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Weißbuch zur Sicherheitspolitik
"Sicherheit besser und breiter organisieren"

Das vorliegende Weißbuch habe die Zukunft in den Blick gefasst, sagte der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter im DLF. Es enthalte sehr perspektivische Aussagen mit Blick auf die gesamteuropäische Sicherheit. Dadurch könnten sich auf lange Sicht Veränderungen bei der Dienstorganisation und dem Dienstrecht der Bundeswehr ergeben.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Bettina Klein | 13.07.2016
    Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter
    Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter vor einem LKW in Tarnfarben (picture alliance / dpa / Stephanie Pilick)
    Bettina Klein: Das Verteidigungsministerium ist federführend, andere Ressorts arbeiten mit. In regelmäßigen Abständen werden die Richtlinien für die Sicherheitspolitik erneuert, zuletzt 2006. Heute die neue Ausgabe des sogenannten Weißbuchs. Sie wird um 12:30 Uhr, also in einer viertel Stunde etwas erst offiziell vorgestellt. Aber der Inhalt ist weitgehend bekannt und sorgt bereits jetzt für Diskussionen.
    Am Telefon ist Roderich Kiesewetter (CDU). Er ist der Obmann für Außenpolitik in der Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag. Guten Tag, Herr Kiesewetter.
    Roderich Kiesewetter: Ich grüße Sie, Frau Klein.
    Klein: Ich würde gern mal mit dem Letztgehörten beginnen, ist vielleicht auch am konkretesten. Die Bundeswehr soll sich öffnen auch für Ausländer aus der Europäischen Union. Der Bundeswehrverband äußerte heute Morgen schon Skepsis, wir haben es gerade gehört, und hält die deutsche Staatsangehörigkeit für Soldaten der Bundeswehr für elementar. Können Sie das nachvollziehen?
    Kiesewetter: Ja, das kann ich sicher nachvollziehen. Allerdings fasst das Weißbuch ja die Zukunft in den Blick und hat sehr perspektivische Aussagen getroffen, und wir können nicht einerseits im Freiwilligendienst bei Blaulichtorganisationen oder auch gerade in der Pflege von europäischem Engagement und einem europäischen Jahr sprechen und unsere Sicherheit da gänzlich ausklammern. Aber das bedarf noch intensiver Diskussion und ich glaube, das Weißbuch hat ja bewusst den Konjunktiv gewählt. Aber ich glaube, wir sollten uns schon Gedanken machen, wie wir die Sicherheit in Europa umfassender organisieren. Ich glaube, dass am Ende immer die deutsche Staatsbürgerschaft stehen sollte und nicht irgendwelche EU-Bataillone, die dann nicht unter deutscher Führung sein sollten. Man kann aber langfristig darüber nachdenken, ob wir nicht ein quasi Europajahr der Sicherheit machen, wo sich junge Menschen engagieren und dann unter einem EU-Wappen Dienst leisten. Aber das ist wirklich Zukunftsmusik und so, glaube ich, versteht das Weißbuch das auch.
    "Über den Tellerrand hinausgeblickt"
    Klein: Das heißt, Sie würden jetzt sagen, im Moment wäre noch die doppelte Staatsangehörigkeit Voraussetzung, dass jemand einen deutschen und einen französischen Pass hat zum Beispiel?
    Kiesewetter: In jedem Fall. Aber wir sollten über den Tellerrand denken und überlegen, wie wir Sicherheit besser und breiter organisieren, und dazu gehört auch die europäische Perspektive.
    Klein: Glauben Sie, dass Sie da einfach noch auch Widerstände überwinden müssen, jetzt auch im Bundeswehrverband, der ja, ich sage mal, für die Truppe steht? Gehen Sie davon aus, dass Herr Wüstner da durchaus auch verbreitete Vorbehalte unter deutschen Soldaten widergibt?
    Kiesewetter: Nun, es geht ja um Loyalität und es geht um Befehl und Gehorsam und es geht um absolute Zuverlässigkeit im Einsatz, und das ist mit der deutschen Staatsbürgerschaft eindeutig geregelt und abgedeckt. Alle Modelle, die darüber hinausgehen, müssen parlamentarisch sehr umfassend diskutiert werden. Das sollten wir auch im Parlament beraten. Aber das ist ein Punkt, der langfristig angelegt ist, und ich bin sehr froh, dass das Weißbuch auch über den Tellerrand hinausdenkt und Impulse gibt.
