Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Weil man uns die Bildung klaut!"

Rund 270 Millionen Euro haben die Studiengebühren zuletzt pro Jahr in die Kassen der Hochschulen in Nordrhein-Westfalen gebracht. Die frisch gekürte rot-grüne Koalition will die Zusatzeinnahme zurücknehmen - zur Freude der Studierenden.

Von Armin Himmelrath | 15.07.2010
    "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!"

    Volle Hörsäle, leere Kassen, eine in weiten Teilen verpatzte Bolognareform mit der Umstellung auf Bachelor und Master: An den deutschen Hochschulen läuft es derzeit nicht rund. In den vergangenen Semestern haben die Studentinnen und Studenten immer wieder protestiert und ihre Unzufriedenheit auf die Straße getragen. Auch in Nordrhein-Westfalen, der Region mit der größten Hochschuldichte Europas. Reizthema Nummer eins: Die Studiengebühren, die hier 2006 eingeführt wurden. Dieses Geld, klagen Studentenvertreter, sei nicht nur eine enorme Belastung für die Budgets der Nachwuchsakademiker, sondern auch eine Entlastung für den Staat. Und anders als in den Landesgesetzen vorgesehen, werden die Gebührenmillionen auch nicht ausschließlich darauf verwandt, die Lehre zu verbessern. Patrick Schnepper vom AStA der Universität zu Köln:

    "Also, es wurden in Köln zum Beispiel Vertretungsprofessuren für kranke Professorinnen und Professoren aus Studiengebühren finanziert, was sicherlich keine Verbesserung der Lehre ist. Es gibt ganz viele Fälle, wo halt gesagt wird: Sonst würde es wegfallen und im Prinzip: Keine Verschlechterung ist eine Verbesserung, so nach diesem Motto wird an ganz vielen Stellen gearbeitet. Das sieht man bei verschiedenen Tutoriumsprogrammen, die es schon über 16 Jahre vor Studiengebühren gab oder Evaluationsprojekten, die jetzt eben alle aus Studiengebühren finanziert werden."

    Mit anderen Worten: Die Studiengebühren ersetzen mehr und mehr das, was eigentlich Aufgabe des Staates wäre – die Grundfinanzierung der Hochschulen. Das Eintrittsgeld für den Hörsaal – in der Regel 500 Euro pro Semester – ist deshalb für viele Studenten zum Symbol für die ganz allgemein als ungerecht empfundene Bildungspolitik geworden. Aber auch die Universitäten sehen die Studiengebühr als Symbol. Sie sprechen, wie die meisten Gebührenbefürworter, lieber von Studienbeiträgen, und diese Beiträge seien ein Symbol für gewachsene Autonomie und Handlungsfähigkeit der Hochschulen. Eine Handlungsfähigkeit, die jetzt in Gefahr sein könnte. Denn die neue rot-grüne Landesregierung hat heute – als eine ihrer ersten Amtshandlungen - im Landtag bekräftigt, die Studiengebühren im kommenden Jahr abschaffen zu wollen. Patrick Honecker, Sprecher der Kölner Universität, verfolgt diese Debatte mit Sorge.

    "Bei uns sind ungefähr 400 Stellen über Studienbeiträge geschaffen worden. Wir haben außerdem auch andere Maßnahmen, zum Teil bauliche Projekte, die mitfinanziert worden sind, und diese 400 Stellen, die wir haben, die wären akut gefährdet. Das hieße für uns, dass letztendlich viele Verbesserungen, die im Bereich der Lehre geschaffen worden sind, viele, die im Bereich der Betreuung von Studierenden geschaffen worden sind, wären relativ schnell abgeschafft, und das ist gerade für die Zahl von Studierenden, die jetzt an der Universität das so kennen gelernt hat, dass es positiv ist, wird das wahrscheinlich wieder ein erheblicher Einschnitt."

