Freitag, 29. März 2024

Archiv

Welfenschatz
Naumann: Frühere Besitzer haben sich verspekuliert

Dass die Verkäufer des Welfenschatzes jüdischen Glaubens waren, mache sie nicht automatisch zu Opfern des Dritten Reiches, sagte der frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann im Deutschlandfunk. Die Familie habe sich einfach verspekuliert.

Michael Naumann im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 15.01.2014
    Stefan Koldehoff: Es ist ihr wohl größter Fall, über den die sogenannte Limbach-Kommission zu entscheiden hat. Die Nachfahren jüdischer Kunsthändler fordern von der Stiftung preußischer Kulturbesitz den sogenannten Welfenschatz zurück, mittelalterliche kunsthandwerkliche Gegenstände von unschätzbarem Wert, aus dem Braunschweiger Dom ursprünglich stammend, die das Haus Hannover den Händlern 1930 für acht Millionen Reichsmark verkaufte. Den drei Kunsthändlern gelang es, in den Folgejahren 40 der 82 Stücke in den USA zu verkaufen.
    Den Rest erwarb dann im Juni 1935 der formal noch existierende Staat Preußen mit Hermann Göring an der Spitze für 4,3 Millionen Reichsmark. „Der Verkauf habe unter Druck stattgefunden und es sei kein angemessener Preis gezahlt worden“, glauben die Anspruchsteller belegen zu können, das Gegenteil die Stiftung preußischer Kulturbesitz. Außerdem haben sich in den vergangenen Monaten noch weitere Geldgeber für den damaligen Kauf vom Haus Hannover gemeldet, ein komplizierter Fall also. Michael Naumann war 1998 Kulturstaatsminister, als auf der Washingtoner Konferenz die Grundlagen für die Restitution von NS-Raubkunst vereinbart wurden. Ein komplizierter Fall; auch der größte der Limbach-Kommission?
    Michael Naumann: Ja zweifellos. Es handelt sich ja, glaube ich, um über 40 Kunstgegenstände. Darüber hinaus aber, muss ich sagen, ist dieser Fall so kompliziert aus meiner Perspektive auch nicht, denn die Verkäufer haben seinerzeit nicht im Herrschaftsbereich des Dritten Reiches gelebt. Der Sachverhalt, dass sie jüdischen Glaubens waren, macht sie nicht automatisch zu Opfern des Dritten Reiches, denn sie lebten, ich glaube, fast ausnahmslos in England und hatten sich buchstäblich seinerzeit, als sie das Konvolut aufkauften, verspekuliert. Sie hatten einen Marktwert, glaube ich, von heute über 20 Millionen Euro, heute gemessen, angenommen, konnten dann aber ein Großteil nur zur Hälfte des Preises verkaufen, aber durchaus auch diese Teile wohl mit Gewinn. Aber das Gesamtkonvolut konnten sie nicht los werden und haben es dann mit einem Gesamtverlust von, glaube ich, zehn Prozent an die Stiftung preußischer Kulturbesitz, respektive genauer gesagt an das Dritte Reich verkauft, haben einfach ein Geschäft abgewickelt mit mittleren Verlusten. Man geht so von etwa zehn Prozent Verlust aus.
    "Staat hantiert im Fall Gurlitt unglücklich"
    Koldehoff: Die Limbach-Kommission, ein sehr honorig besetztes Gremium, dem neben Jutta Limbach, der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, auch der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Rita Süssmuth, ehemalige Bundestagspräsidentin angehören, neben weiteren Fachwissenschaftlern, ist eigentlich nur sehr, sehr wenig angerufen worden in diesen Jahren ihrer Existenz, weil immer die Zustimmung beider Seiten, also Anspruchsteller und Museen, vorhanden sein muss. Müsste man da mal überlegen, ob das eigentlich noch zeitgemäß ist?
    Naumann: Da haben Sie recht, das ist ein Konstruktionsfehler in der Angelegenheit. Die Frage ist dann natürlich, ob diese Kommission eine Art hauptberufliche Funktion übernehmen müsste, und das wäre dann nichts anderes als der Aufbau eines neuen Apparats von Provenienzforschern und Historikern des Dritten Reiches, die dieser, wie Sie sagen, durchaus honorigen Kommission vorarbeitet und zuarbeitet. Das ist meines Erachtens im Augenblick nicht der Fall.
