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Weltweiter Bargeldtransfer
So kommt der Euro zur Familie

Remittances – Rücküberweisungen – übertreffen die offizielle Entwicklungshilfe um ein Dreifaches. Es ist das Geld, das Migranten in ihre Herkunftsländer schicken, um die Familie daheim finanziell zu unterstützen. 2016 sollen laut Weltbank rund 575 Milliarden US-Dollar transferiert worden sein. Die Zahlungen sind längst ein bedeutender Wirtschaftsfaktor.

Von Benjamin Dierks | 02.05.2017
    Straßenszene in Makeni, einer Stadt im Nordosten von Sierra Leone - Straßenhändler bieten vor einem Büro von Western Union ihre Waren an.
    Straßenszene in Makeni, Sierra Leone - vor einem Büro von Western Union warten Einheimische auf Überweisungen ihrer Familienmitglieder aus dem Ausland. Liberia, Nepal oder Tadschikistan bestreiten ein Drittel ihres BIP aus Rücküberweisungen. (picture alliance / dpa / Tom Schulze)
    In der Filiale von Western Union in Berlin-Neukölln hat sich eine Schlange gebildet. Nach und nach treten die Kunden an den verglasten Schalter und schieben der Bearbeiterin hinter der Scheibe ein postkartengroßes Formular zu.
    Darauf haben sie eine Summe X in Euro geschrieben und den Namen der Person, der sie das Geld schicken wollen. Der Transfer geht nach Marokko, nach Serbien oder in die Türkei. Auch der Syrer Ahmad Yaman hat sich angestellt, ein Freund begleitet ihn. Als die beiden an die Reihe kommen, flirten sie ein wenig mit der Angestellten hinter der Scheibe.
    Beschwingt verlassen die beiden jungen Männer die Filiale. Ahmad Yaman ist Arzt und arbeitet seit einigen Monaten an einer Berliner Klinik. Das Geld, das er eben bei Western Union aufgegeben hat, soll nach Zypern gehen.
    "Dort ist meine Verlobte. Und ich schicke es ihr zum Geburtstag, 300 Euro. Das ist für den Geburtstag, ja."
    Western Union lässt sich Service teuer bezahlen
    Yaman holt sein Handy hervor und sendet eine kurze Nachricht an seine Verlobte. Sie kann ihr Geburtstagsgeschenk nun an einer zyprischen Filiale abholen.
    Western Union ist ein US-amerikanischer Anbieter von weltweitem Bargeldtransfer. Der Finanzdienstleister wirbt damit, dass er Geld innerhalb weniger Minuten transferiert. In der Filiale am Zielort wird die Summe vorgestreckt. Deswegen können die Empfänger ihr Geld schon kurz nach der Einzahlung in Empfang nehmen.
    Diesen Service lässt das Unternehmen sich teuer bezahlen. Ins EU-Land Zypern hätte Ahmad Yaman das Geld auch kostenlos per Bank überweisen können. Bei Western Union musste er eine Gebühr in Höhe von 26 Euro zahlen.
    "Das ist zu viel, mit der Bank ist es schon besser, aber das Problem ist: meine Verlobte hat kein Bankkonto und es braucht lange. Es sind 300 Euro und das ist viel Geld für sie."
    Eine halbe Million Filialen weltweit
    Ahmad Yaman ist einer von Hunderttausenden, die auf diesem Weg größere oder kleinere Summen um die Welt schicken. Allein der Marktführer Western Union versendet eigenen Angaben nach pro Tag 16.000 Mal Geld im Auftrag seiner Kunden an eine seiner weltweit 500.000 Filialen.
    Diesen Service bieten auch die Wettbewerber wie Moneygram oder Ria an. Daneben gibt es die Möglichkeit der klassischen Überweisungen von Konto zu Konto bei Geschäftsbanken. Auch der Geldtransfer übers Internet oder Mobiltelefon nimmt stetig zu.
    Verschickt wird das Geld vor allem von Migranten, die Familie und Freunde in ihrer Heimat finanziell unterstützen.
    Diese Rücküberweisungen – oder Remittances auf Englisch – haben sich seit der Jahrtausendwende vervierfacht: Rund 575 Milliarden US-Dollar wurden 2016 nach den jüngsten Schätzungen der Weltbank auf diesem Weg transferiert.
