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Weniger ist mehr

Reproduktionsmedizin. - Bei der künstlichen Befruchtung kann es zu Mehrlingsgeburten kommen, je nachdem wie viele Embryonen der Frau eingesetzt wurden. Im Extremfall kam es zu Achtlingen, nachdem einer Frau auf ihren Wunsch sechs Embryonen eingesetzt wurden, von denen zwei sich auch noch teilten. Dabei ist nach Erkenntnissen einer groß angelegten Lancet-Studie zwei Embryonen die optimale Zahl.

Von Marieke Degen | 12.01.2012
    Es ist ein fragwürdiger Rekord, den Nadya Suleman da aufgestellt hat: Vor zwei Jahren hat sie Achtlinge auf die Welt gebracht, das Ergebnis einer künstlichen Befruchtung. Die Geschichte der "Octomom" ging um die Welt. Sie und ihre Kinder hatten Glück, es geht ihnen gut. Und das ist alles andere als selbstverständlich, sagt Scott Nelson von der Universität in Glasgow.

    "Die Komplikationsrate steigt bei einer Mehrlingsschwangerschaft generell an, von harmlosen Rückenschmerzen bis zur Präklampsie, also gefährlichem Bluthochdruck. Aber das größte Problem ist, dass die Kinder zu früh auf die Welt kommen, manchmal schon in der 25. oder 26. Schwangerschaftswoche. Das Risiko ist hoch, dass sie nicht überleben, und wenn, dann haben sie oft bleibende Schäden. Normalerweise ist es so, dass die Ärzte deshalb gezielt Föten abtreiben, bis nur noch Zwillinge übrigbleiben."

    Nadya Sulemans Arzt hatte ihr sechs Embryonen eingepflanzt und wurde dafür heftig kritisiert. Doch wie viele Embryonen machen Sinn? Lange dachte man gerade bei älteren Patientinnen: Viel hilft viel. Je mehr Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt werden, desto höher ist die Chance, dass die Frau tatsächlich schwanger wird. Die Höchstgrenze ist von Land zu Land verschieden: In Deutschland und Großbritannien werden maximal drei Embryonen pro Zyklus implantiert, in den USA sind es auch schon mal fünf. Das ist blanker Unsinn, meint Scott Nelson.

    "Unsere Botschaft lautet: Nie wieder drei Embryos oder mehr auf einmal einpflanzen. Höchstens zwei."

    Scott Nelson und seine Kollegen haben sich die Daten von allen künstlichen Befruchtungen angeschaut, die in den letzten fünf Jahren in Großbritannien gemacht worden sind. Insgesamt waren das 125.000 IVF-Zyklen.

    "Wir haben herausgefunden: Wenn der Arzt zwei Embryonen implantiert, ist die Chance auf ein Kind am höchsten, auf jeden Fall höher als wenn er nur einen Embryo implantiert. Aber natürlich haben gerade jüngere Frauen dann auch ein höheres Risiko für eine Mehrlingsgeburt. Aber wenn man drei Embryonen einsetzt, dann erhöhen sich die Chancen auf ein Kind nicht. Und das gilt für jüngere und ältere Frauen."

    Weniger ist also mehr, oder besser gesagt: Es kommt auf die Qualität des Embryos an, nicht auf die Quantität. Das haben Länder wie Schweden und Belgien schon längst begriffen. Dort werden zwar fünf bis sieben Embryonen im Labor hergestellt, aber nur einer wird tatsächlich in den Uterus implantiert. Und zwar der, der am fittesten aussieht. Alle anderen werden eingefroren, für spätere Versuche. Elektiver Single-Embryo-Transfer heißt das im Fachjargon. Daran sollten sich andere Länder ein Beispiel nehmen, sagt Scott Nelson.

    "Ob die Frau einen oder zwei Embryonen eingesetzt bekommen soll, das müssen die Ärzte von Fall zu Fall entscheiden. Da spielen viele Faktoren mit rein, das Alter etwa oder wie lange sie schon versucht, schwanger zu werden, und auch die Qualität der Embryonen. Aber auf keinen Fall sollten mehr als zwei Embryonen implantiert werden."

    Für den Reproduktionsmediziner Klaus Diedrich aus Lübeck sind die Ergebnisse keine große Überraschung. Er plädiert seit langem dafür, dass der elektive Single-Embryo-Transfer auch in Deutschland gemacht werden darf. Doch das ist hierzulande verboten. Ärzte dürfen maximal drei Embryonen im Labor erzeugen, und sie müssen alle implantieren. Keiner darf übrigbleiben.

    "Eine Auswahlmöglichkeit ist nicht vereinbar mit dem derzeitigen Embryonenschutzgesetz. Wir dürfen ja nur so viele Eizellen befruchten, wie wir dann auch in demselben Zyklus an die Frau zurückgeben. Und jeder Embryo, der entsteht im Reagenzglas, muss auch im selben Zyklus zurückgegeben werden. Das heißt, wir dürfen keine Embryonen einfrieren und wir dürfen auch nicht mehr Embryonen kultivieren im Labor als wir zurücksetzen wollen."

    Es gebe Institute in Süddeutschland, die trotzdem Embryonen auswählen, sagt Klaus Diedrich. Er selbst geht den legalen Umweg über das so genannte Vorkernstadium. Wenn einer Frau zum Beispiel zehn Eizellen entnommen werden können, dann werden auch alle zehn befruchtet und eingefroren – im so genannten Vorkernstadium. Das geht, weil ein Vorkernstadium kein Embryo ist. Bei Bedarf taut er dann zwei Vorkernstadien auf, lässt sie zu Embryonen heranreifen und setzt sie dann in die Patientin zurück. Der Nachteil an der Sache: Im Vorkernstadium lässt sich nicht erkennen, wie gut der Embryo ist. Ein modernes Fortpflanzungsmedizin-Gesetz müsse her, das den elektiven Single-Embryo-Transfer erlaubt, fordert Klaus Diedrich.

    "Wie ein schwedischer Kollege so schön zu mir gesagt hat, ihr braucht kein neues Embryonenschutzgesetz, ihr braucht ein Mutter- und Kinder-Schutzgesetz. Das heißt sowohl die Mütter als auch die Kinder müssen im Rahmen der assistierten Reproduktion optimal behandelt werden."

    Und optimal heißt: Eine hohe Schwangerschaftsrate, aber keine Mehrlinge.