann: Zunächst mal ist es doch richtig, dass die Europäische Zentralbank oder das Euro-System darauf hinweist, dass es Liquidität nur nach seinen Regeln vergibt. Und diese Regeln erlauben eben nicht, bestimmte Situationen zu finanzieren. Das ist eine fiskalische Aufgabe. Also letztlich kommen wir doch zurück auf den Punkt, dass es wichtig ist, die Geldpolitik von anderen fiskalpolitischen Aufgaben zu trennen und auf den Punkt, dass die Unabhängigkeit der Notenbanken, die ein sehr wichtiges Element ist, darin, nämlich in der Lage zu sein, Preisstabilität zu gewährleisten, dass diese Unabhängigkeit nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Notenbank ein sehr eng begrenztes Mandat hat. Und dieses Mandat ist in den EU-Verträgen definiert, und an dieses Mandat müssen wir uns halten.

    Engels: War dann diese Entscheidung richtig?

    Weidmann: Wir haben darauf hingewiesen, dass die Gewährung von Notfallliquidität an bestimmte Regeln gebunden ist und wir mit Notfallliquidität am Ende auch keinen Zustand finanzieren können, den nur Staaten oder die Staatengemeinschaft auflösen kann, nämlich durch ein Hilfsprogramm.

    Engels: Auf der anderen Seite hat IWF-Chefvolkswirt Blachard kürzlich davor gewarnt, es gäbe jetzt schon eine zu große Machtfülle der Technokraten in den unabhängigen Zentralbanken. Sind wir also schon an dem Punkt, dass jetzt Warnungen kommen: Wenn man diese Kompetenzen der Zentralbanken so ausweitet, dann muss da auch stärkerer politischer Einfluss rein?

    Weidmann: Also, was wir sicherlich im Zuge der Krise gesehen haben ist, dass die Rolle der Notenbanken gewachsen ist. Wir haben neue Mandate bekommen, in Deutschland und auf der europäischen Ebene ein makroprudenzielles Mandat, was uns sozusagen eine Verantwortung für die Stabilität des Finanzsystems überträgt. Die Europäische Notenbank bekommt die Aufgabe der Bankenaufsicht übertragen. Und viele sehen in der Notenbank in der Krise den einzigen handlungsfähigen Akteur. Und in dieser Entwicklung sehe ich schon die Gefahr, dass man die Notenbank überfordert. Insofern, als die Krise im Euroraum am Ende nur durch die Politik gelöst werden kann, indem sie nämlich die strukturellen Ursachen der Krise angeht und nicht durch die Geldpolitik.

    Und dieser Aufgabenzuwachs, diese Erwartungen, die an die Notenbank adressiert werden, die führt natürlich auch zu einer Politisierung der Notenbank, die ablenken kann von unserem eigentlichen Hauptziel, nämlich der Gewährleistung von Preisstabilität. Und insofern ist es eben wichtig – und das ist mein Punkt, den ich immer wieder mache –, dass wir klarmachen, klarstellen, dass unser Ziel die Gewährleistung von Preisstabilität ist und wir uns auch auf dem Weg zu diesem Ziel nicht ablenken lassen und insofern auch vermeiden sollten, zu sehr in den Bereich der Fiskalpolitik hineingezogen zu werden. Wenn die Notenbank fiskalpolitische Aufgaben übernimmt und beispielsweise Risiken umverteilt zwischen den Steuerzahlern in einzelnen Ländern, und das ist ja die Diskussion, die wir haben bei dem Staatsanleihenkaufprogramm der Notenbank, dann muss ich mich nicht wundern, dass es Stimmen gibt, die sagen, dieser Bereich gehört eigentlich demokratisch kontrolliert, denn das ist die Domäne der Parlamente und der Regierungen. Deswegen ist es eben wichtig, dass wir uns aus diesem Bereich auch heraushalten.

    Engels: Sie warnen schon länger vor diesem Programm, die Staatstitel anzukaufen. Die Befürworter argumentieren, hätte die EZB nicht gehandelt, hätte sich die Krise niemals beruhigt. Auch die Garantie, die EZB-Chef Draghi ausgesprochen habe, sei sinnvoll gewesen. Sie argumentieren immer mittelfristig, aber was tut man kurzfristig? Haben da diejenigen, die eine expansivere Politik im Blick haben, nicht recht?

