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Wenig Spielraum

Dem neuen griechischen Finanzminister Evangelos Venizelos stehen schwierige Aufgaben bevor, etwa die umstrittenen Privatsierungen, sagt Gerd Höhler, deutscher Journalist in Athen. Viel Spielraum bleibe ihm nicht, das Sparprogramm geben andere vor.

Gerd Höhler im Gespräch mit Friedberg Meurer | 17.06.2011
    Friedbert Meurer: Gerd Höhler begrüße ich jetzt in Athen. Warum hat Ministerpräsident Papandreou den Finanzminister ausgewechselt und durch den bisherigen Verteidigungsminister ersetzt?

    Gerd Höhler: Nun, er wollte damit wohl demonstrieren, dass es einen Neuanfang geben soll. Ob das wirklich ein Neuanfang wird, ob sich wirklich an der Sparpolitik etwas ändern wird, das wagt man eigentlich zu bezweifeln. Aber die Absicht war wohl, einen wirklich unpopulären Minister aus der Schusslinie zu nehmen. Die Griechen sahen wirklich in diesem bisherigen Finanzminister ein rotes Tuch, auch innerhalb der Partei hatte Giorgos Papaconstantinou in den vergangenen Monaten immer mehr an Rückhalt verloren. Der Versuch, mit dem Wechsel im Finanzministerium nun einen neuen Anfang zu machen, ist also ganz offensichtlich, aber viel Spielraum wird auch der neue Finanzminister nicht haben, denn das Sparprogramm wird ja im Grunde genommen nicht in Athen gemacht, sondern es wird von den Gläubigern Griechenlands, von der Europäischen Union und vom Internationalen Währungsfonds, vorgegeben.

    Meurer: Welchen Spielraum hat der neue Finanzminister? Wird er sich in der Hauptsache damit begnügen müssen, einfach vielleicht einen anderen Stil in die Politik zu bringen, seine Politik anders zu erklären als sein Vorgänger?

    Höhler: Vor allen Dingen wird er Durchsetzungsvermögen brauchen, denn neben den Sparmaßnahmen geht es jetzt vorrangig um die Strukturreformen. Die Strukturreformen, die eigentlich der einzige Weg sind, Griechenlands Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig zu machen, und dort liegt der eigentliche Schlüssel für die Lösung der Schuldenkrise. Was das angeht, stehen dem neuen Finanzminister wirklich schwierige Auseinandersetzungen bevor, beispielsweise im Bereich der Privatisierungen. Diese Privatisierungen sind Voraussetzung für weitere Hilfskredite, aber sie sind zugleich sehr umstritten, auch innerhalb der Regierungspartei, und erst recht gibt es da massiven Widerstand der Gewerkschaften. Damit wird sich also Evangelos Venizelos als neuer Finanzminister auseinanderzusetzen haben.

    Meurer: Geht der amtierenden Regierung langsam die Puste aus und eine neue Regierung würde weniger kompromissbereit sein gegenüber EU und IWF?

    Höhler: Ich glaube nicht, dass es da überhaupt viel Spielraum gibt, denn Griechenland ist auf die Hilfskredite angewiesen, ganz unmittelbar. Wenn nicht bis Mitte Juli weitere Milliarden fließen, dann ist Griechenland zahlungsunfähig. Also es gibt da einen Spielraum vielleicht, was Nuancen dieses Sparprogramms angeht, aber sicherlich nicht, was die Eckdaten betrifft. Die müssen eingehalten werden, und da hat auch der neue Finanzminister keinen großen Spielraum.

    Meurer: Der Tenor der Vorwürfe lautet ja, die man hört, es werden nur die Kleinen geschröpft und der Mittelstand zur Kasse gebeten, die Reichen aber nicht. Ist dem so?

    Höhler: Ja, das ist sicherlich in der Wahrnehmung der meisten Griechen so und auch tatsächlich so, denn die Lasten dieses Sparprogramms sind tatsächlich sehr ungerecht verteilt. Die höhere Mehrwertsteuer beispielsweise, die bekommt natürlich ein Rentner, der vielleicht 450 oder 500 Euro im Monat bekommt, viel stärker zu spüren als jemand, der 4000 oder 5000 Euro im Monat verdient und dann vielleicht nur 2500 oder 2000 davon dem Finanzamt meldet und versteuert. Der Kampf gegen die Steuerhinterziehung, immer wieder beschworen, immer wieder in den Vordergrund gestellt, zumindest verbal, hat in der Praxis bisher keine großen greifbaren Erfolge gebracht. Das ist sicherlich ein Problem, mit dem sich der neue Finanzminister auseinandersetzen muss. Aber das ist kein von heute auf morgen zu lösendes Problem, denn die Wurzeln dieses Problems liegen in einer wirklich chaotisch organisierten Finanzverwaltung. Das wird eher Jahre dauern als Monate, dieses Problem zu lösen.

    Meurer: Wird die Bevölkerung so lange Geduld haben?

    Höhler: Nein! Die Bevölkerung hat schon jetzt eigentlich keine Geduld mehr, und das ist die eigentliche Problematik, mit der diese Regierung konfrontiert ist, mit der aber auch die Oppositionsparteien konfrontiert sind. Der Verlust des Vertrauens in das politische System ist immens, das zeigt sich Abend für Abend in Athen bei den Versammlungen der sogenannten "Empörten Bürger", die sich zu Zehntausenden auf dem Athener Syntagma-Platz, aber auch in anderen griechischen Städten versammeln, um ihrem Ärger, ihrer Wut Luft zu machen.

    Meurer: Es gibt, Herr Höhler, auch einen neuen Außenminister, den sollten wir nicht ganz vergessen: Stavros Lambrinidis. Bisher war er wohl Europaabgeordneter. Wofür steht der neue Außenminister?

    Höhler: Nun, der gehört eigentlich zur Kernmannschaft der sozialistischen Partei in Griechenland. Er ist seit vielen Jahren in Brüssel, er ist dort sehr gut vernetzt, er ist einer der Vizepräsidenten der Sozialistischen Fraktion im Europaparlament, spricht exzellent Englisch, ist in Amerika ausgebildet, ein Mann, der viele Kontakte hat. Das wird ihm sicherlich zugute kommen als neuer Außenminister. Ein dynamischer, ein junger Mann, relativ jung, jedenfalls für griechische Verhältnisse, sicherlich auch das ein Versuch Papandreous, das außenpolitische Profil seiner Regierung zumindest in Europa zu schärfen.

    Meurer: Der griechische Ministerpräsident Papandreou hat sein Kabinett umgebildet. Wir sprachen über den neuen Finanzminister und Außenminister. Danke schön an Gerd Höhler nach Athen.

    Höhler: Gern!