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Welthandelsorganisation
Klagestau bei der WTO

Streit über Autoexporte oder Zoff um Exportbeschränkungen für seltene Erden: Die Welthandelsorganisation WTO hat die Aufgabe, solche Konflikte zu schlichten. Zuletzt muss sie das immer häufiger tun. Die Politik von Donald Trump könnte die Lage weiter verschärfen.

Von Hans-Jürgen Maurus | 26.05.2017
    Neufahrzeuge von Audi werden auf dem VW-Autoterminal in Emden auf einen Autotransporter verladen.
    Droht wegen Donald Trump bald ein Handelskrieg? (picture alliance / dpa - Ingo Wagner)
    "America first" – die Parole des neuen US-Präsidenten Donald Trump sorgt in den Büros der Welthandelsorganisation WTO in Genf für Sorgenfalten. Denn der zunehmende Protektionismus könnte zu noch weit mehr Verfahren für die Streitschlichter führen – die im Moment ohnehin schon alle Hände voll zu tun haben.
    Zwischen 2012 und 2016 gab es 30 Prozent mehr Streitfälle als im Vergleich zu den fünf vorangegangenen Jahren. Ein Grund ist die gestiegene Zahl der WTO-Mitglieder, so Vize Generaldirektor Karl Brauner. Inzwischen sind es 164 Staaten. Zudem sei die Klagebereitschaft größer:
    "In dem Sinne, dass eine Klage gegen einen anderen Mitgliedsstaat zu führen nunmehr eine ganz normale Sache ist. Das ist nicht mehr eine Kriegserklärung, sondern man hat Meinungsverschiedenheiten und man benutzt jetzt das Streitbeilegungssystem."
    Auch der Ton wird rauer, beobachtet Karl Brauner:
    "Ich glaube schon, dass es in den Situationen, in denen es um Grundsatzfragen geht, sicherlich mit besonderer Hartnäckigkeit gerungen wird."
    60 Prozent der Entscheidungen werden angefochten
    Einen weiteren Grund sieht Brauner im technologischen Aufstieg einzelner Mitgliedsländer, die plötzlich zu Rivalen auf dem Weltmarkt werden:
    "Wenn Sie sich zum Beispiel anschauen, dass Kanada und auch Brasilien nunmehr Anbieter von Flugzeugen sind auf dem Weltmarkt, dann können Sie sich vorstellen, dass es dort auch Streitigkeiten geben kann, die es, als diese Flugzeuge noch nicht angeboten wurden, eben nicht gab."
    Die Verliererstaaten legen zudem häufig Berufung ein – deswegen hat sich ein Klagestau gebildet. Vor allem vor der Berufungsinstanz, bestätigt der WTO-Vize-Generaldirektor:
    "Der Stau hat sich verlagert in die zweite Instanz - dort können wir nicht einfach aufrüsten -, dort gibt es sieben Richter, die Zahl ist festgelegt. Ich bedauere das, dass 60 Prozent der erstinstanzlichen Entscheidungen im Berufungsgericht angefochten werden. Ich finde, das ist zu viel. Aber weil wirtschaftliche Interessen dahinter stecken, lässt man keine Möglichkeit aus, man will sich nicht als Regierung dem Vorwurf aussetzen, man habe nicht alles versucht für die betroffenen Unternehmen und deshalb geht sehr viel in die zweite Instanz."
    Streit zwischen der EU und Russland
    Auch politische Gründe haben zu der Klageflut vor der WTO geführt, etwa die EU-Sanktionen gegen Russland als Reaktion auf den Konflikt in der Ostukraine. Brüssel hatte verfügt, dass russische Banken einen erschwerten Zugang zum Kapitalmarkt erhalten. Moskau reagierte darauf mit Einfuhrverboten für westliche Agrarprodukte:
    "Das bedaure ich, wir sollten hier über Handelsfragen im Wesentlichen urteilen und nicht in politische Streitigkeiten hineingezogen werden. Aber das lässt sich wohl nicht vermeiden."
    Im Konflikt mit Russland geht es auch um deutsche Interessen. So richteten sich die Antidumpingmaßnahmen Russlands gegen Transportfahrzeuge aus Deutschland und Italien. Mercedes, VW und Fiat sind direkt betroffen. Im Januar hat die WTO die russischen Strafzölle als rechtswidrig eingestuft und einer EU-Klage stattgegeben. Die russische Regierung legte Widerspruch ein – der Fall ist immer noch nicht abschließend entschieden.
    Prof. Michael Hahn vom Welthandelsinstitut in Bern beobachtet zudem, dass die Streitfälle komplexer werden. Die Zeiträume reichten nicht mehr aus. Hahn nennt ein Beispiel:
    "Airbus / Boeing braucht statt der vorgesehenen neun Monate mehrere Jahre und das beobachten wir auch in anderen Fällen."
    Auch Karl Brauner bestätigt, dass der seit zwölf Jahren andauernde Dauerzoff zwischen Boeing und Airbus der WTO zu schaffen macht:
    "Wenn ich einfach nur mal eine Zahl nennen darf, die Parteien haben 4500 Seiten Schriftsatz vorgelegt - dazu kommen dann noch, wir nennen das Beweismaterialen wie Verträge, aber allein die Schriftsätze,4500 Seiten, hochkomplexe Angelegenheit."
    Trumps Protektionismus könnte einen Handelskrieg auslösen
    WTO-Experte Hahn befürchtet eine neue Klagewelle, wenn sich protektionistische Maßnahmen ausbreiten, vor allem dann, wenn der neue amerikanische Präsident Donald Trump seine Drohungen wahrmachen sollte und höhere Zölle einführt:
    "‘America first, always America first‘ - mehr geht nicht und es ist, so scheint es momentan, nicht nur leeres Gerede, sondern man scheint bereit zu sein, teilweise mit der Hilfe des Kongresses, ganz ist das nicht sicher, so scheint mir, aber man ist als Exekutive bereit, das komplett aggressiv umzusetzen."
    Handelsprofessor Hahn kann sich sogar das Szenario eines Handelskrieges vorstellen:
    "Wenn beispielsweise die Wettbewerbssituation der Europäer in Amerika massiv beeinträchtig würde, rechtswidrige Beschränkung europäischer Exporte erfolgen würde, dann gäbe es natürlich gute Gründe für die Europäer zu sagen, das können wir nicht ohne Konsequenzen lassen und dann bestünde in der Tat diese Gefahr eines Handelskrieges."
    Doch bevor es so weit kommt, wird die WTO alle Mittel nutzen, um einen Konflikt beizulegen. Auch wenn das im Zweifel noch mehr Arbeit bedeutet.