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Weniger, älter, bunter

Auffallend ist, die meisten Kulturproduktionen scheinen das Altwerden, die alternde Gesellschaft, den fehlenden Nachwuchs nicht so tragisch zu nehmen. Vielmehr machen sie Mut, dass es individuell möglich ist, sein Glück auch im Alter zu behalten.

Von Frank Hessenland | 26.12.2010
    Andreas Labes:
    "Das ist einfach diese besondere Ausstrahlung.”",

    beschreibt Fotograf Andreas Labes den Reiz der Porträtmodelle seines jüngsten Fotoprojektes. Rosl Persson, die mit 95 noch einen Kopfstand machte; der Schlosser Beckmann, der Geige spielte, bis er einen Finger verlor, Herr Walde, der mit 100 Jahren sagen konnte, er habe nie eine andere Frau als seine geküsst.

    ""Wenn sich so viel abzeichnet, das Leben einfach Spuren hinterlässt im Gesicht, sich Lachfalten in den Augenwinkeln bilden und sich eine gewisse Haltung eingräbt und sich widerspiegelt. Im Großen und Ganzen hat sie alle ausgezeichnet, dass sie mit sich im Reinen waren.”"

    Labes Fotografien, vor einigen Monaten im Fotoband "100 Jahre Leben” bei der Deutschen Verlags Anstalt erschienen, waren Teil eines Forschungsprojekts der Universität Kiel. Das sogenannte 'Methusalem-Projekt' erforschte die Herausforderungen die der steigende Altersdurchschnitt für eine Gesellschaft mit sich bringt. Bis 2060 soll die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland die 100 Jahre erreicht haben. Zunehmend entdecken schon heute die Künste in Europa das Alter als Sujet und Ressource, teilweise gefördert von EU, Bund und Ländern. In Leipzig machte das Tanztheater "Zeitensprünge" auf sich aufmerksam, das alte und junge Tänzer integrierte. In der Literatur hat sich um die Autoren Björn Kern, Annette Pehnt und Annegret Held so etwas wie ein Altenheim-Genre gebildet. Im Film beschrieb Andreas Dresen mit "Wolke 9" die Liebe unter 70-Jährigen.

    Filmszene 'Wolke 9':
    ""Weißt Du eigentlich wie 80-Jährige miteinander vögeln?”"

    Auffallend ist, die meisten Kulturproduktionen scheinen das Altwerden, die alternde Gesellschaft, den fehlenden Nachwuchs nicht so tragisch zu nehmen. Vielmehr machen sie Mut, dass es individuell möglich ist, sein Glück auch im Alter zu behalten. Der Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung Bazon Brock, der schon vor zehn Jahren in Berlin, Köln und Stuttgart die Ausstellung "Die Macht des Alterns” kuratierte und heute mit Peter Sloterdijk zusammen Projekte zum Thema organisiert, beschreibt die Ästhetik des Alters so:

    ""Das ist das, was wir mit dem Schönheitsbegriff der Alten formuliert haben: Schönheit als Glanz von Innen, wie das dichterisch hieß, ... Das macht die Alten so faszinierend. Ohne Ablenkung von Geld, Sex, Weiber et cetera stehen die da und können wirklich zeigen, inwieweit sie auf den Fortschritt der Menschheit orientiert sind. Und das ist wirklich schön, wenn alte Menschen auftreten, die aus diesem Impuls heraus wirken. Dann überstrahlt das wirklich alles."

    In vielen soziologischen Prognosen jedoch sieht die Zukunft düsterer aus. Dort heißt es, wenn es gesellschaftlich nicht gelingt, die kommenden Kosten für die Krankenversorgung und Pflege, Rentenversicherung und Pensionen der alternden Gesellschaft, sowie die für die Integration und Bildung der zuwandernden Gesellschaften zusätzlich zu erwirtschaften, entstehen dramatische Verteilungskonflikte. Kurz: Wenn der Wohlstand nicht mehr ausreichen sollte, die glückliche Unabhängigkeit der dann Alten zu garantieren, werden zwischen Jungen und Alten, Gesunden und Kranken, Zugewanderten und Einheimischen, Religiösen und Areligiösen, Konflikte um Werte ausbrechen, die die Gesellschaft als Ganzes und jeden Einzelnen auf eine harte Probe stellen werden.