Donnerstag, 28. März 2024

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"Weil diese Geschichte eben noch dampft"

Die LINKE eine Ansammlung von Ex-SED-Mitgliedern und Stasi-hörigen Politikern, ohne jede Wandlung in den 20 Jahren seit der Wende? Hubertus Knabe geht in seiner Abhandlung über die mutmaßliche Wahrheit hinter der LINKEN in viele Details - Rezensent Günter Hellmich wäre es lieber gewesen, "ohne Schaum vor dem Mund".

Rezensiert von Günter Hellmich | 16.03.2009
    Jawohl, sie singen das Lied immer noch. Am Ende jedes Parteitags der LINKEN - hier letztes Jahr in Cottbus - wird die Hymne der Kommunisten eingespielt und mehr oder weniger kräftig mitgesungen. Hubertus Knabe erwähnt diese Traditionspflege nicht, obwohl ein guter Teil seines neuen Buches davon handelt, die gerade Linie der politischen Ahnengalerie von Liebknecht über Thälmann, Ulbricht, Honecker bis Gysi und Lafontaine zu dokumentieren. Der Verzicht ist verständlich, denn schließlich verspricht uns der Titel "Die Wahrheit über die Linke" – so etwas wie Enthüllungen –, aber was sich zwei oder drei Mal im Jahr in aller Fernsehöffentlichkeit vollzieht, braucht ja nicht ans Tageslicht befördert zu werden. Allerdings finden sich in dem Buch auch ansonsten keine neuen Fakten oder Quellen, die einen halbwegs aufmerksamen Zeitungsleser zu neuen Erkenntnissen über die Linken brächten. Eher ein Munitionsdepot für Diejenigen, die sich in den kommenden Wahlkämpfen mit der Linkspartei – nach Art bekannter Roter-Socken-Kampagnen auseinandersetzen wollen. Dreh- und Angelpunkt ist dabei für Hubertus Knabe die SED als Staatspartei der DDR, deren Rechtsnachfolge die LINKE ja tatsächlich angetreten hat:

    "Ich versuche eben deutlich zu machen, wie diese Partei tickt, wer sie stellt, wie es überhaupt dazu kam, dass sie bis heute existiert, die Partei, die damals so auch vom Volk verjagt worden ist, sich auf diese Weise in die neue Zeit hat retten können. Bis hin zu dem obskuren Personal, was hier hinter den beiden Frontmännern Lafontaine und Gysi sich in vielen Landtagen und anderswo tummelt, dass sind alles Dinge, die doch vielen Menschen, glaube ich, nicht bekannt sind."

    Die Perspektive Knabes ist allerdings nicht die des halbwegs objektiven Historikers, sondern die eines höchst emotional engagierten Anwalts der Stasi-Opfer, die – was für sie auch subjektiv verständlich ist -, in der ganzen SED nichts anderes sehen können als eine Verbrecherbande. Was den Autor betrifft, ist man zu seiner Entschuldigung fast geneigt, dem plattesten Materialismus zu huldigen: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Wer wie Hubertus Knabe seinen Arbeitsplatz hinter Wachtürmen und Stacheldraht bewehrten Gefängnismauern in der Stasi-Gedenkstätte hat und zuvor in der Gauck-Behörde, kann vielleicht nicht anders als aus dieser verengten Perspektive heraus urteilen. Jedenfalls mag er nicht zugestehen dass sich Menschen - auch Stasimitarbeiter und SED-Kader -, in den letzten 20 Jahren geändert haben:

    "Wenn so getan wird, als wäre das alles ein Kavaliersdelikt und im Grunde genommen unwichtig, wenn ein hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter zum Beispiel im Deutschen Bundestag sitzt, dann ist damit aus meiner Sicht eben doch auch eine Botschaft an die Gesellschaft verbunden – halb so schlimm, lange her, lasst uns einen Schlussstrich ziehen -, und das halte ich für sehr gefährlich, weil diese Geschichte eben noch dampft, und die Opfer leben unter uns ebenso wie die Täter, und es ist eigentlich bis heute nicht gelungen, hier auch das notwendige Maß an Gerechtigkeit herbeizuführen."

    Bei jenem auch im Buch erwähnten hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter, der bei der PDS Bundestagsabgeordneter werden konnte, handelt es sich übrigens um einen ehemaligen Personenschützer der DDR-Prominenz. Aber Knabe differenziert hier genauso wenig wie bei den damaligen SED-Nachwuchs-Kadern, die heute bei der LINKEN sind, zwischen normalen staatlichen Funktionsträgern und Bütteln der Diktatur. Das MfS ist für ihn nur Geheimpolizei in Anklang an die Gestapo, die SED gehörte wie die NSDAP eigentlich aufgelöst. Dass sich in mehr als 40 Jahren SED-Herrschaft eine Funktionselite herausgebildet hatte, deren ideologische Prägung in der Regel anders aussah als im Westen, musste im Einigungsprozess von der Bundesrepublik akzeptiert werden. Auch Personenschützer und NVA-Offiziere wurden, wie Lehrer und andere Staatsangestellte, in die Dienste von Bund beziehungsweise Ländern übernommen. Hubertus Knabe billigt Lernfähigkeit nur den Funktionären der Blockparteien zu. Hier erwähnt er namentlich Cornelia Pieper (FDP) , Stanislav Tillich und Ulrich Junghanns (beide CDU) – die aber wollten "seit fast 20 Jahren" mit dem Sozialismus nichts mehr zu tun haben. Und Dieter Althaus, den thüringischen Ministerpräsidenten, hat er doch glatt vergessen. Folgt man Knabes Modell der DDR-Gesellschaft, gab es eigentlich nur Täter und Opfer, die meisten DDR-Bürger hätten sich fremd gefühlt im eigenen Land.