    Rund 270 Millionen Euro haben die Studiengebühren zuletzt pro Jahr in die Kassen der Universitäten und Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen gebracht. An manchen Hochschulen machte das ein Plus von zehn Prozent des Etats aus. An der Universität Köln summierten sich die Gebühren auf rund 25 Millionen Euro pro Jahr, die zur Verbesserung der Lehre eingesetzt werden sollten. Eine Erfolgsgeschichte – so jedenfalls der FDP-Wissenschaftspolitiker Andreas Pinkwart, der gerade sein Amt als Minister in Düsseldorf verloren hat. In seiner Amtszeit wurde vor vier Jahren der Weg zu Studiengebühren an Rhein und Ruhr freigegeben.

    "Anders als in manch anderen Ländern: In Nordrhein-Westfalen ist jetzt wieder Geld da. Früher war hier reine Mangelwirtschaft, und der Bolognaprozess ist hier von SPD und Grünen eingeführt worden mit der gleichzeitigen Streichung von 1000 Stellen. Wir sind hingegangen und haben erstmal dafür gesorgt, dass die Hochschulen mehr Mittel haben und versuchen, qualitätvoll die Prozesse zu gestalten."

    Besonders stolz ist Andreas Pinkwart auf seine Idee, die Gebühren nicht per Verordnung von oben einzuführen, sondern diese Entscheidung den Hochschulgremien vor Ort zu überlassen. Auch wenn die Universitäten klagten, er schiebe damit nur Verantwortung ab, hält Pinkwart diesen Weg weiterhin für richtig.

    "Bundesländer, die Studienbeiträge erheben, wie Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg, haben einen stärkeren Zulauf als Bundesländer, die keine Studienbeiträge erheben. Also, daran sieht man, dass die Attraktivität des Studiums sich durchaus durch Studienbeiträge auch erhöhen kann. Und ich denke, dass bei den Studierenden, aber auch bei den Eltern, letztendlich überzeugen wird, dass sich die Studienzeiten verkürzen, dass die Absolventenquoten deutlich erhöht werden konnten in den letzten Jahren und dass die Abbrecherquote sich auch verringert."

    Bei den Landtagswahlen im Mai konnte Andreas Pinkwart die Wählerinnen und Wähler mit seinen Argumenten zwar nicht überzeugen, aber der FDP-Wissenschaftspolitiker hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sich Studiengebühren irgendwann doch als Modell in ganz Deutschland durchsetzen werden. Andreas Pinkwart allerdings sitzt erst einmal nicht mehr an der Stellschraube der Macht, sondern muss aus der Opposition heraus zusehen, wie seine Veränderungen des NRW-Hochschulsystems Schritt für Schritt zurückgedreht werden. Veränderungen, mit denen er bei den Studenten in den vergangenen Jahren zuverlässig auf Widerstand gestoßen war.

    "Bildung für alle, und zwar umsonst!"

    Es waren neben anderen bildungspolitischen Themen wohl auch die Studiengebühren, für die Schwarz-Gelb bei der Landtagswahl im Mai abgestraft wurde. Kein Wunder also, dass die gestern vereidigte neue Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und ihre rot-grüne Koalition das Thema ganz oben auf die Agenda setzen. Im Koalitionsvertrag heißt es unter der Überschrift "Hürden abbauen – Studiengebühren abschaffen":

    Wir wollen noch in diesem Jahr das Gesetz zur Abschaffung der Studiengebühren verabschieden. In diesem Gesetz werden wir sicherstellen, dass den Hochschulen zum Ausgleich Mittel in gleichem Umfang zur Verfügung gestellt werden. Dabei werden wir absichern, dass dies keine Auswirkungen auf die Aufnahmekapazität hat. Denn uns ist wichtig, dass diese zusätzlichen Mittel vollständig für Maßnahmen zur Verbesserung der Studienbedingungen und der Qualität der Lehre unter Beteiligung der gewählten Studierendenschaften eingesetzt werden.