    Klein: Ja, über den Tellerrand hinausblickt. - Ich würde gern noch mal einen Augenblick dabei bleiben. Wüstner weist auch darauf hin, im Zweifelsfalle geht es darum, dass man bereit ist, dafür zu sterben, woran man glaubt oder was man im Herzen trägt, und das gelte nicht für jeden beliebigen Staat oder Arbeitgeber. Muss man sagen, dass die Bundeswehr oder der Bundeswehrverband da ein bisschen altmodisch ist?
    Kiesewetter: Nein! Der Bundeswehrverband vertritt natürlich sehr klar die Interessen der aktiven Soldaten und hat auch eine eigene Interessenpolitik. Mir als Bundestagsabgeordneter geht es darum, dass wir Sicherheit über den Tellerrand hinausdenken und sagen, wie organisieren wir nach dem möglichen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU wieder ein europäisches Sicherheitsbewusstsein, und hier gehört eindeutig dazu, dass die EU Sicherheit organisieren muss, und die Bevölkerung der EU muss das Gefühl haben, dass sie nachts ruhig schlafen kann, dass die Außengrenzen sicher sind, und das kann man in den nächsten Jahren überlegen, wie man das auch vielleicht gemeinschaftlich organisiert, beispielsweise ein europäisches Sanitätskommando aufstellt, wo dann ein Freiwilligendienst geleistet wird. Ich würde europäische Sicherheit dann schon auch übernational regeln und nicht den Eindruck vermitteln, als ob wir Personaldefizite der Bundeswehr dann durch große europäische Rekrutierung lösen. Aber die Bundeswehr kann einen wesentlichen Beitrag zu mehr Europäisierung leisten, indem das Verteidigungsministerium hier wertvolle Impulse gibt, und ich glaube, das ist ein guter Anstoß, den wir auch parlamentarisch beraten sollten.
    Klein: Da scheint noch einiges offen und diskussionswürdig.
    Kiesewetter: Ja.
    Klein: Das heißt, Sie würden auch nicht ausschließen, dass es eines Tages dazu kommt, dass auch nicht deutsche Staatsbürger in der Bundeswehr dienen?
    Kiesewetter: Die Frage ist, wie Sicherheit künftig in der EU organisiert wird und ob wir nicht neue Fähigkeiten europäisch gemeinsam organisieren. Dann muss auch der Dienst neu organisiert werden, auch das Dienstrecht. Aber solange wir die Bundeswehr so haben wie sie ist, muss eine Staatsbürgerschaft die deutsche sein. Aber man kann das Ganze ja auch umdrehen und sagen, in der Integrationsarbeit bietet die deutsche Staatsbürgerschaft auch hervorragende Perspektiven, und wer bereit ist, in den Streitkräften treu zu dienen, warum soll er nicht die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Aber gegenwärtig ist unsere Rechtslage so, dass man deutscher Staatsbürger sein muss, und das sollte zunächst auch so bleiben.
    Klein: Schauen wir noch auf einen anderen Streitpunkt, Herr Kiesewetter, auch umstritten zwischen Regierung und Opposition. Deutsche Truppen ohne UNO-Mandat in Krisengebiete, das sei unvereinbar. So haben wir heute Morgen die Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger gehört. Es geht da um die Ad-Hoc-Kooperationen.
    Kiesewetter: Ja.
    Klein: Das, so sagt sie, ist ein Tabubruch und nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Liegt sie da falsch?
