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Ama-Taucherinnen in Japan
Frauen des Meeres

Seit Urzeiten tauchen Japanerinnen ohne Atemgerät nach Meeresfrüchten. Sie werden Ama genannt, Frauen des Meeres. Die in weiße Tüchern gekleideten Frauen fühlen sich als Teil einer sehr besonderen Tradition. Doch die stirbt langsam aus.

Von Peter Kaiser | 22.04.2018
    Ama Taucher in Toba, Japan
    Die Ama tauchen ohne Atemgerät mitunter 20 Meter tief nach Abalonen, Seeohren oder Muscheln (imago/Kyodo News)
    An der Ostküste der japanischen Präfektur Mie, auf der Hauptinsel Honshu, liegt die Küstenstadt Ise mit rund 100.000 Einwohnern. Viele Gäste kommen in diese Gegend, um den Ise-Schrein, das wichtigste shintoistische Heiligtum Japans, zu besuchen.
    Ein anderer Grund ist ein Besuch bei den legendären Ama, den Frauen des Meeres.
    Die Ama kann man treffen, wenn man entweder morgens mit dem Boot aufs Meer fährt, oder am Nachmittag etwas entlang der Ise-Bucht läuft. Schnell trifft man auf kleine, freistehende Häuser am Wasser. Und oft duftet es köstlich aus den offenen Fenstern.
    Bis zu 60 Mal die Stunde tauchen die Ama ohne Atemgerät
    Drei Frauen, die älteste ist über 80 Jahre alt, die jüngste 64, sitzen vor dem Holzkohlegrill. Alle drei sind in weiße Gewänder gekleidet, die man Isogi nennt, plus dem weißen Kopftuch, auf dem eine Art Gitterraster eingezeichnet ist. Doman, das Gitterraster, ist ein Zauberzeichen, das die Frauen vor den Gefahren des Meeres schützen soll.
    "Bis vor 50 Jahren trugen wir nur diese weiße Kleidung, inklusive dieses weiße Kopftuch. Aber heutzutage tragen wir diesen Gummitaucheranzug. Manchmal tragen wir darüber noch das weiße Tuch. Darüber dann die Taucherbrille, und man sagt, im Meer sieht man durch die weiße Farbe größer aus. Man kann im Meer nicht so klar sehen. Eigentlich kommen nur selten Haifische. Aber wenn sie vielleicht doch kommen, dann finden sie uns ein bisschen zu groß durch die weißen Tücher. Deshalb tragen wir immer noch das weiße Tuch auf dem Gummi."

