Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Weiterhin ein wichtiges politisches Magazin "

Der Leiter des Adolf-Grimme-Instituts, Uwe Kammann, zählt den "Spiegel" trotz seiner 60 Jahre nach wie vor zu den wichtigsten Politik-Magazinen der Bundesrepublik. Ein Leitmedium, so wie es die Illustrierte früher einmal war, könne es in der vielfältigen Mediengesellschaft von heute jedoch nicht mehr geben.

Moderation: Bettina Klein | 04.01.2007
    Bettina Klein: Herr Kammann, mit wie viel Freude lesen Sie noch das montägliche Magazin?

    Uwe Kammann: Mit Freude, ja, natürlich lese ich es immer noch mit Freude. Ich finde alles interessant, was Neues bietet, was Enthüllungen immer noch verspricht, und das, was diese Gesellschaft in ihrer Vielfältigkeit widerspiegelt, und davon finde ich im Spiegel immer noch eine ganze Menge.

    Klein: Inwiefern stützen Sie die These der Verflachung der Tendenz zum Reißerischen?

    Kammann: Also reißerisch ist mir ein zu hohes Wort dafür, das wäre ja selber schon wieder reißerisch. Nein, es ist natürlich so, dass der Spiegel in einer Medienlandschaft, die insgesamt viel bunter und vielfältiger geworden ist, nicht an den Tendenzen vorbeikommen kann, die andere auch mitbestimmen. Also das, was man früher schon vom Äußeren her als eher Schwarz-Weiß-Denken und Sichtweise auch gefunden hat, das ist natürlich heute abgelöst durch eine wesentlich in sich vielfältigere Berichterstattung. Es ist natürlich auch ein bisschen mehr Klatsch zu finden, es ist das, was man auch die bunte Berichterstattung nennt, auch im Spiegel zu finden. Also da kann er sich nicht ganz entziehen, aber ich glaube trotz alledem, dass er weiterhin ein wichtiges politisches Magazin geblieben ist. Allerdings gilt, und das ist, glaube ich, für die gesamte Presselandschaft festzustellen: Das Leitmedium, wie man das früher mal formuliert hat, kann es so gar nicht mehr geben. Dazu ist heute die Vielfalt in sich viel zu groß geworden.

    Klein: Wie erklären Sie sich dann, dass in vielen Redaktionen, sicherlich auch in vielen Abgeordnetenbüros der Spiegel eben doch am Montag Pflichtlektüre ist und das Magazin es weiterhin schafft, auch auf diese Weise Themen zu setzen und die politische Agenda, ja, durchaus mitzubestimmen für die Woche?

    Kammann: Ja, aber das tun ja andere sicher auch. Allerdings ist die Erwartung, das ist wahrscheinlich das Besondere, beim Spiegel immer noch groß. Das liegt sicher an seiner Geschichte, weil er eben in der Vergangenheit einige große Enthüllungsgeschichten geliefert hat. Das allerdings, finde ich, kann man nun nicht immer erwarten. Das zeigt sich auch in anderen Medien, dass es da einen gewissen Bedeutungsverlust gibt, denken Sie an die politischen Magazine beispielsweise der ARD, das war früher auch eine Art von Pflichtvision, das musste jeder gesehen haben, heute sind sie ein Punkt neben anderen, wo man versucht, sich zu informieren, und insgesamt, das ist ja auch eine wesentliche Tendenz unserer Zeit, gibt es ja eine viel weitere Landschaft mit den Quellen, denken Sie an die so genannten Bürgerjournalisten, die jetzt auftreten in den Blogs, an das, was im Internet möglich ist. Da ist es sicherlich schwierig, eine solche andere Linie zu behalten. Allerdings ist ja eine Aufgabe weiterhin gar nicht zu verfehlen, das heißt glaubwürdige Informationen zusammen zu fassen, Hintergründe zu liefern und Zusammenfassungen zu geben. Also die Einordnung bleibt ja weiterhin eine originär journalistische Aufgabe, und da, finde ich, hat der Spiegel weiterhin eine wichtige Rolle. Dass das natürlich eben nicht mehr auf einer Linie gehen kann, zeigt sich ja auch schon daran, dass er multimedial arbeitet, wie andere Medien auch, indem es jetzt beispielsweise Spiegel Online gibt, indem es Spiegel-Specials gibt und seit den neunziger Jahren Spiegel TV. Also er ist ja da breiter aufgestellt, und alleine das mindert ja nochmal, das ist diese These, die ich von Anfang an hatte, eine Rolle, die früher eben sozusagen einmalig war, weil es da etwas konkurrenzlos Einzigartiges gab.

    Klein: Brauchen wir keine Wächter und Hüter der Demokratie mehr, keine Magazine, Publikationen, die sich für Enthüllungen stark machen?

    Kammann: Also diese Aufmerksamkeit darf ja nie nachlassen, nur darf man das nicht immer erwarten mit den großen Coups. Also bei Spiegel ist damit verbunden einmal die Spiegel-Affäre selbst, als er über Verteidigungspolitik schrieb und daraufhin vier Wochen die Redaktionsräume geschlossen wurden, dann Flick-Skandal, also Bestechungsaffäre, Neue Heimat, Coop, Uwe Barschel. Das waren natürlich die großen Geschichten, aber das ist ja auch eine Frage, ob sie im Leben gerade zu finden sind. So was hat natürlich hinterher eine Legendenfunktion, also da muss man, glaube ich, auch immer ganz gut verteilt messen, was man hatte als Ereignis selber und dem, wie man heute Demokratie lebt, das ist ja in vielem ein ganz mühseliges und zum Teil auch unscheinbares Geschäft, und dem, was es an großen Affären und Skandalen gab.

    Klein: Dass die Bedeutung zurückgeht, das zeigt sich jedenfalls an den Verkaufs- beziehungsweise Abonnementszahlen. Das betrifft allerdings nicht nur den Spiegel, sondern auch andere Illustrierte. Ein Trend, der nicht aufzuhalten ist, oder was würden Sie den Kollegen auf den Weg geben heute am Geburtstag?

    Kammann: Einfach sorgfältig, sehr intensiv zu arbeiten, nachhaltig zu arbeiten. Ich finde es auch sehr gut, dass der Spiegel heute viel mehr mit namentlichen Artikeln arbeitet. Früher gab es praktisch keine Autoren, das war alles verborgen hinter umgeschriebenen Spiegel-Geschichten. Es gab ja die berühmte Schlussredaktion, die gibt es ja auch noch, die das alles getrimmt hat, sehr viel stärker noch früher als heute, auf einen bestimmten sprachlichen Stil. Also da könnte er ruhig weitermachen. Natürlich ist es wichtig, hinter der Attraktion, die man mit äußeren Dingen verbindet, das alles insgesamt boulevardesker, bunter geworden ist, nicht die innere Linie zu verlieren, aber ich glaube Pluralität gehört heute zum Journalismus dazu. Das hatte schon Aust sehr früh erkannt. Lagerdenken in der früheren Form und in dem Sinne vielleicht mal auch eine spürbare Parteinahme, das kann heute, glaube ich, keine Zukunft der Presse sein, aber das Wächteramt, Finger auf die Wunden zu legen, Hintergründe zu beleuchten und auch aufzudecken, was schiefläuft, das ist eine Aufgabe, die heute ein Journal oder ein Magazin wie der Spiegel ebenso hat wie vor zehn oder zwanzig Jahren.