    Genauso wie die SED Schuld war am wirtschaftlichen Zusammenbruch der DDR, trägt die PDS in Knabes Logik also die Verantwortung für die aktuellen ökonomischen Probleme der neuen Länder. Eine Theorie, die nicht belegt wird, weil sie wohl auch nicht zu belegen ist. Dagegen wirft Knabe der PDS auf der anderen Seite vor, während der nunmehr siebenjährigen Regierungsbeteiligung in Berlin, die Sparpolitik des Senats mitgetragen zu haben und damit sozialpolitisch unglaubwürdig geworden zu sein. Widersprüche dieser Art sind charakteristisch für die Ausdeutung der zahlreich eingeführten Fakten und Materialien. In vielen Fällen handelt es sich wohl um einen besonders kreativen Umgang mit der Wahrheit. Da wird zum Beispiel die These aufgestellt, die PDS habe als Regionalpartei in den neuen Ländern reüssieren können, weil die CDU nicht zugelassen habe, dass sich die DSU dauerhaft etablieren konnte. Ein paar Seiten weiter wird dann von Knabe mit Abscheu und Empörung berichtet, dass Gregor Gysi gemeinsam mit dem Ex-DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel sogenannte Gerechtigkeitskomitees gegründet habe, um die Ostdeutschen gegen den Westen aufzuhetzen. Dass jener Diestel Ex-Innenminister der Regierung de Maiziere war und als solcher der Hoffnungspartei DSU angehörte, weiß ja vielleicht nicht jeder Leser. Ärgerlich ist es auch, wenn ein gewisser Pit Metz aus dem hessischen Landesverband der Linken als Kronzeuge für die undemokratischen Verhältnisse in der Partei zitiert wird und 120 Seiten weiter als besonders übler Linksradikaler dargestellt wird, von dem sich die Partei auf öffentlichen Druck trennen musste. Oder dass Knabe einerseits behauptet, der Namenswechsel der Partei sei nichts anderes als Camouflage gewesen und dann wieder schreibt , dass die Namensänderung von der WASG zur Bedingung gemacht wurde und auf erheblichen Widerstand in der PDS stieß.

    Hubertus Knabe macht eben alle Fakten passend zu seiner These, dass die Linke doch heute noch immer dasselbe wolle wie früher die SED, für deren Verbrechen sie einstehen müsse. Distanzieren sich PDS-Politiker von der SED-Politik, wertet Knabe dies stets als Lippenbekenntnisse, und findet einen Anderen, der sich zurückhaltender äußert. Und damit das Buch im Wahlkampf auch richtig genutzt werden kann, werden die Sozialdemokraten gleich mit zur Verantwortung gezogen:

    Salonfähig wurde die PDS vor allem durch die SPD. Aus purem Machtstreben kündigte diese in den 1990er-Jahren den antitotalitären Konsens auf und diffamierte öffentlich die Ausgrenzung der SED-Nachfolger. Wolfgang Thierse, Harald Ringstorff und Reinhard Höppner haben damit nicht nur der Demokratie einen schlechten Dienst erwiesen, sondern auch ihre eigene Partei in eine tiefe Krise gestürzt.

    Folgt man Hubertus Knabe, wäre es dagegen angemessen gewesen, die PDS nicht anders zu behandeln als die NPD:

    "Wir sehen das ja am rechten Rand, wenn denn der Damm steht, dass jedermann weiß, mit einer Partei dieser Couleur gibt man sich nicht ab, die sind nicht salonfähig, das ist unappetitlich, dann ist auch die Zustimmung in der Bevölkerung gering, vergleichsweise gering, und das ist auch gut so, und das ist bei der PDS leider von ziemlich Anfang an falsch gemacht worden."

    Wer wie Hubertus Knabe so nahe an der schlichten politischen Farbgleichung "rot = braun" argumentiert, hat, wie sich zeigt, ohnehin keine Chance die Wahrheit über Die LINKE herauszukriegen. Dabei wäre die Analyse der jüngsten Entwicklung und der Potenziale dieser fünften Partei im bundespolitischen Spektrum überaus lohnend. Ohne Schaum vorm Mund.

    Hubertus Knabe: Honeckers Erben – Die Wahrheit über die LINKE. Propyläen Verlag, März 2009.