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Weiter in der Genesung

Frankreich - Weltmeister von 1998 und Europameister 2000 - dann noch mal Vizeweltmeister 2006, steckt spätestens seitdem in einer Krise. Auch unter dem neuen Trainer Laurent Blanc, der jetzt 18 Monate im Amt ist, hat das Team nicht herausgefunden hat. Zwar ist das Trikolore-Team für den Euro 2012 qualifiziert - das ist aber auch schon fast die einzige positive Meldung.

Von Hans Woller | 25.02.2012
    Die Grundstimmung in und um Frankreichs Fussballnationalelf ist nicht anders, als die des gesamten Landes, nämlich von tiefem Pessimismus geprägt. Die Mannschaft hat sich für den EURO 2012 qualifiziert, überzeugt hat sie dabei aber niemanden - lautet das gängige Urteil. Seit Laurent Blanc, der Libero de Weltmeistermannschaft von '98, im Herbst 2010 das Traineramt übernommen hat, kann sich die Bilanz, rein statistisch, zwar sehen lassen: zwei Niederlagen, fünf Unentschieden und elf Siege - in den letzten 13 Spielen blieb man ungeschlagen - doch von spielerischem Glanz gegen zudem meist zweit- und drittklassige Gegner - keine Spur: ein mühsamer 1:0 Heimsieg gegen die USA und ein extrem langweiliges und lustloses 0:0 gegen Belgien im Pariser Stade de France - dies waren die letzten dürftigen Ergebnisse der Equipe Tricolore bei Freundschaftsspielen und niemand hat das schlechte 1:1-Unentschieden gegen Bosnien vergessen, mit dem man sich letztlich für den EURO 2012 qualifiziert hat. Alain Giresse zum Beispiel, der Mittelfeldstar der großen Mannschaft der 80er-Jahre, heute Trainer der Nationalelf von Mali, versucht erst gar nicht, etwas schön zu reden:

    "Man ist immer noch in der Phase, in der man eine Mannschaft und ein Spiel sucht und man sieht immer noch nicht das wirkliche Gerüst einer Mannschaft, die ein gutes Spiel hervorbringen könnte . Ausserdem hatten französische Nationalmannschaften, die geglänzt haben, auch große Spielführer - siehe Platini und Zidane. Heute haben wir die nicht. Also bräuchten wir zumindest ein homogenes Kollektiv."

    Will heissen: auch darüber verfügt Frankreich zur Zeit nicht. Das Fiasko bei der WM in Afrika, die absolut unwürdige Vorstellung der Nationalmannschaft auf und ausserhalb des Fussballfeldes , bis hin zur Verweigerung des Trainings, ist bis heute noch nicht überwunden, meint Teamchef Laurent Blanc:

    "Sie können mir glauben, dass diese Wunden nicht so schnell verheilen. Die Spieler, die dabei waren und die Betreuer werden sich immer daran erinnern - nur Siege und gute Vorstellungen könnten das langsam vergessen machen. Zwei oder drei haben sich in Südafrika sehr schlecht benommen, aber in meinen Augen haben sich letztlich alle schlecht verhalten, das muss klar sein."

    Zu allem Überfluss gibt es jetzt seit Wochen auch noch hörbare Spannungen zwischen Nationaltrainer und dem Chef des französischen Fussballverbandes. Letzterer weigert sich, Laurent Blancs Vertrag noch vor dem EURO zu verlängern, Frankreichs Teamchef liess daraufhin die Information streuen, ein großer Europäischer Club sei an ihm interessiert - nicht die besten Vorbedingungen für eine entspannte Atmosphäre während der Vorbereitungsphase für die Europameisterschaft. Fussballexperte Jean Michel Larqué jedoch findet das nicht weiter beunruhigend:

    "Laurent Blanc ist heute in einer sehr bequemen Situation. Er hat sein erstes Ziel, die Qualifikation für den Euro erreicht und wenn er eine einigermassen ordentliche Europameisterschaft hin bekommt, hat er es auch weiterhin bequem."
    Blanc selbst hat, nach langem Schweigen, letzte Woche in einem zweiseitigen "Le Monde"-Interview die Erwartungen an Frankreichs Nationalelf beim Euro enorm nach unten geschraubt und angesichts der Gruppengegner England, Schweden und Ukraine mehr als bescheidene Ziele formuliert : ein Spiel gewinnen wäre schon nicht schlecht, wer denke, wenn die französische Mannschaft nicht ins Halbfinale kommt, sei man nicht erfolgreich gewesen, der täusche sich gewaltig. Und der Coach rief der Öffentlichkeit zwei schlichte Tatsachen in Erinnerung: seine Mannschaft ist gerade auf Platz 17 der FIFA Wertung abgerutscht, liegt dort hinter der Elfenbeinküste und der Schweiz und : bei Gruppenauslosungen befindet sich Frankreich mittlerweile im 4. Topf.

    Daran ändert auch der Versuch des Schönredens eines Franck Ribérys nichts, der erstmals seit seinen diversen Affären einem französischen Radio diesser Tage wieder ein Interview gegeben hat :

    "Gewiss gibt es noch vieles zu verbessern, aber die Mannschaft spielt immer besser, wir kennen uns immer besser , auch wenn es viele junge Spieler gibt, die noch nicht viele Länderspieleinsätze hatten , aber die Gruppe lebt gut zusammen, die Stimmung ist gut und wir wollen beim EURO wirklich etwas schaffen , das spür ich . Wir dürfen uns aber auch nicht all zu großen Druck machen , müssen unser Spiel machen und die letzten Spiele vor dem Euro gut vorbereiten."

    Noch etwas wäre wohl gut, wovon die französische Nationalmannschaft aber noch weit entfernt ist: dass das französische Publikum wieder hinter den Blauen steht - der Graben zwischen der Mannschaft und den Fans ist aber so groß wie schon lange nicht mehr, zuletzt gab es für die Equipe Tricolore zu Hause ganz überwiegend Pfiffe.