    Eine bildungspolitische Position, für die es im neuen Düsseldorfer Landtag eigentlich eine komfortable Mehrheit gibt. Denn auch die Linke ist für die Abschaffung der Campus-Maut – allerdings unterscheiden sich die Pläne der Parteien beim Tempo. Die SPD hatte im Wahlkampf von der schrittweisen Abschaffung der Gebühren bis 2012 gesprochen, die Grünen wollten das Studium schon ein Jahr vorher gebührenfrei machen, und die Linke will die Gebühr sogar schon zum kommenden Wintersemester streichen. Die Fraktion der Linken brachte deshalb heute einen entsprechenden Gesetzentwurf ein – durchaus mit der Absicht, SPD und Grüne ein wenig vor sich her zu treiben. In diesem Entwurf heißt es:

    Alle mit der Erhebung der Studienbeiträge in Verbindung stehenden Regelungen werden mit Wirkung zum Wintersemester 2010/2011 mit dem Ziel gestrichen, allen Menschen unabhängig vom Status und Geldbeutel die Möglichkeit eines Studiums zu eröffnen. Gleichzeitig wird die Möglichkeit zur Erhebung gesonderter Gebühren für die Betreuung ausländischer Studierender gestrichen. Bereits eingezogene Studienbeiträge zum Wintersemester 2010/2011 müssen infolgedessen zurück erstattet werden.

    Doch auch hier wieder: Symbolpolitik. Denn es war von vorneherein klar, dass der Gesetzentwurf der Linken keine Mehrheit finden würde. Grüne und SPD setzten ihren eigenen Antrag dagegen – keinen Gesetzesentwurf, sondern eher so etwas wie eine unverbindliche Absichtserklärung.

    Der Landtag fordert die Landesregierung auf, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Ermächtigung der Hochschulen zur Erhebung von Studienbeiträgen widerrufen und damit die Studiengebühren an den Hochschulen in NRW abgeschafft werden.

    "Schnellstmöglich" soll das alles geschehen, heißt es in der Erklärung weiter – auch hier also keine Festlegung darauf, wann die Studenten mit Gebührenfreiheit rechnen können und wann die Hochschulen auf die angekündigte Gegenfinanzierung hoffen dürfen. Der Zusammenschluss der NRW-Universitäten, die Landesrektorenkonferenz, hatte zuvor in einem offenen Brief massiv darauf gedrängt, die Rahmenbedingungen der Unis nicht schon wieder zu verändern. Patrick Honecker von der Universität zu Köln:

    "Das heißt zum einen natürlich: Wir brauchen eine Sicherheit, was Mittelzuweisungen angeht, wir brauchen aber auch eine Sicherheit, was Rechtsformen angeht. Wir haben uns jetzt in der Autonomie, glaub ich, sehr gut aufgestellt, wir haben viele Prozesse auch erheblich schneller gestalten können als vorher. Und diese Freiheit wollen wir gerne behalten."

    Dabei sind die Hochschulen bescheiden geworden: Der Kölner Uni-Sprecher wertet es schon als Erfolg, dass die Studiengebühren nicht sofort abgeschafft werden, sondern aller Voraussicht nach erst in gut einem Jahr. Denn die Angst in den Rektoraten der Universitäten ist groß, dass es eben doch nicht, wie angekündigt, zur Kompensation der wegfallenden 270 Millionen Euro kommt, die die Gebühren pro Jahr landesweit einbringen. Patrick Honecker:

    "Wir glauben natürlich der Landesregierung, wie wir jeder Landesregierung glauben, aber wir kennen natürlich auch die Kraft des Faktischen. Und derzeit ist es eben so, dass viele Landeshaushalte – und zu denen gehört auch Nordrhein-Westfalen – eben kaum Mittel zur Verfügung haben. Es müssen Kredite aufgenommen werden, und die Frage ist letztendlich: Wofür wird Politik Geld einsetzen? Nämlich für Hochschulen? Oder vielleicht für andere Belange, die als wichtig gesehen werden?"

