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Weitere Aktenvernichtung "erklärungsbedürftig"

"Ich habe mir bisher ordentliches Behördenarbeiten in Deutschland anders vorgestellt", kommentiert Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses die zweite Aktenvernichtung im Fall der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle. Von der Bundesregierung fordert er "maximale Transparenz".

Sebastian Edathy im Gespräch mit Bettina Klein | 19.07.2012
    Bettina Klein: Die Reform der Verfassungsschutzbehörden in Deutschland bleibt in der Diskussion und sie war es auch gestern bei der Vorstellung des jüngsten Verfassungsschutzberichtes.
    Vorsitzender des genannten NSU-Untersuchungsausschusses, der heute in Sondersitzung zusammenkommt, ist der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy, den ich nun am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Edathy.

    Sebastian Edathy: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Wie wichtig ist denn diese Detailfrage, um die es heute geht und wegen der eine Sondersitzung einberufen werden musste?

    Edathy: Es ist so, dass Anfang letzter Woche uns Meldungen erreicht haben, dass Akten nicht nur am 11. November, wie auch in dem Beitrag von Herrn Fromm, dem scheidenden Präsidenten des Verfassungsschutzamtes in Deutschland gesagt, vernichtet worden sind, sondern auch zwei Tage später, am 13. November. Ob das nun zusätzliche Akten waren, oder die Akten, die uns bereits benannt worden sind, das ist die eine Frage. Aber viel entscheidender ist, dass nach unseren Unterlagen am 11. November, also wenige Tage, nachdem die Zelle aufgeflogen war und ein Referatsleiter gebeten wurde, Akten zusammenzustellen, er einen Teil der von ihm gefundenen Akten vernichtet hat. Dann gab es die Weisung noch am selben Tag, also auch am 11. November, "Stopp, keine weiteren Akten vernichten", und dann ist ganz offenkundig diese Vernichtungsaktion trotzdem fortgesetzt worden zwei Tage später, und das ist dann wirklich schon ausgesprochen verwunderlich, es ist erklärungsbedürftig, und deswegen gibt es diese Sondersitzung im Wesentlichen.

    Klein: Was genau hängt von dieser Frage jetzt ab?

    Edathy: Na ja, es ist schon eine Frage der Aufsichtspflicht, ob die da wahrgenommen worden ist, es ist eine Frage nach der Motivlage, warum da weitere Akten vernichtet worden sind. Das gibt natürlich Spekulationen breiten Raum und deswegen erreichen uns auch viele kritische Nachfragen, auch aus der Öffentlichkeit und von den Medien, und wir stellen uns die Fragen natürlich auch: Wie kann es eigentlich sein in einer Behörde bei einem so sensiblen Thema, wo die ganze Republik seit dem Auffliegen der Zelle im November 2011 diskutiert hat über diese Terrorzelle, wie kann es da eigentlich sein, dass nachdem am 11. November die Weisung kam von der Amtsleitung, keine Aktenvernichtung, dass zwei Tage später trotzdem weitere Akten vernichtet worden sind. Mit Verlaub, ich habe mir bisher ordentliches Behördenarbeiten in Deutschland anders vorgestellt.

    Klein: Nun berichtet heute die "Stuttgarter Zeitung", Herr Edathy, das Bundesinnenministerium habe zehn Tage nach dem Auffliegen der Thüringer Neonazi-Zelle angeordnet, dass die Protokolle von sechs Abhörmaßnahmen des Bundesamtes für Verfassungsschutz vernichtet werden, obwohl es sich dabei um Spitzelaktionen gegen Rechtsextremisten gehandelt hatte. Können Sie dazu heute Morgen etwas sagen?

