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Weltbevölkerungsbericht 2018
Bähr: Junge Frauen müssen Kinderwunsch erfüllen können

Die Weltbevölkerung wächst - eine Entwicklung, die sich nicht aufhalten lässt, aber verlangsamen, sagte Renate Bähr von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung im Dlf. Beispielsweise würden viele Frauen in Entwicklungsländern gerne weniger Kinder bekommen - dabei müsse man ihnen helfen, etwa durch Zugang zu Verhütungsmitteln und mehr Bildung.

Renate Bähr im Gespräch mit Jule Reimer | 17.10.2018
    Renate Bähr, Geschäftsführerin der Stiftung Weltbevölkerung, bei einer Pressekonferenz in Berlin (2012).
    Renate Bähr von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) (picture alliance / dpa / Hannibal Hanschke)
    Jule Reimer: In Berlin wird zur Stunde der Weltbevölkerungsbericht 2018 der Vereinten Nationen vorgestellt. An der Seite von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller sitzt dort auch Renate Bähr von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW). Kurz vor dieser Sendung konnte ich sie fragen, ob der erste Schritt zu mehr Klima- und Umweltschutz der Versuch sein müsste, das Bevölkerungswachstum deutlich abzubremsen.
    Renate Bähr: Es müsste einer von vielen Schritten sein. Ich denke, das Thema Umweltschutz, Klimawandel ist nicht mit einer Maßnahme alleine zu regeln. Jeder Mensch ist ein Verbraucher. Nur verbrauchen zurzeit wir hier, die wir in den reichen Ländern leben, so unendlich viel mehr Ressourcen und tragen so viel mehr zum Klimawandel bei als genau die Menschen, die dort leben, wo das Bevölkerungswachstum stattfindet. Nichts desto trotz: Wir wollen ein gutes Leben für alle, und das wird immer heißen auch mehr Verbrauch.
    Bähr: Im Bereich Armutsbekämpfung muss mehr gemacht werden
    Reimer: So großer Ressourcenverbrauch wird aber ja konstatiert; Abbau von Rohstoffen, Intensivlandwirtschaft wird propagiert, um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können. Je mehr Leute Auto fahren, desto mehr Luftverschmutzung haben wir. Wenn alle Strom wollen, heißt das auch, dass zumindest in vielen Entwicklungsländern oder auch bei uns die Kohlekraftwerke in Betrieb sind. Je mehr Menschen auf der Erde, desto höher der Ressourcenverbrauch - ist das immer auf jeden Fall eine Gleichung?
    Bähr: Diese Gleichung ist sicherlich richtig. Nur muss man natürlich beachten, was tragen wir dazu bei. Gerade wenn es um Ressourcenverbrauch geht, dann appelliere ich in der Tat im Moment an die Industrieländer wesentlich stärker, zumal wenn ich auch sehe, wie die Energie-Effizienz genutzt wird, um mehr, größer, bunter, heller und schneller zu sein. Da sind schon andere Fragen, die auch adressiert werden müssen. Nur das Bevölkerungswachstum, wenn man darauf fokussiert, trägt es einen Beitrag, aber es ist ein viel größeres Hindernis aus meiner Sicht im Bereich der Armutsbekämpfung.
    Reimer: Das heißt, was müsste da passieren?
    Bähr: Zunächst – und das ist ja auch die Aussage des Berichtes, den wir vorstellen – ist es wichtig, dass die Menschen auch ihre Wünsche nach Kindern umsetzen können, und in Entwicklungsländern ist es so, dass Frauen weniger Kinder haben möchten, als sie derzeit bekommen. Hierfür alles zu tun, dem Wunsch der Mütter und Frauen zu entsprechen, ist für mich wirklich einer der ersten Schritte, die gemacht werden müssen – im Umweltschutz, aber viel mehr auch in der Armutsbekämpfung und in der Entwicklung.
    Reimer: Auch unter dem Aspekt der Rechte der Frauen. Das heißt, Sie meinen den Zugang zu Verhütungsmitteln, auch die Möglichkeit, gegebenenfalls abtreiben zu können. – Jetzt hat aber zum Beispiel China durchaus in Gesundheit und Bildung investiert. Dort gibt es den Zugang zu Verhütungsmitteln. Da wurde die Ein-Kind-Politik eingeführt. Trotzdem ist dort die Bevölkerung stark gewachsen.
