Donnerstag, 18. April 2024

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"Weißstorch-Zensus"
Ein kompliziertes Jahr für den Weißstorch

Von Bergenhusen in Schleswig-Holstein aus koordiniert der Naturschutzbund (NABU) die Erstellung des "Weißstorch-Zensus". Insgesamt sei die Entwicklung positiv, doch lange Regenperioden wie in diesem Jahr führten dazu, dass Storchenjunge sterben, so der Verband. Außerdem fliegen immer mehr Weißstörche auf der Westroute ins Winterquartier. Die Gründe dafür sind unklar.

Von Johannes Kulms | 01.08.2016
    Ein Weißstorch startet von einer Wiese mit einem Pony im brandenburgischen Bad Freienwalde.
    Die größten Storchbestände sind in Deutschland auch weiterhin in den neuen Bundesländern zu finden, hier ein Weißstorch im brandenburgischen Bad Freienwalde. (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Die größten Storchbestände sind in Deutschland auch weiterhin in den neuen Bundesländern zu finden. Rund ein Sechstel der 6.000 in Deutschland brütenden Storchenpaare lebt in Brandenburg, auch Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern haben große Weißstorchbestände.
    In Schleswig-Holstein gibt es rund 300 Paare. Ein Teil von ihnen brütet in Bergenhusen - einem kleinen Ort mit vielen reetgedeckten Häusern im Landkreis Schleswig-Flensburg. Bergenhusen gilt als das Storchendorf von Schleswig-Holstein.
    "Wir liegen hier auf dem Stapelholm, das ist eine Saale-eiszeitliche Endmoräne. Und die liegt etwa 30, 40 Meter über dem Meeresspiegel. Und unsere Störche brauchen, wenn sie sich dann von ihrem Nest herunterschwingen um Nahrung zu suchen, ohne viele Flügelschläge können sie dann in ihre Niederungen segeln und dort ihn ihr Nahrungsrevier einfach nach Futter suchen."
    Nabu-Mitarbeiter Thomsen: Bestand leicht steigend
    Erklärt Kai-Michael Thomsen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Michael-Otto-Institut im Naturschutzbund in Bergenhusen. Zu den Schwerpunkten der Einrichtung gehört auch die Beobachtung der Weißstörche. Vom kleinen Bergenhusen aus koordiniert der NABU die Erstellung des sogenannten Weißstorch-Zensus, der alle zehn Jahre veröffentlicht wird und einen Einblick in den weltweiten Bestand ermöglicht. Der letzte im Jahre 2006 vorgestellte Weißstorchzensus hatte rund 233.000 Storchenpaare weltweit gezählt.
    Der nächste Zensus wird erst 2024 veröffentlicht. NABU-Experte Thomsen geht derzeit von einem leicht steigenden Bestand aus. Allerdings sei 2016 ein kompliziertes Jahr. Das wird bereits hier im Dorf deutlich:
    "In Bergenhusen haben in diesem Jahr 21 Paare sich angesiedelt und wir haben allerdings in diesem Jahr einen relativ geringen Bruterfolg, insgesamt haben sie 15 Jungvögel aufgezogen, was vor allem daran liegt, dass wir im Juni eine relativ lange Regenperiode hatten, in der sehr viele Junge umgekommen sind."
    Starke Regenfälle sowie Trockenperioden machen Störchen zu schaffen
    Mit drei Wochen hätten die Jungvögel zwar noch einen Daunenkleid - doch seien die Störche dann schon zu groß, um noch von den Eltern gewärmt zu werden. Wegen der Regenfälle seien viele der jungen Weißstörche so durch Unterkühlung gestorben. Ein Phänomen, das so nicht nur in Bergenhusen, sondern nach den starken Unwettern von Mai und Juni auch in Südwestdeutschland aufgetreten ist.
    In Ostdeutschland hätten Trockenperioden dagegen das Nahrungsangebot für Störche eingeschränkt - danach folgten dort ebenfalls starke Regenfälle, die einen Teil der Tiere an Unterkühlung sterben ließen.
    Seit Ende der 80er-Jahren ändern die Weißstörche in Deutschland ihr Verhalten: Immer mehr von ihnen werden zu sogenannten Westziehern, das heißt, sie machen sich zur Überwinterung auf in Richtung Spanien, Portugal oder Marokko, wo sie immer mehr Nahrung auf Mülldeponien und Reisfeldern finden.
    Inzwischen rund 30 Prozent "Westzieher" unter Störchen
    Seien es früher knapp fünf bis zehn Prozent gewesen ist dieser Anteil inzwischen auf rund 30 Prozent gestiegen, schätzt NABU-Experte Thomsen. Der andere Teil zieht über die Ostroute - also die Türkei und Israel - weiter in Richtung Ostafrika.
    Ein deutlich längere und anstrengendere Reise als auf der Westroute, die für die Störche vor allem einen Vorteil hat:
    "Sie verbrauchen weniger Energie für ihren Zug. Der Zug ist dann nicht mehr so risikoreich. Das hat eben dazu geführt, dass die Überlebensrate der Störche, die nach Südwesten abziehen, angestiegen ist. Und damit eben dann vermehrt Jungstörche zurückgekommen sind im Gegensatz zu den Ostziehern."
    Doch dieser Trend hat auch eine Kehrseite: Denn mit dem neuen Reiseverhalten ändern die Störche auch ihre Ernährung. Thomsen rechnet damit, dass in den nächsten Jahren in Spanien immer mehr Müllkippen verschlossen werden. Es bleibe abzuwarten, wie die Tiere darauf reagieren würden. Thomsen vermutet, dass Spanien inzwischen Polen als Land mit der weltweit größten Weißstorchpopulation abgelöst hat.
    In Tschechien, der Slowakei und Ungarn sei die Weißstorchpopulation seit dem EU-Beitritt 2004 recht stabil geblieben. Anders in Polen, wo beim letzten Weißstorchzensus noch rund 52.000 Paare gezählt wurden. Doch möglicherweise habe gerade dort die Modernisierung der Landwirtschaft zu einem Rückgang geführt.
    "Es ist so, dass beispielsweise Grünland intensiver genutzt wird oder gar zu Ackerland umgebrochen wird und intensiv genutzt wird und deshalb eben viele Lebensräume für den Weißstorch verloren gegangen sind."
    Andererseits würde nach dem EU-Beitritt in Polen immer mehr Gebiete geschützt - und das sei eine gute Nachricht für die Störche.