    Intern hat die Universität Köln deshalb schon einmal durchkalkuliert, was passiert, wenn die 25 Gebühren-Millionen pro Jahr einfach wegfallen. Betroffen davon wären vor allem die rund 400 Stellen, die durch die Studienbeiträge überhaupt erst eingerichtet wurden.

    "Na ja, das sind alles Zeitverträge. Wir mussten natürlich aufgrund der unsicheren Situation diese Kolleginnen und Kollegen in der Regel auf Zwei-Jahresverträge beschäftigen. Das heißt: Natürlich würden diese Verträge noch ein halbes Jahr, ein Jahr laufen, je nachdem, wann die abgeschlossen worden sind, und würden dann wegfallen. Das kann jetzt sein, dass ich dann eben im Seminar bin und dann plötzlich dieser Dozent, der das Seminar angeboten hat, nicht mehr da ist an der Universität. Oder dass jemand im Studierendensekretariat, der mich betreut, plötzlich eben nicht mehr da ist. Das heißt, wenige Kolleginnen und Kollegen müssen dann die Aufgaben wieder wahrnehmen, die bislang von mehreren Kollegen wahrgenommen worden sind, und das wird natürlich auch Auswirkungen auf das Studium haben."

    Eine reine Drohkulisse sei das, sagt dagegen Studentenvertreter Patrick Schnepper.

    "Das haben alle Parteien eigentlich vor der Wahl deutlich gemacht, dass die Gelder kompensiert werden sollen. Daher ist das, ich denke, Schwarzmalerei. Und vor allem geht's auch ein bisschen darum: Die Studiengebühren sind ja nicht immer im Sinne des Erfinders verwendet worden, und man hat ein wenig Angst davor, dass die neue Landesregierung härtere Kriterien einführt für die Verwendung und dass dann halt eben dieses Gemauschel nicht mehr wirklich funktionieren kann."

    Patrick Schnepper rechnet nicht damit, dass sich durch die Streichung der Gebühren im Alltag der Nachwuchs-Akademiker allzu viel ändern wird.

    "Ich hoffe, dass es einfach gar keine Auswirkungen hat, außer dass die Studierenden deutlich entlastet werden, dass wir wieder mehr Studierende bekommen, gerade auch aus sozial schwachen Schichten. Ich meine, gerade die Sozialerhebung und auch der Bildungsbericht 2010 haben ja gezeigt, dass eben die soziale Selektion doch vorhanden ist und dass wir dann endlich wieder sozial gerecht ein Studium aufnehmen können in Deutschland und dadurch vielleicht auch wieder auf Augenhöhe mit den Professorinnen und Professoren irgendwie für eine vernünftige Lehre streiten können und eben nicht, wie zur Zeit, Professoren gegen Studierende, die halt im Prinzip alle nur aufs Geld achten."

    Aus Sicht des Studentenvertreters und Gebührengegners müsste eigentlich also alles in die richtige Richtung laufen. Doch auch Patrick Schnepper lässt eine erhebliche Skepsis erkennen, wenn er die heutige Abstimmung im Düsseldorfer Landtag kommentiert und damit die Aufforderung der Parlamentarier an die Landesregierung, das Gebührengesetz möglichst schnell zu streichen.

    "Natürlich ist das ein erster Schritt in die richtige Richtung. Man muss allerdings betonen: Das ist kein Gesetzentwurf, sondern das ist ein Antrag, dass die zukünftige Landesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen soll. Sprich: Da sind noch sehr viele Ungereimtheiten, die wir noch nicht ganz nachvollziehen können. Und irgendwie trauen wir auch dem Braten noch nicht, dass das wirklich zu einer schnellen Abschaffung von Studiengebühren, wie sie uns versprochen wurde, führen wird."

