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Weißrussland
Der Protest der Mütter

Protest gegen die Regierung wird in Weißrussland nicht gern gesehen. Dennoch lehnen sich sechs Frauen gegen die Inhaftierung ihrer Kinder auf - erst mit einem Hungerstreik, jetzt mit einem Brief an den Präsidenten Alexander Lukaschenko. Ihr Protest wirft ein Schlaglicht auf den Staat Weißrussland und die Allmacht des Präsidenten.

Von Florian Kellermann | 12.05.2018
    Die Mütter unterschreiben ihren Bittbrief an Präsident Lukaschenko
    Die Mütter unterschreiben ihren Bittbrief an Präsident Lukaschenko (Deutschlandradio / Florian Kellermann)
    Der Platz vor dem Hauptbahnhof in Minsk: Sechs Frauen stehen etwas verloren zwischen den Reisenden, sie reiben sich die Augen. Sie sind gerade aus einem Minibus gestiegen - eine fünfstündige Fahrt liegt hinter ihnen. Die Frauen sind aus der Kleinstadt Kalinowitschi gekommen - mit einer Mission. Sie wollten dem Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko einen Bittbrief überbringen, sagt die 52-jährige Tatjana Kaniewskaja. Mit letzter Kraft:
    "Ich fühle mich schwach und im Kopf habe ich ständig so ein Summen. Wir waren gemeinsam mit weiteren Frauen jetzt 15 Tage im Hungerstreik. Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg war. Aber es war das einzige Mittel, das uns noch verblieben ist, um auf uns aufmerksam zu machen."
    Frauen setzen sich für ihre inhaftierten Kinder ein
    Die Frauen kämpfen für ihre Kinder. Die sitzen im Gefängnis, verurteilt oder angeklagt nach dem Paragraf 328 des Strafgesetzbuches. Er sieht bis zu 15 Jahren Haft für den Handel mit Rauschgift vor. Nur, dass ihre Kinder keine Händler seien, wie die Tatjana Kaniewskaja beteuert:
    "Wir sind natürlich dafür, dass Dealer im Gefängnis sitzen. Aber mein Sohn hatte gerade mal 2,59 Gramm Marihuana bei sich. Er wurde erst zu acht Jahren verurteilt, dann wurde das Strafmaß auf fünf Jahre gesenkt."
    Die Mütter auf ihrem Weg zur Präsidialadministration
    Die Mütter auf ihrem Weg zur Präsidialadministration (Deutschlandradio / Florian Kellermann)
    Etwas anders die Geschichte des Sohns von Liana Schuba. Der damals 19-jährige kämpfte erfolgreich gegen sein Suchtproblem, als er eine wesentlich ältere Frau kennenlernte:
    "Sie hat ihm Geld gegeben - er solle für sie eine synthetische Droge kaufen. Das war eine Falle, eine Provokation - die Frau arbeitete mit der Polizei zusammen und wollte ihn zur Straftat verleiten. Mein Sohn hat ihr das Rauschgift aber nicht gebracht, sondern es selbst konsumiert. Trotzdem wurde er zwei Monate später verhaftet und als Dealer verurteilt."
    Prämien für gefasste Verbrecher
    Warum die Polizei und die Gerichte so vorgingen? Für jeden gefassten Verbrecher gebe es Prämien, sagt Liana Schuba. Es sei für die Ermittler viel leichter und einträglicher, die Konsumenten zu jagen als die wirklichen Dealer. Zumal diese, so vermuten Beobachter, über Beziehungen in den Staatsapparat verfügen.
    Die sechs Frauen schleppen sich zur U-Bahn.
    Auf den letzten Metern vor der Präsidialadministration wird den Frauen doch ein wenig bange. Wir tun doch nichts Verbotenes, spricht Tatjana sich und den anderen Mut zu. Sei weiß, dass ihr Protest nicht gern gesehen wird:
    "Als wir den Hungerstreik begonnen haben, in der Wohnung einer Mutter, ist die Polizei gekommen. Jelena, die Wohnungseigentümerin, sollte erklären, warum sie in der Wohnung eine Großveranstaltung abhalte. Wir haben entgegnet, dass die Wohnung ihr Privateigentum ist - da haben uns die Behörden in Ruhe gelassen."
    Der Protest der Mütter wirft ein Schlaglicht auf den Staat Weißrussland - auf die Allmacht des Präsidenten, der den rücksichtslosen Umgang selbst mit Haschischkonsumenten mit einem Handstreich stoppen könnte. Auf die Gerichte, die der Verteidigung von Angeklagten keine Chance geben.
    Kaum Medieninteresse
    Und auf die Medienlandschaft: Am Hintereingang der Präsidialadminstration warten nur einige unabhängige Journalisten auf die Mütter, die regierungstreue Presse interessiert sich nicht für den Protest. Tatjana Kaniewskaja richtet sich an den Präsidenten:
    "Alexander Grigorjewitsch, Sie werden von Ihren Mitarbeitern belogen. Wir wollen Ihnen die Wahrheit sagen, laden Sie uns zu sich ein!"