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Weltrekord im Weitsprung mit Wut im Bauch

6,84 Meter ist noch heute eine gute Weite im internationalen Vergleich. Heide Rosendahl schafft diesen Weltrekordsatz 1970 bei der Universiade in Turin, den Studentenweltspielen.

Von Eduard Hoffmann | 03.09.2010
    "Mir hat der Sport Spaß gemacht, ich bin gerne weit gesprungen. Ich hab eben gerne diese Vielseitigkeit gemacht. Wenn man das nicht gerne macht, dann erreicht man auch nur mal ab und zu einen Erfolg. Wir durften gar kein Geld damit verdienen, das war verboten."

    Dabei war sie ein großer Star, die Weitspringerin und Fünfkämpferin Heide Rosendahl: mehrfache Olympiasiegerin, Weltrekordhalterin und Sportlerin des Jahres 1970 und 1972. Die junge Frau mit der großen Nickelbrille und den bunten Ringelsöckchen war Anfang der 70er-Jahre "Deutschlands bekannteste und beliebteste Sportlerin". Als Jugendliche trainiert sie im Heimatverein Schwarz-Weiß Radevormwald und fährt schon bald zu Leichtathletiklehrgängen. Unter den Fittichen ihres Trainers Gerd Osenberg entwickelt sich das Talent schnell zu einer vielseitigen Spitzenathletin.
    Als sie 1966 in Köln mit dem Studium beginnt, wechselt Heide Rosendahl gemeinsam mit ihrem Trainer zu Bayer 04 Leverkusen. Der renommierte Verein hat eine hervorragende Leichtathletikabteilung und garantiert beste Trainingsbedingungen.

    Unvergessen bleibt für die Ausnahmeathletin der 3. September 1970. An diesem Tag tritt sie während der Studentenweltspiele in Turin im Weitsprung an.

    "Der Kampfrichter hat meinen ersten Versuch ungültig gemacht. Der saß ein bißchen sehr hoch auf seinem Stühlchen und hat dann die rote Fahne gezückt, und dann riefen mir schon andere aus dem Publikum zu, von unseren Athleten auch welche, lass dir die Marke zeigen, der war gut, der war gültig."

    Heides erboste Proteste sind erfolgreich, nach genauer Inspektion des Absprungbalkens kann der Kampfrichter keine Übertretung feststellen und erklärt den Sprung für gültig. Die Weite jedoch kann nicht mehr gemessen werden, weil der für die Sprunggrube zuständige Kampfrichter den Sand schon wieder glatt geharkt hatte.

    "Andere, die da an der Grube saßen, auch Springer, die das auch einschätzen konnten, haben gesagt, der war also über 90."

    Über 6,90 Meter, das wäre Weltrekord gewesen. Mit großer Wut im Bauch setzt Heide Rosendahl den Wettbewerb fort. Im sechsten und letzten Versuch landet die damals 23-Jährige bei 6,84 Meter, neuer Weltrekord. Die neue Weltrekordhalterin tanzt vor Freude.

    "Dann haben wir natürlich mordsgefeiert, ich wollte an sich die Hürden da noch mitlaufen, die musste ich dann am nächsten Tag streichen. Das hat mir schon was bedeutet, weil ich eben auch Weitsprung als Einzeldisziplin gerne gemacht habe. Der Weltrekord wurde gehalten von der Viorica Viscopoleanu aus Rumänien, und die hatte die 6,82 in Mexiko gesprungen, und das galt schon irgendwo als besondere Weite."

    Fünfeinhalb Jahre hat Heide Rosendahls Weltrekord Bestand. Nach dem großen Satz von Turin ist die Enttäuschung von Mexiko 1968 endgültig vergessen. Bei den Olympischen Spielen dort war die Medaillienanwärterin an einer Magen-Darm Grippe erkrankt und im Weitsprungwettbewerb nur Achte geworden. Im Fünfkampf, ihrer Lieblingsdisziplin, hatte sie wegen eines Muskelfaserrisses erst gar nicht starten können. Ehrgeizig peilt die Kämpfernatur den Höhepunkt ihrer Athleten-Karriere an, die Olympischen Spiele in München 1972, bei denen sie eine Silbermedaille im Fünfkampf gewinnt und zwei Goldmedaillen, in der 4 mal 100 Meter Staffel und im Weitsprung, wo sie bis zum letzten Versuch ihrer Konkurrentin um den Sieg bangen muss.

    "Da sehe ich die Bulgarin, sie hat einen etwas kürzeren Anlauf als Heide Rosendahl, jetzt läuft sie an, trippelt ein wenig, kurze Schritte, springt ab, und – das ist die große Frage – ungültig, Goldmedaille für Heide Rosendahl, ein Schrei, ein Jubelsturm geht durch das Stadion."

    Überraschend beendete die beliebte Athletin ein Jahr später - erst 25-jährig - ihre aktive Sportkarriere. Sie wollte dem Druck, der auf jedem Leistungssportler liegt, nicht mehr täglich standhalten müssen.

    "Ich musste mein Geld verdienen, ich hatte meinen Beruf. Ich war dann Dozentin an der Sporthochschule, musste unterrichten, und hinzu kam, dass ich auch gerne heiraten wollte. Ich wollte Kinder haben und das noch alles dazu, das konnte ich mir irgendwo nicht mehr vorstellen, wie ich das unter einen Hut gekriegt hätte."