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Weltagrarkulturerbe
"Dieses Wissen wird Tag um Tag weiterentwickelt"

Es ist kein verklärter Blick auf die Vergangenheit, der die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO dazu bewegt hat, sich für das Weltagrarkulturerbe einzusetzen. Die ausgezeichneten Orte hätten ihre Nachhaltigkeit bewiesen, betonte FAO-Direktor Moujahed Achouri im DLF: "Auch in der Zukunft werden sie sich durch Anpassung als lebensfähig erweisen."

Moujahed Achouri im Gespräch mit Jule Reimer | 05.08.2015
    FAO-Direktor Moujahed Achouri
    FAO-Direktor Moujahed Achouri (privat)
    Jule Reimer: Seit vielen Jahrzehnten benennt die UN-Kulturorganisation UNESCO ganz besondere Bauwerke oder Naturerscheinungen als Weltkulturerbe oder Weltnaturerbe - der Kölner Dom und das norddeutsche Wattenmeer gehören dazu. Die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO hat sich vor rund zehn Jahren einen ähnlichen Titel einfallen lassen. Agrarlandschaften und die damit verbundenen Techniken, die seit Jahrhunderten für Ernährungssicherheit bei gleichzeitigem Schutz der Ökosysteme und der Artenvielfalt stehen, können sich als Weltagrarkulturerbe qualifizieren - als Globally Important Agricultural Heritage Systems, kurz GIAHS.
    Wir wollen Ihnen in den nächsten Tagen Beispiele aus aller Welt in "Umwelt & Verbraucher" vorstellen. Doch als Erstes habe ich Moujahed Achouri, bei der FAO zuständiger Direktor für Böden und Wasser, nach einem Ereignis in New York gefragt. Dort einigten sich nämlich die über 190 UN-Staaten am Sonntag auf 17 nachhaltige Entwicklungsziele für das Jahr 2030. Und wenn man die liest, erscheinen einem die von der FAO als Weltagrarkulturerbe benannten Agrarlandschaften als perfekt geeignet für die Zukunft.
    Moujahed Achouri: Ja, dieses Weltagrarkulturerbe ist ein Konzept, das auf bestimmten Produktionsformen beruht. Wir halten die für global bedeutsam. Sie passen sich an die sich wandelnden Umstände an, sie haben über Jahrhunderte hinweg ihre Dienste geleistet, und sie haben aber nicht nur in der Vergangenheit das erfüllt, sondern auch in der Zukunft werden sie sich durch Anpassung als lebensfähig erweisen und spielen diese Rolle auf nachhaltige Weise.
    Reimer: Und warum nachhaltig? Was ist dann nicht-nachhaltige Landwirtschaft?
    Achouri: Nachhaltig bedeutet hier, dass sich diese Produktionsformen an den Wandel anpassen, jetzt etwa an den Klimawandel, aber auch an viele andere Änderungen, etwa wachsenden Druck durch die Bevölkerung auf die Ressourcen.
    Reimer: Sie erwähnten, dass Landwirtschaft nicht immer nachhaltig ist. Müsste die FAO dann nicht manche Agrartechnik stärker infrage stellen? Wir haben ja sehr viele Monokulturen. Und diese Welterbestätten dagegen zeichnen sich durch Vielfalt aus. Die aktuell vorherrschende Landwirtschaft produziert auch eine ganze Menge klimaschädlicher Emissionen.
    Achouri: Die FAO spielt dabei in der Tat eine wichtige Rolle. So unterstützt also die FAO die verschiedenen Länder dabei, Politik und Strategien zu entwickeln, um auf angemessene Weise die vorhandenen Ressourcen so zu nutzen, dass sie auch in der Zukunft noch nachhaltig zur Verfügung stehen.
    Einkommen aus uralten Techniken
    Reimer: Ernährungssicherheit, eine Existenzgrundlage bieten, das ist ein Kriterium, um sich als Welterbestätte zu qualifizieren. In den nächsten Tagen werden wir hier in der Sendung "Umwelt & Verbraucher" mehrere Weltagrarkulturerbestätten vorstellen mit sehr schönen Beispielen von Kulturlandschaften und Technologien, wie die Reisterrassen der Hani. Aber wir erfahren auch, es sind meistens die Älteren, die diese Agrarsysteme am Leben erhalten und bewirtschaften. Die Jüngeren interessieren sich nicht mehr für diese überlieferte Landwirtschaft, und sie ziehen in die Städte. Handelt es sich dann doch um eine Art Museumslandwirtschaft?
    Achouri: Das sehe ich ganz und gar nicht so. Die Rolle ist vielmehr, dass wir diese ländlichen Gemeinschaften dabei unterstützen, Kapazitäten aufzubauen, sodass ihre uralten Techniken weiterhin Einkommen generieren können. Dieses so entstandene Wissen wird ja auch schon seit Generationen weitergegeben, sodass also alles andere als etwas Museales herauskommt. Dieses Wissen wird Tag um Tag weiterentwickelt, und wir arbeiten darauf hin, dass hier auch entsprechende Aktionspläne erarbeitet werden und die dann auch, Hand in Hand mit nationalen Programmen, umgesetzt werden.
    Reimer: Angesichts der Subventionen, die die US-Amerikaner und die Europäische Union ihren Landwirten zahlen können, werden diese Weltagrarkulturerbestätten doch niemals wettbewerbsfähig produzieren können.
    Achouri: Nun, sie stehen doch in der Tat schon im Wettbewerb. Darüber hinaus sind sie auch lebendiges Kulturerbe, auf das die ländlichen Gemeinschaften und auch die regionalen Regierungen stolz sind, weil sie eben weiterhin Einkommen sichern. Darüber hinaus gibt es neue Entwicklungen. Wir sehen, dass diese alten landwirtschaftlichen Gebräuche sich vernetzen mit Gebieten wie Öko-Tourismus oder Umweltdienstleistungen. Das Ganze wächst also. Unsere Erfahrung zeigt das. Wir haben immerhin 14 Länder schon mit einbezogen in dieses Programm, und zehn weitere Länder zeigen sich interessiert, das Konzept weiter mit uns zu entwickeln.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.