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Weltkongress der Kulturpolitikforschung
Zur Rolle von Künstlern in Krisen und Konflikten

Daniel Gad, Kulturpolitikforscher an der Universität Hildesheim, fordert neben finanzieller Unterstützung auch Orte des Austauschs, Künstler-Residenzprogramme beispielsweise, um Mobilität von Künstlern zu ermöglichen. Mobilität sei zentral wichtig, damit Künstler sich austauschen könnten, letztlich auch einfach ihre Kunst sich verbreite, sagte er im DLF.

Daniel Gad im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 10.09.2014
    Eine Studentin sucht am 07.11.2012 ein Buch in der Bibliothek der Universität Hildesheim.
    Der Weltkongress für Kulturpolitikforschung findet gerade an der Universität Hildesheim statt, der einzigen deutschen Universität, die einen Lehrstuhl für Kulturpolitikforschung eingerichtet hat. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Burkhard Müller-Ullrich: Der Weltkongress für Kulturpolitikforschung findet gerade an der Universität Hildesheim statt, der einzigen deutschen Universität, die einen Lehrstuhl für Kulturpolitikforschung eingerichtet hat. Nach Montreal, Istanbul und Barcelona sind 400 Experten aus 60 Ländern nach Deutschland gereist, um unter anderem über die Rolle von Kultur in Konflikten zu debattieren. Ich habe vor der Sendung mit Daniel Gad, einem der Veranstalter, gesprochen und ihn zunächst gefragt, ob er denn auf dem Kongress etwas erfahren hat, was er nicht schon vorher wusste.
    Daniel Gad: Es geht darum, dass diese Wissenschaftler dieser besonderen Forschungsdisziplin einen Ort haben, zusammenzukommen, sich auszutauschen, sich auch erstmalig kennenzulernen. Ich habe beispielsweise eine Forscherin aus Neuseeland, die ich seit 2005 sehr gut kenne. Wir haben sehr eng schon zusammengearbeitet, aber in diesen neun Jahren haben wir uns noch nie physisch gesehen, und jetzt war es endlich so weit, dass wir direkt im Gespräch uns über unsere Forschungen, die wir mal vor Jahren in Nicaragua beide gemacht haben, austauschen konnten.
    Müller-Ullrich: Es gibt ja ein paar konkrete Fragen, die auch schon im Programm stehen, zum Beispiel, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, damit Künstler gesellschaftliche Wirkung erzielen können. Welche Rahmenbedingungen?
    Gad: Wir verfolgen in Deutschland ja seit den 70er-Jahren sehr intensiv die Idee, kulturpolitische Rahmenbedingungen zu schaffen, gedacht als einerseits einen freien Rahmen für Künstler, frei wirken zu können außerhalb von Zensur, außerhalb auch möglichst von finanziellen Engpässen, alles unter dem Stichwort "Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik". Wenn man diesem Gedanken folgt, stellen wir die Künstler in eine Position, einen Anteil daran zu haben, wie Gesellschaft lebt, existiert, wie sie diskutiert, wie sie kommuniziert. Künstler sind Beobachter unserer Gesellschaft, sie debattieren, sie kritisieren unsere Gesellschaft, und da ist es wichtig, Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen Schutzraum geben, die einen Rückhalt geben, die eine Anerkennung geben und die Orte bieten, wo Künstler tätig werden können. Ich denke, dass dieses zunächst erst einmal deutsche Konzept, Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik, auch eine Perfektive hat von weltweiter Gültigkeit.
    Müller-Ullrich: Woher kommt denn die von Ihnen offenbar geteilte Vermutung, dass den Künstlern bei gesellschaftlichen, bei zivilgesellschaftlichen Prozessen - schauen wir nur ins Ausland, zum Beispiel Arabellion und so weiter; das sind ja auch alles Themen, die bei Ihnen verhandelt werden -, dass den Künstlern da so eine besondere Rolle zukommt? Sie sagen selber, sie sind Beobachter der Gesellschaft. Aber das ist schon mal strittig. Künstler sind auch vor allem Beobachter von sich selbst. Und überhaupt könnte man ja anzweifeln, dass die Künstler im Unterschied zu Bäckern oder anderen da eine besondere Rolle in solchen Prozessen haben.
    Gad: Ich denke, dass Kunst ein ganz wichtiges Element des gesellschaftlichen Diskurses ist. Kunst lebt ja davon, dass Dinge abstrahiert werden, infrage gestellt werden. Insofern denke ich, dass hier Künstler einfach Teil eines gesellschaftlichen Diskurses sind, wo kritische Fragen angesprochen werden können, eben auch auf anderem Wege, also man kein Panel hat, keine Podiumsdiskussionen, wo Leute zusammensitzen, oder auch keine Gesprächsrunde, wo auch immer, im Hinterhof, auf der Straße, wo man vielfach mit reinen Worten gar nicht weiterkommt, sondern dass diese Option, über Kunst zu abstrahieren, einfach Räume schafft, gesellschaftliche Themen zu transportieren.
    Müller-Ullrich: Stichwort Kulturpolitik. Der Lehrstuhl, an dem Sie arbeiten, heißt "Kulturpolitik für die Künste innerhalb gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse". Was ist Ihre politische Forderung, außer mehr Geld?
    Gad: Das ist natürlich völlig klar: Ohne Geld kommt man nicht weiter. Aber darüber hinaus gilt es, der Frage nachzugehen, was heißt denn wirklich Förderung, was kann getan werden. Was heißt das, wenn man sagt, die Künstler brauchen Orte, wo ihre Kunst geschaffen wird, wo sie ausgestellt wird, wo sie vermittelt werden kann, wo sie letztlich ein Publikum erreicht. Es geht dann auch darum zu überlegen, was heißt es, Rahmenbedingungen zu schaffen. Heißt das, Künstlerwerkstätten müssen existieren können, Künstler brauchen soziale Absicherung. Es ist vollkommen klar: Gute Kunst, Kunst von hoher künstlerischer Qualität ist nicht unbedingt wirtschaftlich erfolgreich. Was heißt das im Umkehrschluss? Wenn wir diese Form von hochwertiger Kunst haben wollen, wenn wir sie fördern wollen, wenn wir sie nutzen wollen, letztlich als Teil unseres gesellschaftlichen Prozesses, was kann darüber hinaus sein, beispielsweise gesetzliche Absicherungen, aber eben auch Orte schaffen des Austausches, Künstler-Residenzprogramme beispielsweise, Mobilität von Künstlern zu ermöglichen. Mobilität ist zentral wichtig, damit Künstler sich austauschen können, neue Inspirationen kriegen können, letztlich auch einfach ihre Kunst sich verbreitet. Das sind Beispiele für Rahmenbedingungen außerhalb der rein finanziellen Förderung.
    Müller-Ullrich: Daniel Gad von der Universität Hildesheim über den Weltkongress für Kulturpolitikforschung, der dort gerade stattfindet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.