    Bundesbankpräsident Jens Weidmann und Silvia Engels
    Bundesbankpräsident Jens Weidmann und Dlf-Redakteurin Silvia Engels (Deutschlandradio - Nils Heider)
    Staatsanleihenkaufprogramme behandeln nur die Symptome
    Weidmann: Zum einen zeigt ja gerade die Entwicklung in Zypern, dass die Krise nicht vorbei ist und auch nicht durch die Ankündigung gelöst worden ist, sondern dass die Krise strukturelle Ursachen hat, die eben auch durch die Politik bewältigt werden können. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass wir mit den Staatsanleihenkaufprogrammen, die ja schon seit Mai 2010 stattfinden, letztlich nur die Symptome der Krise behandeln können und nicht ihre Ursachen, und diese Symptomtherapie wie auch ein Schmerzmittel eben auch Risiken und Nebenwirkungen mit sich bringt und die Zentralbank immer weiter in einen Bereich hineinzieht, der der Bereich der Fiskalpolitik ist, mit den gerade von Ihnen beschriebenen Forderungen.

    Und ich glaube auch nicht, dass die Behauptung wahr ist, dass die Notenbank der einzig handlungsfähige Akteur ist. Es ist ja der ESM, also der Rettungsfonds gegründet worden, genau um diese Aufgaben zu übernehmen, nämlich in einem Notfall Ländern Finanzierung bereitzustellen, um einen Anpassungsprozess, der notwendig geworden ist, über die Zeit zu strecken. Also dieser Ansatz Hilfe gegen Auflage, für den der ESM steht, der ist ja funktionsfähig. Und insofern führt das Nichthandeln oder der Nichtkauf von Staatsanleihen nicht dazu, dass die Krise zwangsläufig eskaliert, sondern sie führt vor allem dazu, dass die Politik mit ihren Instrumenten handelt. Und sie ist auch dazu legitimiert. Das ist eine politische Entscheidung.

    Engels: Aber kurzfristig könnte es sein, dass beispielsweise Slowenien auch Schmerzmittel braucht, denn da erleben wir ja, dass zwischenzeitlich die Zinsen auf neue Staatstitel, oder auch auf mittelfristig laufende, doch sehr stark gestiegen sind. Muss hier dann doch wieder der Pillengeber EZB ran?

    Weidmann: Die Probleme in den einzelnen Ländern können durch die Notenbank nicht gelöst werden. Und die Notenbank für diese Problemlösung zu vereinnahmen birgt sehr hohe Risiken. Wenn Slowenien einen Finanzierungsbedarf hat – wir reden ja hier um die Finanzierung von Haushaltsdefiziten oder von Bankenabwicklungen –, dann ist der richtige Adressat der ESM, also der Rettungsfonds. Uns als Notenbank ist die Finanzierung von Staaten in den EU-Verträgen verboten, und zwar aus guten Gründen, weil sich in der Vergangenheit eben gezeigt hat, dass diese Politik Begehrlichkeiten weckt, die am Ende die Aufmerksamkeit auf das Ziel der Preisstabilität gefährden können.

    Engels: Jetzt haben einige Euro-Staaten, zuletzt waren es Italien, Belgien, aber auch Slowenien, gemeldet, dass sie die eigenen gesetzten Sparvorgaben nicht erfüllen können. Ist das ein Phänomen, dass dort nicht intensiv genug reformiert wird oder ein Phänomen, dass die allgemeine Konjunkturerlahmung im Euroraum diesem Sparwillen entgegensteht?

    Weidmann: Es gibt sicherlich beide Komponenten. Natürlich ist die Haushaltsentwicklung eines Staates abhängig von der konjunkturellen Entwicklung, aber wir sehen gleichzeitig auch, dass in vielen Ländern der Reformeifer oder der Wille zu Einschnitten, zu Reformen, zu einer Ursachentherapie auch abgenommen hat. Und genau das ist das Problem.

    Engels: Meinen Sie da Italien?