    Private Geldtransfers in Entwicklungsländer
    Der größte Teil davon - 429 Milliarden Dollar - wurde in Entwicklungsländer geschickt. Damit seien diese Zahlungen zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor geworden, sagt Kirsten Schuettler von der Weltbank in Washington, D.C.:
    "Remittances sind weltweit dreimal so hoch wie die offizielle Entwicklungshilfe und stabiler als private Kapitalflüsse. Und wenn man China herausnimmt, sind Remittances sogar höher als ausländische Direktinvestitionen. Das heißt, sie sind für viele Länder eine wichtige Einnahmequelle von Fremdwährungen und machen einen wichtigen Teil ihres Bruttoinlandsproduktes aus."
    Kleine Volkswirtschaften wie Liberia, Nepal oder Tadschikistan bestreiten mittlerweile nahezu ein Drittel ihres Bruttoinlandsprodukts aus den Rücküberweisungen.
    Nicht einberechnet in die Zahlen der Weltbank sind die informellen oder nicht dokumentierten Wege, Geld zu transportieren. Manche zum Beispiel nehmen beim Heimaturlaub die Finanzspritze für die Familie gleich selbst mit oder geben das Geld Freunden und Verwandten mit.
    Hawala-Agenten bieten in Berlin-Neukölln ihre Dienste an
    Oder sie wenden sich an Hawala-Agenten, die in Berlin-Neukölln nicht weit von der Western-Union-Filiale ihre geheimen und in Deutschland meist illegalen Dienste anbieten. Dieses jahrhundertealte Zahlungssystem basiert allein auf Vertrauen. Hawala-Banker können Betreiber von Reisebüros sein, Kioskbetreiber oder Friseure.
    Sie nehmen das Geld ihrer Kunden an und geben im Gegenzug eine Nummer aus. Beim Partneragenten im Zielland kann nun jeder die Summe abholen, der über diese Nummer verfügt. Die Kosten sind relativ niedrig. Ausweise oder andere Dokumente werden nicht benötigt.
    Die von der Weltbank dokumentierte Höhe der Rücküberweisungen sei also bestenfalls die Untergrenze, sagt Mechthild Schrooten. Sie ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Uni Bremen und untersucht seit Jahren die Geldtransfers von Migranten.
    "Das faktische Volumen von Remittances ist wahrscheinlich wesentlich höher als das, was angegeben wird."
    Hilfe für den Lebensunterhalt der Familie
    Im Vergleich zur gewaltigen Wirkung der Rücküberweisungen in den Zielländern sind die einzelnen Beträge überschaubar. Um die 300 Euro schicken Menschen im Monat zurück in ihre Heimat. Im Zielland hilft das Geld der Familie in der Regel, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Oder es wird als Reserve für den Notfall gespart.
    Kirsten Schuettler von der Weltbank hebt als besonders positiv hervor, dass die Rücküberweisungen direkt bei den Menschen ankommen.
    "Man kann insgesamt sagen, dass sie in vielen Fällen wichtige Beiträge zur Armutsreduzierung leisten, die Konsummöglichkeiten der Haushalte erhöhen, dass sie gespart werden, in Bildung investiert werden und auch in Gesundheit und auch das Risiko reduzieren für die Haushalte, da sie ihre Einkommensquellen diversifizieren, das heißt, sie haben die Möglichkeit, Risiken auch abzufedern, wenn zum Beispiel ein Erdbeben passiert oder andere Sachen, die ihre anderen Einnahmequellen negativ beeinflussen."
    Etwa wenn es im Herkunftsland der Migranten zu Krisen kommt, fließen die Rücküberweisungen der ausgewanderten Verwandten in der Regel weiter.
    Risiken für die Wirtschaft und private Abhängigkeit
    Doch der stete Zahlungsfluss bringt auch Risiken mit sich. Zum einen für die Volkswirtschaften der Empfängerländer: Denn wenn durch das überwiesene Geld die ausländischen Währungsreserven wachsen, kann das dazu führen, dass die Währung des Landes aufgewertet wird. Dadurch werden die Exporte teurer und die Wirtschaft kann Schaden nehmen.
    Aber auch für die einzelnen Familien kann das Geld, so widersprüchlich es klingt, Probleme mit sich bringen.
    "Dazu gehört zum Beispiel, dass ein Phänomen der Anhängigkeit entstehen kann, dass Familien abhängig sind von diesen Zuflüssen und dass sie ihre Beteiligung am Arbeitsmarkt reduzieren, weil sie das, was sie über Remittances erhalten, vergleichen mit dem, was sie über Arbeit am Arbeitsmarkt verdienen würden."
    Oder aber die verbliebenen Familienmitglieder setzen selbst alles daran, das Land zu verlassen. Die Aussicht, die Daheimgebliebenen mit Geld aus dem Ausland unterstützen zu können, ist für viele Menschen der wichtigste Grund auszuwandern.