    Koldehoff: Im Fall Gurlitt, der ja das Thema NS-Raubkunst für alle noch mal breit ins Bewusstsein geschaffen hat, da gibt es so ein Gremium: die sogenannte Task Force. Könnte man deren Kompetenzen eventuell erweitern?
    Naumann: Ich glaube, es wäre sinnvoll, wenn diese sogenannte Task Force – wir wissen ja eigentlich auch erst interessanterweise durch die „New York Times“, wer da Mitglied in dieser Kommission ist. Auch dieses ist wiederum ein Merkmal dafür, wie unglücklich der Staat in diesen Angelegenheiten hantiert. Erst hält er es jahrelang buchstäblich unter der Decke, den Fund der Gurlitt-Sache, dann werden die Mitglieder der Provenienzforscher-Kommission in der Angelegenheit Gurlitt erst durch die Auslandspresse bekannt gemacht.
    Man fragt sich wirklich, ob da ein Verständnis für angemessenes Krisenmanagement vorherrscht. Ich habe das Gefühl: nein! – Erstens. Zweitens: Sie können natürlich Provenienzforscher und auch Historiker für Angelegenheiten wie jetzt den Welfenschatz nicht gewissermaßen aus dem Handgelenk schütteln. Da sind außerordentlich kompetente Forscher, Geschichtsforscher gefragt, die auch erst einmal wahrscheinlich in einer Art und Weise ausgebildet werden müssten und sollten, übrigens nicht nur für Kunstgegenstände aus jüdischem Besitz, sondern auch für andere Kunstgegenstände, die in deutschen Museen und nicht nur in deutschen Museen liegen, die aber eindeutig zu Beutegut aus totalitären Zeiten des 20. Jahrhunderts gehören, die sich darin auskennen, auf diesen Feldern. Um eine solche Studienrichtung einzurichten – es muss ja nicht an jeder Universität geschehen -, benötigt es wieder einmal Geld, und ich bin schon durchaus der Meinung, dass der Bundestag sich hier vielleicht mal etwas einfallen lassen könnte.
    "Gerechtigkeit ist keine Frage des Zeitgeistes"
    Koldehoff: Aber wäre dafür nicht seit 1998 Zeit gewesen? Ich meine, es ist ja nicht erst seit gestern, dass sich die Museen selbstverpflichtet haben.
    Naumann: Dazu wäre Zeit gewesen, Herr Koldehoff, seit 1949.
    Koldehoff: Sie fordern eine Öffentlichmachung der Mitglieder der Task Force?
    Naumann: Ja na selbstverständlich!
    Koldehoff: Um noch mal auf den Welfenschatz zurückzukommen. Die Stimmung, das Klima, gesellschaftlich, ist ja im Moment durch den Fall Gurlitt reichlich angeheizt, was NS-Raubkunst angeht. Ist es der Limbach-Kommission da überhaupt möglich, aufgrund ausschließlich sachlicher, ihr vorgelegter Argumente und Dokumente zu entscheiden, oder muss man da auch ein bisschen den Zeitgeist mit berücksichtigen?
    Naumann: Wenn Sie darauf andeuten wollen, dass bei einer Zustimmung zur Restituierung des Welfenschatzes oder des Restes des Welfenschatzes die Familien und Erben dieser Kunsthändler möglicherweise eine Tendenz zum Schlussstrich und vielleicht sogar zum Zorn in der Gesellschaft entstehen könnte, dann sage ich ja, die Gefahr besteht. Die Limbach-Kommission hat hier die außerordentlich heikle Aufgabe, gerecht zu urteilen, gerecht zu empfehlen, urteilen kann sie ja nicht, sich auf Zeitgeist und ähnliche Fragen nicht zu verlassen, respektive da auch nicht Rücksicht zu nehmen. Gerechtigkeit ist keine Frage des Zeitgeistes und in dieser Hinsicht ist diese Kommission gut besetzt. Frau Limbach war ja immerhin Verfassungsrichterin.
    Koldehoff: Der ehemalige Kulturstaatsminister Michael Naumann zur Restitutionsdebatte um den Welfenschatz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.