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Weihnachten 2016
Geprägt von Terror und Debatten

Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche, die nachfolgenden Debatten über Zuwanderung und Sicherheitspolitik prägen das Weihnachtsfest in diesem Jahr. Die Debatte dürfte die kommenden Wochen weitergehen und wohl auch das Wahljahr 2017 beherrschen.

25.12.2016
    Die kleine Figur eines Engels liegt am 22.12.2016 auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin auf einer Grabkerze.
    Eine kleine Engelfigur am Ort des Anschlags auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin auf einer Grabkerze. (picture alliance / Rainer Jensen/dpa)
    Am Tag der Deutschen Einheit wurde Joachim Gauck in Dresden ausgepfiffen und beleidigt, zu Weihnachten appelliert der Bundespräsident an die Bürger, den Respekt gegenüber Andersdenkenden nicht zu verlieren. Seine letzte Weihnachtsansprache als Staatsoberhaupt ist geprägt von der Sorge, dass die Deutschen in der hitzigen Diskussion über die richtige Flüchtlingspolitik weiter auseinanderdriften könnten: "Gerade in Zeiten terroristischer Attacken sollten wir die Gräben in unserer Gesellschaft nicht vertiefen, weder Gruppen pauschal zu verdächtigen, noch Politik pauschal zu Schuldigen erklären. Wir sollten das Augenmaß bewahren und die Achtung vor dem politischen Gegner!"
    Weihnachten 2016 ist geprägt vom Terror, geprägt auch von heftigen Auseinandersetzungen über die Zuwanderung. Innenminister Thomas de Maiziere versucht aber auch Positives in den Vordergrund zu rücken. "Die Reaktion der Bevölkerung ist großartig", sagt der Christdemokrat in der "Bild am Sonntag". "Ich bin beeindruckt von der Geschlossenheit, von der gemeinsamen Trauer, aber auch von der Unerschrockenheit, unseren Lebensstil nicht ändern zu wollen", hatte de Maiziere gesagt, kurz nachdem am Freitag deutlich geworden war, dass der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz nicht für weiteres Leid sorgen könne. Zugleich erinnerte er daran, der Fahndungserfolg kann den Schmerz der Angehörigen der Opfer kaum lindern: "Und wir werden auch weiter sie in unsere Gedanken einschließen!"
    "Gerade deshalb feiern wir Weihnachten"
    Das taten auch viele Menschen in den Weihnachtsgottesdiensten. In Berlin zog es sehr viele Besucher in die Gedächtniskirche am Anschlagsort. Der dortige evangelische Pfarrer Martin Germer gegenüber den Kollegen von ntv: "Ich bin das sehr oft gefragt worden jetzt, wie kann man überhaupt Weihnachten feiern? Kann man da so tun, als ob nichts gewesen wäre? Und ich ich sage, gerade deshalb feiern wir Weihnachten, weil es darum ja geht, dass Gott hinein kommt in unsere welt, so wie sie ist - mit aller Gewalt -, um uns Hoffnung zu geben und uns im Frieden zu bestärken."
    Unterdessen versuchen mehr als hundert Ermittler auch an den Feiertagen herauszufinden, welche Mitstreiter Anis Amri hatte. Für Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik deutet vieles auf eine enge Verbindung zum sogenannten Islamischen Staat hin. Im Deutschlandfunk erläutert er, dass der IS in den Maghreb-Staaten besonders viele Anhänger zu rekrutieren vermag, für den Kampf in Syrien oder für Attentate in Europa: "Die meisten terroristischen Anschläge der letzten zwei Jahre, vor allem die im Auftrag des IS, die wurden verübt von Marokkanern und Marokkanischstämmigen und von Tunesiern und von Tunesischstämmigen."
    Kürzung von Entwicklungsgeld
    In der politischen Diskussion rücken Forderungen nach einer schnelleren Abschiebung von sogenannten Gefährdern aus solchen Staaten in den Mittelpunkt. Tunesien hatte sich geweigert, Amri wieder aufzunehmen. Die notwendigen Papiere wurden erst zwei Tage nach dem Anschlag ausgehändigt. Innenminister de Maiziere bringt nun die Kürzung von Entwicklungsgeld ins Spiel, die auch SPD-Chef Sigmar Gabriel schon einmal gefordert hatte. Seine Parteifreundin Eva Högl hält davon nicht viel. Armut treibt Menschen in die Arme von Islamisten, lautet ein oft gehörtes Argument: "Die Entwicklungshilfe ist möglicherweise nicht das geeignete Instrument, aber man muss die Länder unter Druck setzen müssen".
    Der Druck insbesondere auf die Grünen wächst, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, um damit zumindest für schnellere Asylverfahren zu sorgen. Die Abschiebehaft soll verlängert, die Haftgründe ausgeweitet werden. Gefährder sollen vor der Abschiebung festgenommen werden können, auch wenn sie nicht straffällig geworden sind. Die CSU-Europaabgeordnete Hohlmeier drängt auf einen besseren Datenaustausch. Offenbar waren deutsche Behörden nicht über die kriminelle Vorgeschichte Amris und sein in Italien abgelehntes Asylbegehren im Bilde, als der Tunesier 2015 nach Deutschland kam: "Es muss jeder Flüchtling, der da ist, muss tatsächlich in einer Datenbank stehen. Und es müssen die Daten auch abgeglichen werden mit den Daten zum Beispiel der europäischen Straftäterdatenbank."
    "Wir müssen wissen wer bei uns ist."
    Die CSU bringt die Idee von Transitzentren wieder auf den Tisch. Menschen deren Identität nicht geklärt ist, müssen an der Grenze festgehalten werden, fordert Parteichef Horst Seehofer. "Man kann doch nicht allen Ernstes glauben, ein Terrorist, der sich einschmuggeln will, melde sich brav in der Transitzone", kontert SPD-Vize Ralf Stegner. Sie habe noch keine abschließende Meinung dazu, räumt dagegen die Abgeordnete Eva Högl ein. Ganz klar sei aber: "Wir müssen wissen wer bei uns ist."
    Die Debatte über die Sicherheits- und Flüchtlingspolitik dürfte die kommenden Wochen und wohl das Wahljahr 2017 beherrschen. CSU-Chef Horst Seehofer hat seine Forderung nach einer Obergrenze von maximal 200.000 Zuwanderern jährlich noch einmal wiederholt. "Sie kommt für den Fall, dass wir regieren. Das gebe ich hier zu Protokoll", hat er der "Welt" gesagt und damit die Kanzlerin weiter unter Druck gesetzt.
    "Es muss diese Auseinandersetzungen geben, auch darüber, ob wir zukünftig noch mehr tun müssen, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten", meint der Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache. Bleibt zu hoffen, dass diese Auseinandersetzung nach dem Terroranschlag von Berlin nicht noch weiter an Schärfe zunimmt.