    Das Gros des Geldes fließt in den Süden
    144 Millionen Menschen leben nach Angaben der Vereinten Nationen außerhalb ihres Heimatlandes. Dementsprechend fließt das Gros des Geldes entgegengesetzt zu den größten Migrationsbewegungen vom Norden zurück in den Süden. Aber auch innerhalb des globalen Südens wird viel Geld verschickt, weil Menschen von einem Entwicklungsland ins andere ziehen.
    Indien, China, die Philippinen und Mexiko sind die Länder, in die das meiste Geld überwiesen wird. Die Hauptsenderländer sind die USA, Saudi-Arabien und die Schweiz.
    Auch Deutschland zähle zu den zehn wichtigsten Senderländern, sagt Thomas Silberhorn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz BMZ.
    "Es sind im Jahr 2015 18,5 Milliarden Dollar gewesen, die von Deutschland aus in andere Länder geflossen sind, insbesondere nach Osteuropa. Das Hauptempfängerland ist Polen."
    Migranten verschicken rund 22 Milliarden Dollar
    Dem folgen mit Frankreich, Italien, Österreich und Ungarn weitere EU-Länder. Danach kommen Libanon, Vietnam, Russland, China und die Türkei. Die Weltbank geht davon aus, dass die Summe des aus Deutschland verschickten Geldes insgesamt noch etwas höher ist.
    Angesichts dessen, was in anderen Ländern eingegangen ist und der Zahl der Zuwanderer in Deutschland - gut acht Millionen sind es dem Statistischen Bundesamt zufolge - schätzt sie die Summe auf 22 Milliarden Dollar. Die meisten Migranten brechen die Verbindung zum Herkunftsland nicht ab und unterstützen ihre Familie dort über viele Jahre.
    So wie Henry, ein Sozialpädagoge, der in einem Kindergarten in Berlin-Kreuzberg arbeitet.
    "Ich komme aus Kenia, habe es nach Kenia geschickt, ich habe eine sehr große Familie."
    Seit neun Jahren lebt er in Deutschland und schickt seinen Verwandten jeden Monat einen Teil seines Gehalts. Er lässt die Schultern hängen, als er davon berichtet.
    "Es ist eine Belastung, aber was kann man machen, es ist die Familie, man kann nicht die Familie loslassen, sondern muss immer helfen – aus Pflicht."
    Teure Transfers in Entwicklungsländer
    Wie viele andere nutzt Henry regelmäßig den Dienst von Western Union – obwohl er über die Kosten klagt.
    "Ich habe sonst keinerlei Möglichkeiten, Geld nach Hause zu schicken. Das ist der einzige Weg, den ich kenne."
    Das Geschäft mit den Rücküberweisungen ist zu einem großen Teil ein Geschäft mit denen, die ohnehin wenig haben. Viele Migranten sind auf die Dienste der Geldtransferanbieter angewiesen, weil sie oder die Empfänger ihres Geldes kein Konto haben, weil Banküberweisungen noch teurer sind, Banken kein Interesse an dieser Dienstleistung haben oder entlegene Regionen in Entwicklungsländern schlecht erschlossen sind.
    Und gerade bei Geldtransfers in Entwicklungsländer schlagen die Anbieter zu. Das bekommt Henry aus Kenia besonders zu spüren: Rücküberweisungen in afrikanische Länder gehören zu den teuersten – auch die innerhalb Afrikas.
    Mit bis zu dreißig Prozent der gesendeten Summe schlagen die Gebühren zu Buche. Oft sei es für die Kunden wenig transparent, wie hoch die tatsächlichen Kosten sind, sagt Kirsten Schuettler von der Weltbank.
    "Es gibt üblicherweise eine Gebühr, die derjenige zahlen muss, der das Geld versendet. Aber zusätzlich wird normalerweise auch noch auf den Wechselkurs etwas draufgeschlagen. Das heißt, die Anbieter benutzen einen schlechteren Wechselkurs als den, der am Markt üblich ist. Und dann ist es manchmal so, dass derjenige, der das Geld abholt, auch noch etwas bezahlen muss."
    7,4 Prozent Gebühren auf die versendete Summe
    Wer 200 Dollar versenden will, muss nach Angaben der Weltbank im Durchschnitt 7,4 Prozent Gebühren zahlen. Das sind immerhin schon zwei Prozentpunkte weniger als noch 2009. In Deutschland liegt der Schnitt aktuell bei 8,6 Prozent. Die Vereinten Nationen haben sich zum Ziel gesetzt, die Kosten bis 2030 auf drei Prozent zu senken.
