Mittwoch, 24. April 2024

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Welterbe-Zerstörung
"Kultureinrichtungen haben mit der Identität der Menschen zu tun"

Zerstörung von Kulturgütern als Kriegsverbrechen - wegen dieses Vorwurfes muss sich der Malier Ahmed al-Faki al-Mahdi vor dem Internationalen Strafsgerichtshof in Den Haag verantworten. Die Zerstörung von 14 Mausoleen in Timbuktu sei dramatisch gewesen, sagte Mechtild Rössler, Direktorin des UNESCO-Welterbezentrums, im DLF. Bei den Angriffen auf das Kulturerbe sei viel mehr zerstört worden als nur das physische Erbe.

Mechtild Rössler im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 08.03.2016
    Das Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag.
    Das Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. (dpa / Wolfgang Kumm)
    Maja Ellmenreich: Was Menschen ihren Mitmenschen jenseits jeder Menschlichkeit antun, darüber wird am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag geurteilt. Grausame Kriegsverbrechen kommen da zur Sprache, die man sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen mag. Seit Kurzem muss sich in Den Haag ein Mensch dafür verantworten, was er Kulturgütern angetan hat. Dem Malier Ahmad al-Faqi al-Mahdi wird vorgeworfen, als hochrangiger Milizionär der Terrorgruppe Ansar Dine die Zerstörung von historischen Grabstätten und einer Moschee angeordnet zu haben. Mit Spitzhacken und Meißeln hatten daraufhin Islamisten im Sommer 2012 in Malis Hauptstadt Timbuktu gewütet.
    Zerstörung von Kulturgütern als Kriegsverbrechen - darüber habe ich vor der Sendung mit Mechtild Rössler in Paris gesprochen. Sie ist Direktorin der Abteilung für das Kulturerbe und das Welterbezentrum am UNESCO-Hauptsitz. Frau Rössler, der Prozess an sich müsste doch in Ihren Augen schon ein Teilerfolg sein, oder? Als symbolischer Akt im Sinne der Kulturgüter in Timbuktu.
    Mechtild Rössler: Wir finden diesen Prozess sehr, sehr wichtig. Es ist nicht ganz das erste Mal. Wir hatten schon in dem sogenannten Struga-Fall - da ging es um die Verbrechen im früheren Jugoslawien während des Krieges mit der Bombardierung von Dubrovnik. Das wurde schon erwähnt in einem vorherigen Verfahren. Aber es ist das erste Mal, dass das so deutlich hier zur Sprache kommt mit Mali, und das ist für uns ganz, ganz wichtig. Denn die Zerstörung der 14 von den 16 Mausoleen, die auf der Welterbeliste sind, das war dramatisch für die Leute vor Ort, das war dramatisch für die UNESCO und das war dramatisch für die ganze internationale Gemeinschaft. Wir haben inzwischen diese 14 Mausoleen wiederhergerichtet mit der lokalen Bevölkerung, weil das sind ja Gebäude, die aus traditionellen Materialien, das heißt aus Erde hergestellt werden, und da geht es darum, dass die Menschen, die dieses Wissen haben, wie das auch gemacht wird, einbezogen wurden. Das ist uns gelungen und wir haben im Juli letzten Jahres die Mausoleen wiedereingeweiht.
    Ellmenreich: Die Chefanklägerin in Den Haag sprach bei einer Vorabanhörung von einem eiskalten Anschlag auf die Würde und Identität ganzer Bevölkerungsgruppen. Jetzt haben Sie gerade vom Wiederaufbau schon gesprochen. Lässt sich denn durch so einen Wiederaufbau die Würde und die Identität der Menschen in Timbuktu wiederherstellen?
    Rössler: Das ist eine sehr schwierige Frage, weil wir uns im Moment genau mit diesen Fragen der Rekonstruktion befassen. Deutschland hat das ja erlebt nach dem Zweiten Weltkrieg: Was baut man eigentlich wieder auf bei diesen großflächigen Zerstörungen. Aber ich denke, bei diesen Angriffen auf das Kulturerbe wird sehr viel mehr zerstört als nur das physische Erbe, weil diese Gebäude und diese Kultureinrichtungen haben ja etwas mit der Identität der Menschen zu tun. Und gerade bei Sakralbauten oder Gebäuden, die religiös benutzt werden, ist das noch wichtiger als vielleicht bei anderen Gebäuden, dass das wiederhergestellt wird. Wir haben ja in Timbuktu gerade vor Kurzem eine Zeremonie gemacht, eine Re-Sakralisierungszeremonie, und ich denke, das hat auch wieder für die Bevölkerung eine enorme Wirkung gehabt, und es ist auch eine Kampfansage gegen jegliche Zerstörung.
    "Das ist ganz, ganz wichtig, dass man das öffentlich macht"
    Ellmenreich: Stichwort Wirkung, Stichwort Kampfansage. Nun dient Strafe nicht nur der Gerechtigkeit, sondern Strafe dient auch der Abschreckung. Was meinen Sie, wird ein zu erwartendes Urteil irgendjemanden davon abhalten, Ähnliches wieder zu tun? Oder wird die Aufmerksamkeit, die solch ein Prozess generiert, oder vielleicht auch die Aufmerksamkeit, die so eine Zeremonie, die sie gerade beschrieben haben, bewirkt, zum Beispiel El-Kaida oder IS-Kämpfer noch weiter dazu anstacheln, weitere Kulturgüter zu zerstören?
    Rössler: Das ist sehr, sehr schwierig eigentlich realistisch abzuschätzen. Aber was es in jedem Falle tut ist, die internationale Gemeinschaft mehr aufzurütteln. Das heißt, auch die ganz normale Bevölkerung wird jetzt informiert, wie dramatisch das eigentlich aussieht vor Ort und was das eigentlich bedeutet für die Menschen, die diese Gebäude schützen wollten. Wie Sie vielleicht wissen, sind die Mausoleen von einzelnen Familien im sozusagen Familienbetrieb, die die erhalten, und das war natürlich ein Schock für diese Familien auch. Das heißt, ich denke, das ist ganz, ganz wichtig, dass man das öffentlich macht, den vorsätzlichen Angriff auf Kulturgüter aus irgendwelchen ideologischen Voraussetzungen.
    "Die Menschen haben jetzt nicht mehr den Mittelpunkt"
    Ellmenreich: Steht die Gewalt an Dingen, in diesem Fall Kulturgütern, aber nicht immer an zweiter Stelle, nämlich hinter der Gewalt an Menschen? Das macht wahrscheinlich die Lobby-Arbeit für die Kulturgüter nicht gerade leichter, oder?
    Rössler: Das ist natürlich nicht einfach und der Schutz des Lebens geht natürlich über alles. Aber der springende Punkt hier ist auch, dass für die Menschen, für ihre eigene Identität es wichtig ist, diese Orte zu haben. Wir haben das selbst jetzt in Nepal erlebt. Es gibt sakrale Orte, die sind zerstört worden im Erdbeben. Die Menschen haben jetzt nicht mehr den Mittelpunkt, wo sie sich treffen, und das ist dramatisch in einer Situation von Konflikten, wo sie keine eigenen Häuser mehr haben, und dass diese Orte, wo sie sich getroffen haben, aus religiösen Gründen, aus anderen Gründen, dass die auf jeden Fall erhalten werden sollten und geschützt werden sollten.
    Ellmenreich: Mechtild Rössler, Direktorin des UNESCO-Welterbezentrums, herzlichen Dank für das Gespräch über den Prozess in Den Haag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.