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Welthungerhilfe: Normaler Alltag in Nordkorea

Die jüngste Krise zwischen Nord- und Südkorea habe keinen unmittelbaren Einfluss auf das Alltagsleben der Nordkoreaner, berichtet Gerhard Uhrmacher von der Deutschen Welthungerhilfe. Die Politik der Führung sei ein Tabuthema, die Menschen bereiteten sich eher auf den Feiertag nächste Woche vor.

Gerhard Uhrmacher im Gespräch mit Christine Heuer | 10.04.2013
    Christine Heuer: Heute ist einer von mehreren Stichtagen in der Nordkoreakrise, denn ab heute, hat Pjöngjang gewarnt, sind ausländische Botschaften im Konfliktfall nicht mehr zu sichern. Japan und Südkorea haben inzwischen ihren Alarmzustand, den Alarmzustand ihrer Armeen, erhöht. Am Telefon ist Gerhard Uhrmacher, Projektleiter für Nordkorea bei der Deutschen Welthungerhilfe. Die Deutsche Welthungerhilfe ist die letzte deutsche Hilfsorganisation in Nordkorea, und dort war Gerhard Uhrmacher zuletzt im vergangenen Jahr. Er ist in ständigem Kontakt zu den Mitarbeitern seiner Organisation in dem Land. Guten Morgen, Herr Uhrmacher.

    Gerhard Uhrmacher: Ja, schönen guten Morgen.

    Heuer: Ihr Team, Herr Uhrmacher, hat Kontakt zu den normalen Menschen in Nordkorea. Kriegt die Bevölkerung überhaupt etwas mit von der akuten Krise?

    Uhrmacher: Die bekommt natürlich das mit, was die Regierung, das Regime offiziell verkündet innerhalb des Landes. Ein differenziertes Bild ist sicher schwer für die normalen Menschen zu erhalten.

    Heuer: Spürt man denn im nordkoreanischen Alltag etwas von einer militärischen Mobilmachung? Hat sich die Situation vor Ort irgendwie verändert in den vergangenen Wochen?

    Uhrmacher: Für unsere Kollegen stellt sich die Situation fast normal dar. Was das Alltagsleben der Menschen angeht, gibt es kaum einen Unterschied zu sonst. Im Moment befindet man sich in den Vorbereitungen für den großen Feiertag nächste Woche. Dann wird sicher zwei, drei Tage wieder nicht gearbeitet.

    Heuer: Der große Feiertag, muss man sagen, ist der Geburtstag des Staatsgründers.

    Uhrmacher: Ja, am 15. April genau, am Montag. Ansonsten läuft der Betrieb relativ normal. Was wir im Moment ausgesetzt haben, sind die Fahrten in die Projektgebiete. Das haben wir im Moment gestoppt und warten einfach mal die nächste Woche ab. Aber das hätte so oder so wenig Sinn gemacht, weil halt die Feiertage anstehen und da weniger Aktivitäten stattfinden.

    Heuer: Halbwegs "business as usual" für Sie, für die Menschen. Wie ist denn die Stimmung in Nordkorea im Moment? Freuen die sich alle auf den Feiertag, oder gibt es da doch so etwas wie Unruhe?

    Uhrmacher: Unruhe nicht, aber das ist sehr gemischt. Es ist keine große Euphorie da, aber auch keine große Depression zu spüren.

    Heuer: Wir haben, Herr Uhrmacher, ganz selten Gelegenheit, mit Menschen zu sprechen, die sich in Nordkorea dann doch auch langfristig bewegen, so wie das die Deutsche Welthungerhilfe tut. Sprechen die Nordkoreaner manchmal über ihre Führung, oder ist das ein Tabuthema?

    Uhrmacher: Das ist eigentlich ein Tabuthema. Es wird sehr viel gesprochen über private Dinge, über familiäre Dinge, auch gerade mit den Kollegen, mit denen wir regelmäßig in Kontakt sind, mit denen wir auch viele Tage in Projekten verbringen. Aber die große Politik ist eigentlich kein großes Diskussionsthema. Das klammert man aus.