    "Wenn die Kosten global auf drei Prozent gesenkt würden, könnten Migranten und ihre Familien in Entwicklungsländern fast 20 Milliarden US-Dollar mehr zur Verfügung haben pro Jahr. Das ist sehr viel Geld und würde in vielen Fällen genau dort ankommen, wo das Geld auch dringend benötigt wird."
    Politischer Druck auf die Anbieter, die Beratung der Empfängerländer und mehr Transparenz für die Kunden sollen nun helfen, die Drei-Prozent-Marke zu erreichen. Western Union hält davon nicht viel. Das Unternehmen verteidigt die Kosten auf Anfrage mit dem weltweit dichten Filialnetz.
    Vor allem die letzten Kilometer in entlegene Gebiete seien teuer. Auch Regulierungen gegen Geldwäsche und Terrorfinanzierung würden die Kosten nach oben treiben. Und das börsennotierte Unternehmen müsse nicht nur dem Interesse der Kunden, sondern auch dem seiner Anleger genügen.
    Mehr Transparenz: Geldtransfair.de
    Das Bundesentwicklungsministerium will deswegen den Kunden Alternativen zum Marktführer Western Union aufzeigen und hat die Website Geldtransfair.de geschaltet. Transfair wird hier mit ai geschrieben, ein Wortspiel aus Transfer und Fairness. Darauf können Absender von Rücküberweisungen die Kosten für Geldtransfers von Anbieter zu Anbieter vergleichen.
    "Diese Transparenz ist dringend notwendig, um zu sehen, welche Potenziale und Transparenzreserven es noch gibt. Aber diese Transparenz ist auch notwendig, um den Druck aufrecht zu erhalten und zu verstärken, damit die Konditionen für Geldtransfers verbessert werden."
    Sagt Entwicklungsstaatssekretär Thomas Silberhorn. Die Unterschiede können beachtlich sein. Wer etwa 500 Euro von Deutschland nach Ägypten überweisen will, muss der Website zufolge bei Western Union rund 20 Euro Gebühr bezahlen. Zudem streicht das Unternehmen eine Wechselkursdifferenz von 6,87 Prozent ein. Das bedeutet, dass mehr als ein Zehntel der 500 Euro, etwa 54 Euro, bei Western Union hängen bleibt.
    Und wer 150 Euro überweisen will, verliert nach dieser Berechnung sogar 17 Prozent der eingezahlten Summe. Damit ist Western Union in diesem Zahlungskorridor der teuerste unter den Bargeldtransferanbietern.
    Azimo und Worldremits setzen auf mobile Bezahlung
    Teurer sind nur noch Überweisungen bei Geschäftsbanken, für die zudem ein Konto benötigt wird. Die laut Website des Entwicklungshilfeministeriums günstigsten Anbieter dagegen, die Unternehmen Azimo und Worldremits, streichen nur rund die Hälfte an Gebühren und Wechselkursdifferenz ein.
    Diese beiden Unternehmen, zwei Start-ups aus London, mischen die Branche derzeit gewaltig auf – denn sie setzen auf die Bezahlung übers Mobiltelefon.
    "Viele Geldtransfers und Bezahlvorgänge werden heute nicht mehr über Konten abgewickelt, sondern über Mobiltelefone, auch ohne, dass man dafür ein Bankkonto einrichten muss."
    Afrika liegt vorn beim digitalen Zahlungsverkehr
    Gerade in afrikanischen Staaten hat sich bereits ein mobiles Zahlungsnetzwerk etabliert, für das Sender und Empfänger nicht mehr als ein simples Handy und eine Telefonnummer brauchen. Die Dienste breiten sich auch in Lateinamerika und Asien aus. Dieses Potenzial wollen Azimo und Worldremits anzapfen.
    Das werde teure und langwierige Überweisungen oder Bargeldtransfers überflüssig machen, sagte der Worldremits-Gründer Ismail Ahmed auf einer Konferenz in London.
    "Wir bieten unsere Dienste Migranten an, die Geld in ihre Heimat überweisen. Die meisten Empfänger haben kein Konto und so dreht sich ihre Welt normalerweise um Bargeld. Aber jetzt ändert sich das, 411 Millionen Menschen verfügen bereits über ein mobiles Konto. Vor fünf Jahren wurde das Geld bei uns noch digital eingezahlt und bar ausgezahlt. Heute gehen schon zwei Drittel unserer Transaktionen von Mobiltelefon zu Mobiltelefon."