    Edathy: Ich hoffe, ich kann dazu nach der Ausschusssitzung etwas sagen. Uns hat vor wenigen Tagen eine Geheimakte erreicht, die konnte ich erst auch gestern Abend erstmalig überhaupt ansehen, im späteren Verlauf des Tages. Demnach war es wohl in der Tat so, dass auch nach dem Auffliegen der Terrorzelle Abhörmaßnahmeprotokolle gelöscht worden sind, also nicht mehr vorhanden sind. Worum es sich da genau gehandelt hat, das werden wir auch heute im Rahmen der Sondersitzung klären. Es ist nach meinem Dafürhalten eine Sache ganz entscheidend, dass die Bundesregierung wissen muss, sie muss bei diesem Thema maximale Transparenz an den Tag legen. Es geht zum Beispiel nicht, dass wir einen Untersuchungsausschuss haben und dann über solche Dinge, auch wenn sie nicht zentral sein mögen, aber doch in die Ausschussarbeit mit reinspielen, sehr kurzfristig informiert werden und monatelang, nachdem sie eigentlich im Haus des Innenministers in dem Fall bekannt gewesen sind.

    Klein: Der Verfassungsschutzbericht sagte gestern aus, dass Nachahmungstaten zu befürchten seien. So hat es auch der Bundesinnenminister formuliert. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit Ihrer Meinung nach?

    Edathy: Ich hoffe, dass sie gering ist. Aber die Tatsache, dass unsere Sicherheitsbehörden sich ja gar nicht vorstellen konnten bis zum Auffliegen des Trios, das jahrelang im Untergrund gelebt hat, dass es so was wie Rechtsterrorismus geben kann in Deutschland, bin ich sehr zurückhaltend bei der Bewertung von Aussagen unserer Sicherheitsbehörden, was die Gefährlichkeit tatsächlich betrifft. Wir wissen seit Jahren eigentlich, dass in Teilen der rechten Szene über Militanz diskutiert wird, über Bewaffnung, über paramilitärisches Training. Wer heute sagt, er kann das genau beziffern und genau definieren, wie hoch die Gefahr ist, dass sich weitere Zellen bilden, der macht sich selber und der Öffentlichkeit was vor.

    Klein: Die Reform der Verfassungsschutzbehörden ist nun in der Diskussion und wird in den kommenden Monaten und Jahren wahrscheinlich in der einen oder anderen Form umgesetzt werden. Ein erster Schritt ist seit gestern offiziell: Es gibt einen Nachfolger des scheidenden Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, und das ist Hans-Georg Maaßen aus dem Bundesinnenministerium, und der erfährt bereits heftige Kritik aus anderen Oppositionsparteien, insbesondere von Wolfgang Neskovic aus der Linksfraktion, der nicht mit harten Worten spart. "Er sei genau der Typ Bürokrat und Abwiegler, den der Verfassungsschutz jetzt nicht brauchen könne." Stimmen Sie dem zu?

    Edathy: Ich finde, dass Herr Maaßen eine Chance verdient hat. Er ist ab nächsten Monat, ab August neu im Amt und man muss sehen, wie er sich bewährt. Er ist ein sehr eifriger Beamter, ich kenne ihn seit Jahren auch aus dem Innenausschuss des Bundestages, wo er damals uns oft als Gesprächspartner zur Verfügung gestellt worden ist, weil er im Innenministerium fürs Ausländerrecht zuständig war damals. Also man muss das abwarten und schauen, was für Arbeit er leistet. Aber eines ist jedenfalls klar: Es reicht ja nicht, Personen auszutauschen in einer solchen Behörde. Wenn sich die Strukturen nicht ändern, ist da wenig geholfen. Und dass die Strukturen sich ändern müssen, ist offenkundig, und diese Aktenvernichtungsaktion deutet ja darauf hin, dass Teile des Bundesamtes für Verfassungsschutz ja gewissermaßen, wenn man so will, ein Eigenleben geführt haben müssen, sonst ist so was gar nicht denkbar, und damit muss Schluss sein. Das muss abgestellt werden und da wünsche ich Herrn Maaßen viel Erfolg und viel Glück.

    Klein: Sebastian Edathy, der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, der heute auch zu einer Sondersitzung in Berlin zusammenkommt. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Edathy.

    Edathy: Gerne, Frau Klein.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.