    Auch die studentischen Anti-Gebühren-Aktivisten setzen deshalb auf Symbolpolitik: Heute Mittag, unmittelbar nach der Vereidigung der neuen Landesregierung, haben sie den rot-grünen Koalitionären und der neuen SPD-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze noch einmal eine Ladung mit 5000 Protest-Postkarten überreicht, auf denen der schnellstmögliche Stopp der Gebühren gefordert wird. Der Zusicherung, das werde schon alles in Ordnung gehen, will AStA-Vertreter Patrick Schnepper nicht so richtig trauen.

    "Also, die Gegenfinanzierung ist meiner Meinung nach noch nicht geklärt. Es muss auch sichergestellt werden, dass das Geld so auch wieder den Hochschulen zugewiesen wird, dass nicht mehr Studierende aufgenommen werden müssen. Das Datum ist uns ein Dorn im Auge, was bis jetzt ja noch nirgendwo so richtig schriftlich fixiert ist. Aus der Presse hört man 2011/2012 zum Wintersemester – wir haben ein wenig Angst, dass die Regierung nicht so lange hält und die FDP und CDU das Gesetz dann auch wieder schnellstmöglich kassieren, falls es Neuwahlen geben wird. Also, unserer Meinung nach muss das einfach viel schneller gehen."

    Andererseits weiß auch Schnepper, dass die Gesetzgebungsverfahren Zeit brauchen. Die Linken-Forderung nach einem sofortigen Gebührenstopp hält er deshalb für unrealistisch, das von der neuen Landesregierung angepeilte Datum im Herbst 2011 für zu spät.

    "Unser Wunsch wäre, wenn man sich einfach in der Mitte einigt. Sommersemester 2011 wär' ne Supersache, und das ist, glaube ich, auch realistisch und finanzierbar."

    Doch so konkret wurde es heute im Landtag noch nicht. Da hielt man sich lieber erst einmal an Symbole – was auch für die bürgerliche Opposition gilt. Für die Sitzung des Landesparlaments morgen haben CDU und FDP einen Eilantrag eingebracht, Titel: "Nordrhein-Westfalen muss Aufsteigerland bleiben – Reformerfolge der letzten fünf Jahre bewahren". Wobei von vornherein klar ist, dass es dafür keine Mehrheit geben wird.

    "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut ..."

    Dennoch kann der Streit um die richtige Landespolitik an Rhein und Ruhr nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Umgang mit den Studiengebühren auch Signalwirkung weit über Nordrhein-Westfalen hinaus hat. Weil in NRW jeder vierte deutsche Student eingeschrieben ist, geht es eben auch in dieser Hinsicht um Symbolpolitik. Und nachdem in Hessen und im Saarland die einst eingeführten Studiengebühren wieder gekippt und in Hamburg das Gebührenmodell deutlich abgeschwächt wurde, wäre mit einem Ausstieg in Nordrhein-Westfalen tatsächlich eine Trendwende in der Gebührenpolitik vollzogen. Der Kölner Uni-Sprecher Patrick Honecker:

    "Bislang gibt es ja keinen Beleg dafür, dass Wanderungsbewegungen eingetreten sind. Das heißt, dass Länder, die Studienbeiträge eingeführt haben, haben nicht auf weniger Studierende zurückgreifen müssen. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass ein Land wie Nordrhein-Westfalen doch eine gewisse Leuchtturmwirkung hat auf andere Bundesländer. Das heißt, auch das Thema Studienbeiträge wird bestimmt unter ganz neuen Gesichtspunkten diskutiert werden."

    Andererseits, empfiehlt Honecker, sollten die Hochschulen vor allem eins bewahren: Gelassenheit.

