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Weniger Chancen auf dem Spielfeld

Wenn die Frauen Fußball kicken, sind die Ränge der Stadien meist leer. Aber auch andere Frauensportarten lassen sich sehr viel schlechter vermarkten als das Pendant der Männer. Ein Grund, Skispringen für Frauen aus dem Olympiaprogramm der Winterspiele in Vancouver zu streichen. Doch das wollen 15 Skispringerinnen nicht hinnehmen. Sie klagen gegen den Beschluss.

Von Jürgen Kalwa | 02.05.2009
    Der größte Sportausrüster der Welt interessiert sich seit ein paar Jahren ganz besonders für eine Konsumentengruppe, die man jahrzehntelang bestenfalls als kleine Minderheit eingestuft hatte. Die Firma heißt Nike und verpackt ihre Marketing-Bemühungen in gekonnt gestaltete Werbespots, in denen manchmal sogar gesellschaftspolitische Töne anklingen; so wie hier in der Mitte der 90er-Jahre in einem Film, in dem sich junge Mädchen an ihre Väter und Brüder, aber auch an ihre Mütter wandten, um deutlich zu machen, wie wichtig Sport ist:

    "If you let me play. Play sports. I will like myself more. I will have more self confidence. If you let me play. If you let me play sports I will be 60 per cent less likely to get breast cancer."

    Der positive Effekt von Sport auf die persönliche Entwicklung junger Frauen ist mannigfach, sagen Sozialforscher. Und so wirkte die Mahnung durchaus plausibel, auch wenn sie aus dem Mund von Mädchen kamen, die in ihrem Alter die Zusammenhänge noch gar nicht richtig verstehen. Es ging schließlich um den Kern der Botschaft: Wer möchte nicht, dass die Kleinen ein gesteigertes Selbstvertrauen entwickeln? Und wer hat keinen Sinn für solche statistischen Phänomene wie ein geringeres Brustkrebsrisiko und eine höhere Wahrscheinlichkeit, wonach sporttreibende weibliche Teenager nicht gleich bei der erstbesten Gelegenheit ungewollt schwanger werden?

    Der Werbespot der Firma, die auf Wachstum im Millionenmarkt weiblicher Freizeitathleten hofft, unterschlug übrigens einen interessanten Tatbestand. Anders als in den meisten anderen Ländern sind Mädchen in den USA schon seit den 70er-Jahren auf dem Vormarsch. Das liegt an den damals erlassenen gesetzlichen Bestimmungen. Diese reichen sehr viel weiter als die Forderungen der UN-Konvention zur Beseitigung von Frauen-Diskriminierung von 1979, die explizit den Sport erwähnte.

    In den Vereinigten Staaten werden beiden Geschlechtern an den Schulen und Hochschulen adäquate Angebote gemacht - unabhängig davon, ob sie von den Teenagern und Heranwachsenden gefordert werden oder nicht. Die Maßnahme, die unter dem Begriff "Title IX" bekannt wurde, hat vor allem deshalb Wirkung, weil in den Bildungseinrichtungen der überwiegende Teil des organisierten Sports stattfindet - anders als etwa in Deutschland mit seiner traditionellen Vereinskultur.

    Die Fortschritte zeigen sich vor allem in den Bereichen Basketball und Fußball, wo inzwischen Millionen aktiv sind. Aus der Breite wächst die Spitze. So sind die US-Fußballerinen anders als die Männer traditionell der erste Anwärter auf olympische Goldmedaillen und Weltmeistertschaftstitel. Und deshalb nahm vor ein paar Wochen zum zweiten Mal eine Profiliga den Spielbetrieb auf.

    Anders als bei der ersten Auflage, die 2003 nach nur drei Jahren das Anfangskapital von 50 Millionen Dollar aufgezehrt hatte und den Betrieb einstellte, fehlen diesmal deutsche Nationalspielerinnen. Die Nachfolge-Generation von Doris Fitschen, Bettina Wegmann und Birgit Prinz ist den kostenbewussten Organisatoren ganz offensichtlich zu teuer. Dafür ist der in den USA lebende deutsche Geschäftsmann Thomas Hofstetter, Vater von drei Töchtern, als Mitfinanzier und Geschäftsführer des Sky Blue FC in New Jersey mit dabei:

    ""Die ersten drei Jahre sind finanziert. Es ist natürlich naiv zu sagen, dass wir keine Sponsoren brauchen. Natürlich brauchen wir alle Sponsoren, um langfristig eine solide Liga zu machen. Wir sind sehr konservativ rangegangen. Wir haben 4000 Zuschauer im Budget als Durchschnitt. Ich gehe davon aus, dass wir darüber sein werden. Ich weiß, andere Stadien budgetieren mit 10.000 und mehr. Es kommt auf das Stadion drauf an."