    Weidmann: Der Handlungsdruck kann eben auch durch die Maßnahmen der Notenbank gesenkt werden, wenn der Ausweg über eine Notenbankfinanzierung als bequemer Weg im Raum steht. Und insofern kann diese Senkung des Handlungsdruckes eben auch dazu führen, dass die eigentlichen Ursachen weniger angegangen werden.

    Engels: Ist das eine Kritik an Italien, wo man ja keine Bewegung sieht im Moment?

    Weidmann: Also, in Italien muss sich zunächst einmal eine Regierung bilden, die dann handlungsfähig ist. Das ist da das Grundproblem. Im Moment funktioniert Italien im fiskalpolitischen Autopiloten, wenn Sie so wollen, was vielleicht auch nicht das Schlechteste ist, weil die beschlossenen Maßnahmen auch zunächst einmal umgesetzt werden. Gleichzeitig entsteht durch diese Interimszeit natürlich eine Unsicherheit, die nicht zuträglich ist, das Vertrauen zu schaffen, das nötig ist, nämlich Vertrauen darin, dass die Probleme angegangen werden.

    Die Probleme sind ja nicht, dass wir zu wenig Liquidität haben im Euroraum oder die Notenbank nicht aktiv würde. Wir haben historisch niedrige Leitzinsen, wir haben einen Modus der Vollzuteilung, also jede Bank bekommt die Liquidität, die sie auch bei uns nachfragt. Die Probleme sind vielmehr ein Mangel an Wettbewerbsfähigkeit in einzelnen Ländern und Zweifel an der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen. Und da müssen wir ansetzen. Das können auch nur die Regierungen tun.

    Engels: EZB-Präsident Draghi hat sich skeptisch geäußert, was die Konjunkturentwicklung angeht. Sehen wir mittelfristig einen weiteren Zinsschritt nach unten?

    Weidmann: Also, wir spekulieren ja grundsätzlich nicht über die nächsten Zinsschritte, zumal wir gerade diese Woche eben keine Entscheidungen in Bezug auf Zinssenkungen getroffen haben. Klar ist, dass das Szenario, das wir in unseren Prognosen sehen, nämlich das einer graduellen Erholung weiterhin gilt, aber eben aufgrund der Unsicherheit mit höheren Risiken behaftet ist.

    Engels: Werfen wir noch einen Blick nach Japan. Dort geht man einen vollkommen anderen Kurs. Gerade erst hat die Zentralbank dort noch mal gewaltig nachgelegt mit einem sehr expansiven Kurs. Sie will den japanischen Markt mit Geld fluten, will damit Deflationstendenzen bekämpfen. Erleben wir denn damit nicht doch den Einstieg in einen Währungskrieg, weil darüber auch der Yen wieder abwertet und dementsprechend möglicherweise ein Wettbewerb zwischen den verschiedenen Währungsräumen für den niedrigeren Wechselkurs einsetzt?

    Weidmann: Also, zunächst mal ist es auch in Japan so, dass die Ursachen der deflationären Entwicklung dort und der verhaltenen Wirtschaftsentwicklung ja nicht in einer mangelnden Versorgung mit Liquidität liegen, sondern eben struktureller Natur sind, demografischer Natur beispielsweise, aber auch in der hohen Staatsverschuldung liegen. Und da muss meines Erachtens eine sinnvolle Politik ansetzen. Wir sind uns auch im G20-Rahmen, und das war ja auch Teil der letzten Erklärung, einig, dass die Lösung der Probleme nicht sein kann, einen Abwertungswettlauf zu beginnen, der am Ende nur Verlierer kennen wird. Das hat die Vergangenheit nur allzu deutlich gezeigt.

    Engels: Wie lange werden wir noch mit den Folgen der Schuldenkrise leben?

    Weidmann: Ich bin der Auffassung, dass die Bewältigung der Krise sich nicht in Monaten rechnet, sondern dass wir noch Jahre damit beschäftigt sein müssen, weil das Wiedererlangen der Wettbewerbsfähigkeit beispielsweise und die Konsolidierung der Staatsfinanzen sehr umfassende oder sehr weitreichende Herausforderungen sind, die uns noch lange Zeit beschäftigen werden.

    Engels: Herr Weidmann, vielen Dank für das Gespräch.

    Weidmann: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.