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Weniger blockadeanfälliges Gremium für die schulische Bildung

Die föderale Struktur wird von vielen Experten mittlerweile als die Hauptursache für Missstände im Bildungswesen gesehen. Ein Bund-Länder-übergreifendes Gremien wird gefordert: der Bildungsrat.

Von Philip Banse | 26.05.2012
    Das Ausmaß der Probleme in der deutschen Schulbildung ist enorm und unbestritten: 7,5 Millionen Menschen sind de facto Analphabeten: eine Stadt, doppelt so groß wie Berlin, bewohnt nur von Menschen, die nicht Schreiben und Lesen können. Auch ist Bildungserfolg hierzulande zu oft Glückssache: Kinder mit gebildeten Eltern haben Glück; wer in Armut und vor dem Fernseher aufwächst, hat Pech. In kaum einem anderen Industrieland gelingt es so selten wie in Deutschland, diese Unterschiede wettzumachen und auch sozial schwache Kinder zu bilden. Außerdem stockt der Kita-Ausbau, es fehlen Ganztagsschulen.

    "Der Befund ist eindeutig. Der Zustand der deutschen Bildung ist nicht zufriedenstellend.",

    sagt Heinz-Elmar Tenorth. Der Berliner Erziehungswissenschaftler gehört zur wachsenden Schar jener, die dem deutschen Bildungsföderalismus die Lösung dieser Probleme nicht mehr zutrauen: 16 Länder und 24 verschiedene Sprachtests zur Einschulung; unterschiedliche Fächer, unterschiedliche Notenkriterien, Inhalte und Konzepte. Die wenigen bundesweiten Standards, die es gibt, werden nicht umgesetzt. Bildungsexperten rufen daher immer lauter nach einer nationalen Bildungsstrategie, nach einem Bildungsrat.

    "Das heißt, wir brauchen die Einrichtung eines Gremiums mit langem Atem, mit Governance-Strukturen, die wenig blockadeanfällig sind und die über eine wissenschaftliche Begleitung verfügen."

    Fordert Prof. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Wie so ein Bildungsrat aussehen könnte, hat die Robert-Bosch-Stiftung von Wissenschaftlern und Politikern aufschreiben lassen. Das Gremium solle demnach zwei Kammern haben, die vom Bundespräsidenten besetzt werden. In der einen sitzen Forscher verschiedenster Disziplinen, in der anderen Politiker und Verwaltungsleute. Der Bildungsrat solle sich nicht um Hochschulen kümmern, sondern allein um frühkindliche Bildung und Schulen, erklärt Erziehungswissenschaftler Tenorth:

    "Der Bildungsrat sollte die Instanz werden, die die Probleme aus der Distanz analysiert und dann dazu kommt, aus dieser Distanz heraus Neugestaltungshilfen zu geben."

    Analysieren und Beraten – das reicht nicht, kritisiert die Soziologin Jutta Allmendinger. Ein Bildungsrat müsse in Sachen Schule mehr Kompetenzen haben, als der Wissenschaftsrat in Hochschulfragen:

    "Es müsste gefragt werden, ob im Gegensatz zum Wissenschaftsrat, dem ich jetzt jahrelang angehören durfte, neben Empfehlungen auch die Konzeption konkreter Schulentwicklungsprogramme und Modellprogramme obliegen sollte. Ich würde diesem Bildungsrat mehr Kompetenzen geben und mehr Aufgaben."

    Als eine Ursache für das föderale Durcheinander in der Bildungspolitik gilt das Kooperationsverbot von Bund und Ländern, das erst 2006 eingeführt wurde. Bundesbildungsministerin Annette Schavan will dem Bund zwar wieder erlauben, Hochschulen zu finanzieren. Schulen sollen aber weiter ausschließlich Sache der Länder sein. Das wird von Eltern und Bildungsexperten heftig kritisiert. Doch auch, wenn die Verfassung wieder geändert und dem Bund erlauben würde, Geld und Ideen für Schulen beizusteuern – ein Bildungsrat brauche das Land trotzdem, sagt der frühere Berliner Bildungssenator und Mitautor des Bildungsrat-Konzeptes, Jürgen Zöllner, SPD:

    "Selbst wenn es zu einer Verfassungsänderung kommt, wäre ein Bildungsrat nicht überflüssig. Machen wir uns nichts vor: Eine gemeinsame Bildungspolitik ist nicht erreichbar durch hierarchische Einflussnahme von oben über Zuständigkeiten. Nur durch das gemeinsame Erarbeiten aller Beteiligten an einem solchen Prozess, ist eine gemeinsame Linie erreichbar, sodass auch bei einer Verfassungsänderung ein solcher Bildungsrat aus meiner Sicht nicht überflüssig wäre."