    "Ach, Hochschulen wie die Universität zu Köln gibt es so viele Jahrhunderte inzwischen – wir haben uns Angst in vielen Bereichen abgewöhnt. Was wir allerdings haben, sind natürlich bestimmte Sorgen oder Befürchtungen, die eintreten könnten. Nur: Die Hauptsorge, die wir haben, ist eigentlich der rasante Wechsel. Wir sind als Hochschule darauf angewiesen, dass wir gewisse Planungssicherheiten haben, und Legislaturperioden bieten uns kaum mehr Planungssicherheit. Das heißt, wir wären ganz froh, wenn wir bestimmte Sachen, die wir als erfolgreich empfinden, auch mal zehn Jahre lang probieren dürften, bevor wir letztendlich wieder kurz danach, nach fünf Jahren dann dementsprechend, wieder diese Sachen verboten bekommen."

    Was die Hochschulpolitik in Nordrhein-Westfalen angeht, dürfte dieser Wunsch nach Kontinuität erst einmal nicht in Erfüllung gehen. Die Universitäten an Rhein und Ruhr werden sich auf wechselhafte Zeiten einstellen müssen. Und auch Studentenvertreter Patrick Schnepper erwartet, dass die aktuelle Debatte weitere Auswirkungen haben wird. Zum Beispiel auf die Lust seiner Kommilitonen, sich an Protesten gegen eine als ungerecht empfundene Bildungspolitik zu beteiligen. Denn wenn der große Aufreger Studiengebühren erst einmal vom Tisch ist, könnte das ein echtes Motivationsproblem werden.

    "Ich habe die Befürchtung, dass die Kraft ein bisschen raus ist, weil es sicherlich schnell auch erste kleinere Verbesserungen geben wird, wenn die Politik da wirklich das macht, was sie versprochen hat. Ich denke, die Proteste müssen aber eigentlich weitergehen, weil: Da liegt noch so viel im Argen und noch so vieles, was man jetzt aus dem Koalitionsvertrag noch nicht ablesen kann, ob sich das bessern wird oder nicht. Also, ich hoffe, dass wir auch weiterhin heißen Sommer beziehungsweise jetzt ja schon heißen Herbst haben werden und da unsere Forderungen auch vernünftig auf die Straße gebracht bekommen."

    Ex-Minister Andreas Pinkwart, der Vater der nordrhein-westfälischen Studiengebühren, hält das naturgemäß weiterhin für einen politischen Irrweg. Wer zahlt, kann Qualität einfordern und bekommt die dann auch geliefert – das gilt für ihn nach wie vor. Auch wenn der hochschulpolitische Trend im Moment ein ganz anderer ist.

    "Studienbeiträge sind für uns ein Element, um die Qualität von Studium und Lehre nachhaltig zu verbessern. Zum einen stehen den Hochschulen damit deutlich mehr Mittel zur Verfügung, die auch ausschließlich für die Verbesserung von Studium und Lehre eingesetzt werden dürfen. Und sie helfen auch, die Mentalität zu verändern - sowohl auf Seiten der Studierenden, als auch auf Seiten der Hochschullehrer, damit die Qualität von Bildung stärker in das Zentrum der gemeinsamen Aufmerksamkeit rückt."

    "Bildung für alle und zwar umsonst!"

    <u>Zum Thema NRW-Wahl:</u>

    Hannelore Kraft ist NRWs erste Landesmutter
    NRW-Ministerpräsidentin Kraft ernennt Kabinett


    <u>Zum Thema Studiengebühren:</u>

    Streit um Studiengebühren und Elitenförderung - NRW im Wahlkampffieber

    Fünf Jahre nach dem Studiengebührenurteil

    Von der Uni zum Offenbarungseid - Wenn Studienkredite zur Privatinsolvenz führen

    Für kürzere Studiengänge, gegen Studiengebühren - Wissenschaftsminister Zöllner fordert Konsequenzen aus dem OECD-Bildungsberichts

    (aus 2006) Studentenwerk: Studiengebühren vermindern Chancengleichheit - Dobischat kritisiert fehlende Umsetzung des Stipendiensystems