    Dass selbst die populärste Frauensportart in den sportinteressierten USA Schwierigkeiten hat, sich wirtschaftlich zu behaupten, gehört zu den Eigenheiten des Profiwesens, die man nicht so ohne weiteres erklären kann. Aber dieses Problem gilt, abgesehen von den Einzeldisziplinen Tennis und Golf, querbeet. So hängt die WNBA, eine Basketball-Sommerliga, die eine beachtliche Fangemeinde besitzt, auch nach mehr als zehn Jahren noch immer am Tropf der NBA und damit der Männer.

    An der Schieflage wird sich vermutlich nichts ändern. Denn anders als in anderen Lebensbereichen, in denen Frauen das gleiche Leistungsniveau bringen wie das sogenannte stärkere Geschlecht, sei es als Arzt, Pilot oder Manager, liefern sie im Sport eindeutig nur zweite Wahl. Selbst im Tennis, wo Frauen bei Grand Slams inzwischen fast überall die gleichen Siegprämien wie die Männer erhalten, zeigen sie für das gleiche Geld erheblich weniger. Statt über drei Gewinnsätze gehen ihre Matches nur über zwei. Anders als in den meisten anderen Sportarten, produzieren die Frauen im Tennis allerdings zumindest aus eigener Kraft ganz erhebliche Einnahmen. Für die Mischung aus Athletik und unterschwelliger Erotik interessieren sich vor allem männliche Zuschauer. Ein Faktor, der die wirtschaftliche Basis verbreitert.

    Angesichts dieser Verhältnisse wirkt der Anspruch der Skispringerinnen, die sich mit dem Hinweis auf den Gleichheitsgedanken in der IOC-Charta ins Programm der Winterspiele in Vancouver hineinklagen wollen, als käme er aus einer anderen Zeit. Denn auch die Wettkämpfe unter dem Banner mit den fünf Ringen sind längst Profisportveranstaltungen und stehen unter finanziellen Sachzwängen: Sie müssen ihre Kosten hauptsächlich durch Fernsehgelder einspielen. Die Einschaltquoten der Frauendisziplinen liegen hingegen - abgesehen vom Eiskunstlauf - jeweils weit hinter denen der Männer.

    Bei den Sommerspielen sieht es nicht besser aus: Außer im Geräteturnen, im Beachvolleyball und im Fußball stoßen die Darbietungen der Frauen auf kein besonderes Interesse. Das große Angebot produziert offensichtlich nicht mal unter dem Banner der Gleichbehandlung einen Zuspruch, ohne den die Athletinnen, auf sich allein gestellt, wirtschaftlich kaum überleben würden.

    Immerhin wirft der Streitfall in Kanada, der mit dem Hinweis auf die bevorzugte Behandlung von Skifahrerinnen in der neuen Disziplin Skier Cross geführt wird, eine andere, aber nicht minder interessante Frage auf: In welchem Rahmen gelten bei Olympischen Spielen eigentlich die Gesetze des Veranstalterlandes? Oder können solche Meinungsverschiedenheiten nur am Sitz des Internationalen Olympischen Komitees im schweizerischen Lausanne ausgetragen werden?

    Sollte die Justiz in der kanadischen Provinz British Columbia für die Skispringerinnen entscheiden, hätten die Frauen auf einen Schlag gleich zwei Türen aufgestoßen. Vor einer Woche wurde in Vancouver die fünftägige Beweisaufnahme abgeschlossen. Entschieden wird die Sache von einer Frau. Richterin Lauri Ann Fenlon deutete allerdings bereits an: Sie werde für die Beratung des Urteils ein paar Wochen brauchen. Das Thema sei "sehr komplex".