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Weihnachten in Island
Wenn die Wurststibitzer kommen

Für die Weihnachtsgeschenke sind in Island die 13 Jólasveinar, die Weihnachtsburschen, zuständig. Traditionell kommen sie in der Weihnachtszeit aus den Bergen hinunter zu den Menschen, denen sie Streiche spielen und deren Speisen sie vernaschen. Inzwischen sind sie vor allem dafür zuständig, braven Kindern Geschenke zu bringen.

Von Margarete Blümel | 19.12.2014
    Ein Troll steht am 17.12.2008 auf der Fensterbank der Schulaula in der Dorfschule von Grimsey. Die Trolle spielen für die Menschen auf der isländischen Insel am Polarkreis eine entscheidende Rolle zu Weihnachten. Jeder anständige Isländer glaubt an sie und hütet sich, sie irgendwie zu verärgern.
    Wurststibitzer, Fleischkraller oder Kerzenschnorrer: Die isländischen Weihnachtsburschen haben ihren Ursprung in den nordischen Mythen. (picture-alliance/ dpa / Georg Ismar)
    "Hoch in Islands blauen Bergen
    wimmelt's von Riesen, Gnomen, Zwergen.
    Da steht auch in einer Höhle am Feuer
    Berghexe Gryla, das Ungeheuer.
    Hungrig wartet der faule Vater
    und noch ein Biest, der Weihnachtskater.
    Bald rührt sich 'was in der Höhlenschlucht,
    es wird gekichert, gegähnt, geflucht,
    ein lautes Schimpfen, Lärm und Krach,
    jetzt werden die Weihnachtsburschen wach.
    Schwankend und wankend, vom Schlaf betrunken,
    stehen sie auf, die kleinen Halunken.
    Es lockt diese Burschen ein hehres Ziel,
    köstliches Essen – und möglichst viel.
    Der Weg aus dem Hochland ist lang und schwer,
    der fauchende Kater schleicht hinterher.
    Sie brechen auf, nicht mit einem Schlag,
    sondern jeder einzeln, Tag für Tag."
    Harmlose Diebe aus den Bergen
    "Diese Weihnachtsburschen, wir kennen sie vom 17. Jahrhundert, da waren sie Riesen und Kinderfresser – also gar keine guten Burschen! Allmählich haben sie sich etwas gemildert, genau im Takt mit dem besseren Lebensstandard der Bevölkerung", sagt der isländische Historiker Arni Björnsson.
    "Früher war es so – die hatten ihren eigenen Namen. Und jeder von diesen 13 machte etwas Schlechtes, als er kam. Der eine wollte die Schafe scheuchen oder die Kühe scheuchen oder eine Katze stehlen oder Fleisch stehlen oder Speisequark stehlen. Sie waren Diebe! Harmlose vielleicht, aber sie waren Diebe. Sie waren gar keine guten Leute."
    Lange ging es den Weihnachtsburschen in ihrer kalten Heimat gut, trotz oder vielleicht sogar gerade wegen ihrer Untaten, bis:
    "Im 20. Jahrhundert, so in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts, da bekamen sie einen Rivalen: In die Schaufenster der Geschäfte kam Santa Claus! Und was nun? Das war ein Tauziehen zwischen den alten und den neuen. Und um 1930 wurde ein gewisser Kompromiss gemacht. Da fing auch der Staatliche Rundfunk an und die Weihnachtsburschen sollten in der Kinderstunde im Rundfunk da sein.
    Weihnachtsburschen im Santa Claus-Gewand
    Und dann musste man da einen Kompromiss machen. Und der Kompromiss war so: Die Weihnachtsburschen sind dreizehn, nicht einer, sondern dreizehn, sie haben jeder einen eigenen Namen, jeder einen eigenen Charakter, aber sie haben die Kleidung des Santa Claus an sich genommen und werden von jetzt ab gutmütiger zu den Kindern sein als früher. Das war der Kompromiss."
    Doch diese ausländische Sitte hatte bei den eigenwilligen Insulanern auf lange Sicht keinen Bestand:
    "Und so war es eigentlich bis vor etwa zehn, fünfzehn Jahren. Dann hat das Nationalmuseum damit angefangen, die alten Burschen in ihrer alten Kleidung zu zeigen. Und dann hat das den Kindern viel Spaß gemacht. Man hörte nämlich siebenjährige Kinder sagen, als sie diese Alten sahen: Ach ja, ich wusste immer, diese roten - sie waren falsch, sie waren fake! Diese sind die echten!"
    Einer dieser "Echten" tritt stets wohlweislich erst am 23. Dezember in Erscheinung. Zu einem Zeitpunkt also, wenn der am nächsten Tag kredenzte fermentierte Fisch, der Rochen, schon auf dem Herd bereitsteht. Und der gebratene Schweinerücken, die Schneehühner und der Lammschinken für den ersten Weihnachtstag ihrer Vollendung harren. Und dabei doch zu keinem Zeitpunkt sicher sind vor dem Einen – Ketkrokur, dem Fleischhangler.
    "Am Schornstein sitzt er, guckt herunter
    und was er sieht, das macht ihn munter.
    Im Rauchfang unten die fetten Happen,
    den Haken hat er, um sie zu schnappen.
    Da fühlt sich mancher schwer betrogen,
    das Weihnachtsessen ist weggeflogen."
    Doch selbst ein solcher Schelm vermag nicht, den Geist des Yule, des isländischen Weihnachtsfestes, zu vertreiben. Einer alles durchdringenden Kraft, die dem langen, dunklen, zumeist eisesstarren Winter ein Gutteil seiner Schwere nimmt. Und während Abertausende von Lichtern an den Hauseingängen, in den Gärten und im Inneren der Häuser einen wohligen Schein verbreiten, nimmt eine seltsam feierliche Stimmung von den Insulanern Besitz.
    Der Geist des Yule
    "Obwohl man gar nicht gläubig ist – man hört den Gottesdienst an. Immer dieselben Hymnen, man ist wieder ein Kind. Dann isst man danach, dann werden die Geschenke ausgeteilt. Und sehr oft ist es so - die Geschenke werden eigentlich versteckt. Und das sieht so aus, besonders wenn Kinder da sind: Für viele gibt es dieses Mal keine Geschenke! Und dann kommt jemand: 'Hier ist doch eines!' Und dann einer nach dem anderen. Es ist ein gewisses Schauspiel. Man weiß nicht, ob es überhaupt Geschenke gibt, und dann nicht, wie viele. Ein gewisses Schauspiel ist das!"
    Ein gewisses, hell erleuchtetes Schauspiel, das damit eine magische Anziehungskraft auf einen weiteren der dreizehn Weihnachtsburschen ausübt – auf Kertasnikir nämlich, den Kerzenschnorrer, der just am 24. Dezember, als letzter seiner Zunft, die einheimischen Haushalte heimsucht.
    "Der jüngste liebt von ganzem Herzen
    den hellen Schein der Weihnachtskerzen,
    denn dieses Wunder, das funkelnde Licht,
    gibt es zu Hause in den Bergen nicht.
    So manches Kind hat wohl auch, halb verdeckt,
    dem Kertasnikir eine Kerze zugesteckt."