    Heuer: Haben Sie trotzdem einen Eindruck, welche Meinung die Menschen von ihrer Führung haben?

    Uhrmacher: Das ist sehr schwer zu sagen. Die Leute tun sich da schon schwer, klarere Äußerungen gegenüber ihrer eigenen Politik zu machen. Aber wir empfinden sie sonst als sehr nette, zuvorkommende und hilfsbereite Menschen im tagtäglichen Zusammenspiel.

    Heuer: Macht Ihnen die Führung Schwierigkeiten in Ihrer Arbeit?

    Uhrmacher: Überhaupt nicht! Wir haben klare Rahmenbedingungen, die hier und da mal einschränken, aber es gibt klare Regeln, die beide Seiten beachten, und damit kann man gut leben und damit ist auch eine Grundlage für eine Arbeit geschaffen, die durchaus erfolgreich sein kann.

    Heuer: Gibt es eigentlich noch Kontakte zwischen privaten Nord- und Südkoreanern, oder sind die jetzt im Zuge der Krise auch abgebrochen worden?

    Uhrmacher: Davon wissen wir überhaupt nichts. Das hat es nie nach außen erkennbar gegeben und wir wissen auch nicht, wie da die Situation im Moment ist.

    Heuer: Wir möchten gerne mit Ihnen über Ihre Arbeit vor Ort sprechen. Sie haben schon erwähnt, Sie betreten die Pfade in die Projektgebiete nicht mehr. Was heißt das konkret?

    Uhrmacher: Das heißt konkret, dass wir nicht, wie sonst üblich, jede Woche in den Projektgebieten in den einzelnen Provinzen unterwegs sind, um genau die Aktivitäten zu betreuen. Also zu den landwirtschaftlichen Genossenschaften fahren, die wir unterstützen. Das haben wir einfach jetzt ausgesetzt, erst mal für die nächsten zwei Wochen, und dann sehen wir, wie sich die Situation entwickelt hat.

    Heuer: Warum haben Sie das ausgesetzt, schon aus Sorge, dass etwas passieren kann?

    Uhrmacher: Ja, einfach aus Sicherheitsgründen. Weil wir nicht genau wussten, wie sich die ganze Situation entwickelt, und aus Fürsorge unseren Mitarbeitern gegenüber, aber auch den koreanischen Mitarbeitern gegenüber haben wir gesagt, wir wollen da kein Risiko eingehen, sondern die Leute sollen zunächst im Büro arbeiten, und da geht der Betrieb auch relativ normal vonstatten. Aber wir wollten einfach verhindern, dass die Leute irgendwo im Land unterwegs sind, weil nicht klar erkennbar war, was jetzt in nächster Zeit passiert.

    Heuer: Wie helfen Sie den Menschen denn dann ganz konkret im Moment? Büroarbeit muss auch mal erledigt werden, aber gibt es darüber hinaus etwas, was Sie für die Bevölkerung tun?

    Uhrmacher: Ja. Die Projekte, die wir durchführen, laufen ja eigentlich weiter. Das sind ja nicht unsere eigenen Mitarbeiter, die die Projekte selber durchführen. Das sind ja auch Institutionen im Land, landwirtschaftliche Betriebe, und die stoppen ja nicht ihre Arbeit von heute auf morgen. Im Moment ist Aussaatzeit, da werden die Felder weiter vorbereitet, und deswegen stoppt nicht sofort alles, bloß weil unsere Mitarbeiter nicht im Feld unterwegs sind.

    Heuer: Armut und Hunger, Herr Uhrmacher, sind ja geradezu sprichwörtlich für Nordkorea. Hat sich die Lage der Menschen durch die jüngste Krise weiter zugespitzt, haben Sie dafür Anzeichen?