    Kiesewetter: Ja aus meiner Sicht denkt sie da zu kurz, weil ja das Weißbuch auch sehr deutlich ausführt, dass in der Regel bisher Einladungen von Staaten vorliegen, dann, wenn die Vereinten Nationen keine Regelungen treffen, weil sie durch die Vetomächte gelähmt sind. Ganz konkretes Beispiel unser Engagement im Irak. Dort liegt eine Einladung der irakischen Zentralregierung vor. Und zugleich agiert die Bundesregierung nicht alleine, sondern die Bundeswehr ist eingebettet in eine Koalition der Willigen, die sich aber auf die Rechtsgrundlage Beistandsverpflichtung in der EU, also Lissabon-Vertrag beruft. Das war eine Bitte des französischen Staatspräsidenten Hollande und dazu gibt es den Artikel 42-7 des Lissabon-Vertrages und das sind unsere Rechtsgrundlagen.
    Ich möchte einen Schritt weitergehen. Ich glaube, wir sollten viel stärker - und das Weißbuch formuliert ja deutsche Interessen - auch den Artikel 87a zur Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland und seiner Interessen ansprechen, und wenn es im Interesse der Bundesrepublik Deutschland ist und eine Einladung einer Regierung vorliegt, die zweifelsfrei ist, und es nicht möglich ist, die Vereinten Nationen zu einem Mandat zu bewegen, dann müssen wir prüfen - das ist Aufgabe der Bundesregierung und auch des Bundestages -, ob es nicht in unserem Interesse ist, an der Konfliktbewältigung teilzunehmen, insbesondere wenn es um harte Menschenrechtsverletzungen geht oder um Völkermord.
    "Bundeswehr nicht in den rechtsfreien Raum stellen"
    Klein: Da können wir gleich einhaken. Artikel 87a des Grundgesetzes - wir haben hier auch noch mal nachgelesen -, da gab es im vergangenen Jahr ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes aus dem Bundestag. Darin hieß es, diese Ad-hoc-Koalitionen, Coalitions of the Willing, stellen kein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit dar. Ist es damit eigentlich schon ausgeschieden, dass man sich darauf dann am Ende berufen kann?
    Kiesewetter: Nun, wir werden da auch eine Weiterentwicklung des Rechts haben. Dann wird erheblich diskutiert werden müssen. Darauf weist ja auch das Weißbuch hin, indem es sehr deutlich sagt, dass der Bundestag in einem geeigneten Verfahren über eine mögliche Reform des verfassungsrechtlichen Rahmens beraten muss. Das schließt das nicht aus.
    Klein: Verfassungsänderungen, sagen Sie, würden kommen müssen?
    Kiesewetter: Nein, es muss erst mal beraten werden. Aus meiner Sicht sind wir Deutschen gut beraten, wenn wir Einsätze außerhalb eines UN-Mandats dann leisten, wenn eine Einladung einer Regierung vorliegt wie im Irak. Und wenn wir uns auf ein System einer Unterorganisation berufen können wie den Vereinten Nationen, dann haben wir einen Rechtsrahmen. Wir sollten nicht die Bundeswehr in den rechtsfreien Raum stellen. Ich bin auch der Bundeskanzlerin sehr dankbar, die sich gestern eindeutig vor unsere Soldaten gestellt hat, Thema Incirlik.
    Klein: Aber das heißt dann, im Zweifel müsste vor jedem Einsatz dann noch mal der Weg nach Karlsruhe beschritten werden, um jedes Mal eindeutig klar zu machen, ob ein solcher Einsatz dann auf dem Boden des Grundgesetzes steht oder nicht.
    Kiesewetter: Das mag zu lange dauern. Entscheidend ist, dass der Bundestag in der Lage ist, eine Rechtsweiterentwicklung zu schaffen, und das muss sorgfältig beraten werden. Und dieses Weißbuch legt schon und stellt schon einige Weichen für den nächsten Deutschen Bundestag. Hier gibt es viel Diskussionsstoff. Dem möchte ich auch nicht vorausgreifen. Wichtig ist, dass deutsche Soldaten eingesetzt werden in einem sicheren Rechtsrahmen und dass wir unsere Soldaten nicht im Ungewissen lassen. Dafür müssen wir uns alle einsetzen.
    Klein: Das Weißbuch eine Grundlage und weiter viel Stoff für Diskussionen - das war der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter heute Mittag im Deutschlandfunk zum heute noch vorzustellenden Weißbuch für die Bundeswehr. Danke Ihnen für die Zeit. Tschüss, Herr Kiesewetter.
    Kiesewetter: Vielen Dank! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.