    Bähr: Ja. China ist das immer noch bevölkerungsreichste Land. Das ist keine Frage. Wir wissen noch nicht, was dort wäre, wenn China keine Ein-Kind-Politik eingeführt hätte. Nichts desto trotz: Das Thema Bevölkerungswachstum, man kann es nicht bremsen. Das ist eine Entwicklung, die stattfindet. Man kann Bevölkerungswachstum verlangsamen helfen, und hier ist für mich und auch nach Ansicht der Wissenschaftler, die noch mal an dem Bericht gearbeitet haben, ganz entscheidend zu sagen: Helft, tragt dazu bei, schafft Rahmenbedingungen, die es Frauen ermöglichen, ihren Kinderwunsch zu erfüllen.
    Denn der liegt in Deutschland vielleicht nicht, aber in den Ländern, wo das Wachstum sehr, sehr hoch ist – und das sind letztlich alle Länder im südlichen Afrika -, den Frauen zu helfen, Verhütung betreiben zu können. Das fängt an mit den Verhütungsmitteln, endet da aber nicht, sondern es müssen die Gesundheitssysteme her, es muss Bildung her, es muss in den Gesellschaften noch diskutiert werden, denn häufig gibt es zwar Verhütungsmittel, aber da gibt es große Vorurteile, Vorbehalte. Es gibt auch nicht die Gesundheitsstationen. Es gibt die Familie, es gibt die Schwiegermutter. Eine Diskussion muss stattfinden. Wir als Stiftung Weltbevölkerung machen das, indem wir mit Jugendlichen arbeiten, aber auch Jugendliche, die mit den Gemeinden reden und herkömmliche Normen und Werte diskutieren.
    "Die jungen Frauen möchten anders leben als ihre Mütter"
    Reimer: Äthiopien gilt als Land, wo das Bevölkerungswachstum immer noch stark ist, aber die Geburtenrate abgesunken ist. Was haben die anders oder richtig gemacht?
    Bähr: Äthiopien gehört zu den Ländern, die unmittelbar nach der bahnbrechenden Kairoer Weltbevölkerungskonferenz 1994 einen Plan aufgestellt haben und gesagt haben, wir wollen Familienplanung fördern. Und das haben sie gemacht. Es ist eines der Länder, die wirklich alles daran gesetzt haben. Und wir sehen auch hier die Erfolge, obwohl es das zweitgrößte bevölkerungsreiche Land ist, aber die haben halt viel Bevölkerung, es ist auch ein großes Land.
    In den Städten, in diesem Falle in der Hauptstadt Addis Abeba, ist die durchschnittliche Kinderzahl inzwischen auf unter zwei, auf 1,8 Kinder pro Frau im Durchschnitt gesunken. Das ist ein toller Erfolg. Allerdings wenn man aufs Land geht – und Äthiopien ist ein bäuerliches Land; mehr als 90 Prozent leben wirklich auf dem Land, schwer erreichbar mit Straßen -, dort müssen wir auch hin, denn dort ist die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau immer noch hoch. Aber auch hier – Äthiopien ist eines der vier ostafrikanischen Länder, in denen wir tätig sind – gibt es einen Bedarf. Gerade die jungen Frauen sind informiert durch die sozialen Medien und sie möchten anders leben als ihre Mütter.
    Reimer: Welche Rolle spielt bei so was auch Wirtschaftswachstum?
    Bähr: Wirtschaftswachstum ist sicherlich in den Ländern wichtig, wobei die Frage ist, wieviel bleibt in dem Land und inwieweit profitiert eine breite Bevölkerung. Das ist eine in der Tat große Frage für mich. Aber Bildung ist sicherlich in breiten Kreisen der größere Hebel, denn allein schon, wenn ich planen will, mein Leben planen, dazu gehört ein Bildungsgrat, und der geht auch über Lesen, Schreiben und Rechnen hinaus.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.