    Uhrmacher: Die jüngste Krise hat, glaube ich, keinen unmittelbaren Einfluss auf das Alltagsleben der Menschen, auch nicht auf die Nahrungsmittelversorgung. Das wäre viel zu kurz gefasst. Im Moment sind wir in einer Situation: Wir haben jetzt Frühjahr, da sind die Wintervorräte zum großen Teil schon aufgebraucht, und das ist eine bekannte Mangelperiode im Land, wo die Nahrungsmittelvorräte schon knapp werden, bevor die neue Ernte wieder heranwächst.

    Heuer: Pjöngjang schottet sich im Moment ja auch wirtschaftlich ab, zum Beispiel durch die Schließung der Sonderwirtschaftszone Kaesong. Wird das Folgen haben für die Menschen?

    Uhrmacher: Das können wir nicht richtig beurteilen. Aber es ist offensichtlich: Wenn 53.000 Menschen nicht mehr in so einer Wirtschaftszone arbeiten, fehlt natürlich das Einkommen daraus. Aber da wissen wir auch nicht genau, wie lange sich das jetzt hinziehen wird, ob es da eine andere Lösung geben wird. Für uns hat das im Moment keine unmittelbare Auswirkung und Bedeutung.

    Heuer: Wenn Kim Jong-un so weitermacht wie bisher, dann werden die Sanktionen gegen Nordkorea möglicherweise weiter verschärft. Welche Folgen würde das haben?

    Uhrmacher: Das trifft uns inzwischen schon, weil die Sanktionen auch beinhalten, dass Projektmittel schwieriger zu überweisen sind, um die Arbeit vor Ort zu machen. Der Hilfsgüterstrom wird verlangsamt dadurch, dass die Kontrollen enger sind. Das macht uns Schwierigkeiten. Eigentlich sollten wir davon ausgenommen sein, aber es betrifft uns schon. Es bedeutet mehr Arbeit, mehr zeitlicher Aufwand, um die Dinge so zu organisieren und ins Land zu bringen, wie sie gebraucht werden.

    Heuer: Diese Drohung an die Botschaften, die Pjöngjang ausgestoßen hat, die berühren ja auch Sie. Lassen Sie Ihr Team trotzdem auch weiterhin in Nordkorea?

    Uhrmacher: Das Büro bleibt weiterhin geöffnet, wir sind auch arbeitsfähig und wir beobachten die Situation sehr genau, haben aber keine Entschlüsse gefasst, das Büro zu schließen. Das halten wir im Moment nicht für notwendig.

    Heuer: Unter welchen Umständen würden Sie Ihre Leute denn herausholen?

    Uhrmacher: Wenn es zu bewaffneten Auseinandersetzungen käme, würde man das überlegen. Aber das steht im Moment nicht an. Wir beobachten die Situation tagtäglich, sind im engen Kontakt mit den Behörden, mit den Botschaften, auch mit dem koreanischen Außenministerium, und müssen mehrmals täglich vielleicht neu entscheiden oder überlegen.

    Heuer: Herr Uhrmacher, Sie klingen so gelassen. Ich muss auch Ihnen die Frage stellen nach einer Prognose. Wie schätzen Sie Kim Jong-un und das Regime ein? Machen die irgendwann Ernst?

    Uhrmacher: Dazu können wir wenig sagen, weil wir diese Leute auch nicht kennen. Wir hoffen, dass das alles in Ruhe über die Bühne geht und dass sich die Situation wieder normalisieren wird. Das ist eine Hoffnung, die hoffentlich begründet ist. Sorgen machen wir uns trotzdem, aber unsere Mitarbeiter sind seit vielen Jahren dort und von daher herrscht da keine große Aufregung, sondern ein ernsthaftes Kümmern um die Angelegenheiten.

    Heuer: Gerhard Uhrmacher, Projektleiter für Nordkorea bei der Deutschen Welthungerhilfe. Herr Uhrmacher, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für Ihre Arbeit in dem Land.

    Uhrmacher: Herzlichen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.