    Western Union reagiert auf Konkurrenz
    Noch machen die mobilen Zahlungsdienste nach Angaben der Weltbank nur einen Bruchteil der weltweiten Rücküberweisungen aus. Aber ihr Anteil nimmt zu. Und die Konkurrenz für herkömmliche Anbieter wie Western Union ist augenscheinlich.
    Das US-amerikanische Unternehmen reagiert bereits darauf – großflächig werben Western Union auf der Schaufensterscheibe seiner Filiale in Neukölln mit einem neuen Dienst: der Überweisung per Mobiltelefon.
    "Man kann auch viel Geld jetzt schicken für 4,50 Euro. 1000 Euro, 2000 Euro, kostet nur 4,50 Euro. Das haben sie jetzt neu. Man kann das über Handy machen."
    Geldtransfers in naher Zukunft kostenlos
    Tim Lulu stammt aus dem Gazastreifen und lebt seit 30 Jahren in Berlin. Der Taxifahrer hat gerade 100 Euro an eine Freundin in Kairo gesendet, die ein wenig Unterstützung brauchte – noch auf dem regulären Weg mit dem teuren Bargeldtransfer, weil es schnell gehen musste. Aber das Angebot, Geld mit einer fixen Gebühr per App übers Handy zu versenden, überzeugt ihn.
    "Einmal habe ich schon über Handy überwiesen, ein großer Betrag, 3000 Euro, da habe ich nur 4,50 bezahlt."
    Manche Experten erwarten bereits, dass die Finanzdienstleister den Geldtransfer in naher Zukunft kostenlos anbieten und ihre Einnahmen durch Zusatzgeschäfte bestreiten werden. Aber nicht nur die Kosten haben einen Einfluss auf die Zahlungen.
    Dauerhaft schicken Migranten weniger Geld
    Wie viel Einwanderer an ihre Familien in den Herkunftsländern bezahlen, hängt unter anderem davon ab, wie lange sie schon in ihrer neuen Heimat leben.
    "Ich schicke gar nichts mehr. Ich habe früher geschickt, aber jetzt gar nichts mehr. Ich habe auch hier Familie, da muss ich auch an meine Familie hier denken in Deutschland."
    Was Mirko erzählt, ein Arbeiter aus Georgien, deckt sich mit dem, was Mechthild Schrooten von der Universität Bremen herausgefunden hat. Die Volkswirtin hat für ihre Erforschung von Rücküberweisungen das Sozioökonomische Panel des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, kurz DIW, ausgewertet.
    In dieser jährlich durchgeführten Studie werden 12.000 Haushalte nach ihren wirtschaftlichen Entscheidungen befragt, darunter auch Ausländer, die Geld in die Heimat überweisen. Und von denen schicken viele weniger Geld, wenn sie bereits längere Zeit in Deutschland sind.
    "Wenn Menschen länger im Land sind, dann sind die Kontakte in das Heimatland offenbar nicht mehr so stark und dann wird weniger überwiesen. Also, die Zeit spielt eine große Rolle, die Existenz eines Netzwerks im Heimatland spielt eine große Rolle."
    Geld aus der Heimat für eine Immobilie in Deutschland
    Und manchmal schicken Einwanderer das Geld nicht mehr ins Ausland, sondern sie erhalten sogar Finanzspritzen von dort. Charlotte Große berät in Potsdam Einwanderer, die ein Unternehmen gegründet haben.
    Sie beobachtet, dass vor allem vietnamesische Migranten heute finanzielle Unterstützung aus dem Heimatland erhalten.
    "Bei den Vietnamesen hat sich die Situation ein Stückchen umgedreht. Denn in dem Moment, in dem die angefangen haben, hier Häuser zu kaufen, haben die Eltern oder der Rest der Familie die Finanzierung quasi vorgestreckt."
    Schwerpunkt der Familie verschoben
    Das liegt unter anderem daran, dass es vielen Familien im Herkunftsland mittlerweile besser geht – auch dank der jahrelangen Unterstützung durch die Verwandten in Deutschland. Sie sind nicht mehr so stark auf diese Hilfe angewiesen und können es sich nun mitunter sogar leisten, den Nachkommen in Deutschland unter die Arme zu greifen. Außerdem haben die Einwanderer mittlerweile in Deutschland Familien gegründet.
    "Der Plan ist ganz klar, wir bleiben hier, hier sind unsere Kinder geboren, hier werden unsere Enkel geboren, wir gehen nicht zurück."
    Damit hat sich der Schwerpunkt der gesamten Familie verschoben. Im einstigen Heimatland sind häufig nur noch die Großeltern. Die neue Heimat der Kinder und Enkel aber liegt nun in Deutschland - und damit die Zukunft der Familie.