    Bis zu 60 Mal in einer Stunde tauchen die Ama ohne Atemgerät mitunter 20 Meter tief nach den begehrten Abalone, den Seeohren, oder nach Muscheln, Seeigeln, Algen und Meeresschnecken. Nicht nur das Tauchen selbst ist eine harte Arbeit, auch die Umgebung ist kräftezehrend. Manchmal hat das Wasser zwölf Grad Temperatur, wenn die weißen Taucherinnen darin verschwinden.
    "Auf dem Meeresboden liegt das Geld. Danach suchen wir mit aller Kraft. Und selbst wenn das Atmen ganz mühsam ist, und ich vorne die Abalone entdecke, dann tauche ich noch weiter. Und dann entspannen wir uns, und tauchen noch mal."
    Schon seit über 1.500 Jahren tauchen die Ama. Diese japanische Methode des Fischens wurde von chinesischen Beobachtern schon im dritten Jahrhundert aufgezeichnet. In verschiedenen Gegenden Japans findet man auch Ortsnamen wie Atsumi oder Azumi. Die Namen leiten sich von Ama-Clans ab.
    Ama-Taucherinnen der japanischen Küstenstadt Ise mit Dlf-Reporter Peter Kaiser
    Ama-Taucherinnen der japanischen Küstenstadt Ise mit Dlf-Reporter Peter Kaiser (Deutschlandradio/Peter Kaiser)
    Zwei Sorten von Ama
    Es gibt verschiedene Erklärungen, warum es Frauen sind, die tauchen, und nicht Männer. Männer haben weniger Körperfett, darum frieren sie auch im Wasser mehr. Sie sind wahrscheinlich das schwache Geschlecht, sagen die Ama lächelnd.
    "Die Generation meiner Schwiegereltern arbeitete mit ihren Männern oft im Boot. Und damals gab es 400 oder 500 Ehepaare, die mit dem Boot auf dem hohen Meer gearbeitet haben. Aber diese Generation ist ausgestorben."
    Grundsätzlich, sagen sie, gibt es zwei Sorten von Ama.
    "Einmal die Kachido-Taucherinnen. Solche Taucherinnen tauchen mit eigenen Kräften. Andere schwimmen zum Zielort, und tauchen bis zu sechs Meter tief mit Gewichten. Und natürlich gibt es überall im Meer Abalones, doch man muss man die Fundorte kennen. Und wenn man im letzten Jahr einen Ort gefunden hatte, dann schwimmen wir auch im nächsten Jahr dort hin. Jede Taucherin hat einen solchen Ort, und dorthin tauchen wir auch immer wieder."
    Ob ein paar Kilometer vom Strand entfernt, oder weiter draußen im offenen Pazifik, immer halten die Frauen bis zu einer Minute die Luft an, und sind dann im düsteren Wasser verschwunden. Schon nach sieben bis acht Metern Tiefe ist die Sonne dort unten nur noch ein dumpfer Schein. Entdeckt eine Ama eine Abalone, die mit ihrer Unterseite fest am felsigen Untergrund anhaftet, nimmt sie ein spezielles Werkzeug, eine Art Messer, Brechstange und Spachtel in Einem, Nomi genannt.
    "Obwohl wir weit von der Küste hinaus schwimmen, gibt es manchmal im offenen Meer Untiefen, wo das Meer nicht so tief ist. Und oft gibt es unten diese Höhlen, in der Brandung. Und da leben diese Seeohren an der Decke dieser Höhlen. Solche Orte kennt man als Taucherin mit der Zeit. In diese Höhlen kann man nicht hineinschwimmen, da berühren wir nur die Decke, und dazu benutzen wir ein Gerät, am Ende des Gerätes ist so eine Art Harke, das andere Ende ist flach. Mit dieser Harke kann man die Seeohren von der Höhlendecke abnehmen. Aber auch Seegras kann man damit ernten, und diese Abalone. So fangen wir verschiedene Meeresfrüchte."
    Die Ama galten lange Zeit als eine gute Partie
    Immer ist die Ama-Frau bei jedem Tauchgang mit einer Art Floß verbunden, das an der Wasseroberfläche schwimmt.
    "Wir benutzen solch ein Floß, und dahinter hängt ein Netz. Und mit Schnüren sind wir mit diesem Floss verbunden, oder anders gesagt: wir binden dieses Floss mit den Schnüren an uns."
    "Und den Fang stecken wir in das Netz unter diesem Floss."
    "Also im Oktober bin ich neun Mal getaucht, nämlich neun Tage. Und die Taucherinnen, die einen guten Fangort wissen, also im Oktober durften wir nur diese kreisrunden Muscheln fangen, die konnte 60 bis 70 Kilogramm fangen. Aber Taucherinnen, die keinen solchen guten Ort wissen, können nur wenig fangen."
    Unter den Männern der jeweiligen Umgebung galten Ama lange Zeit als eine gute Partie. Denn die Taucherinnen konnten Meeresfrüchte im Wert von bis zu 500 Euro täglich nach oben holen. Doch auch wenn dieser Beruf eine lange Tradition hat, wie wird man eigentlich eine Ama? Ist das einem in die Wiege gelegt? Gibt es eine Art Ama-Lehre?
    "Mädchen in meiner Generation spielten im Sommer immer an der Küste. Früher gab es kein Handy, keine Spielzeuge. Deshalb, als Spiel, gingen wir im Meer tauchen. Und sammelten dabei am Meeresboden Abalones, und anderes. Das war ein Spiel für Mädchen."
    Alles ändert sich, auch bei den Ama. Waren es früher noch zehntausende Ama, die ins Meer gingen, so sind es heute in Japan um die 2.000 Frauen. Gründe sind die Überfischung und Verschmutzung der Meere. Zugleich werden Abaloni jetzt gezüchtet. Und:
    "Immer öfter ist der Mann nicht unbedingt Fischer. Sondern zum Beispiel auch Zimmermann, oder Angestellter irgendeiner Firma."
    Dann wird es langsam dunkel, die Meerfrauen gähnen verhalten, es war ein langer, anstrengender Tag.
    Das Meer wiegt sich in den letzten Sonnenstrahlen. In wenigen Stunden werden die Meerfrauen wieder rausfahren oder vom Strand in Mie rausschwimmen, in weiß gekleidet wie Bräute.
    Die Reportage wurde unterstützt von FINNAIR und JNTO (Japanische Fremdenverkehrszentrale)