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Rechtsdienstleister
Die neue Klägerindustrie

Der Abgasskandal bei Volkswagen verändert die Rechtsbranche. Zwar gibt es in Deutschland noch keine Muster- oder Sammelklagen. Aber Rechtsdienstleister wie MyRight sammeln und finanzieren schon jetzt Verbraucherklagen in großer Zahl – gegen eine hohe Provision. Das Geschäftsmodell ist nicht frei von Risiken.

Von Gerhard Schröder | 10.04.2017
    16.03.2017, Berlin, Deutschland - Pressetermin zur ersten Einzelklage gegen Audi mit myRight Beteiligung vor dem Reichstag in Berlin. myRight ist ein Onlineportal, bei dem sich VW-Dieselgate-Geschädigte registrieren können und das sich nach eigenen Angaben für betroffene Kunden im VW-Abgasskandal einsetzt.
    Pressetermin zur ersten Einzelklage gegen Audi mit myRight Beteiligten: Jan-Eike Andresen, Chef von myRight.de und Rechtsanwalt und Verbraucherschützer Hartmut Bäumer, der Audi und Volkswagen im Rahmen des VW Abgasskandals verklagt (imago stock&people)
    Jan-Eike Andresen sitzt im Hotel Steigenberger in Berlin und lächelt zufrieden: Ein jugendlicher Typ, kurze braune Haare, randlose Brille, Drei-Tage-Bart. Neben ihm sitzt Hartmut Bäumer, ein 68-jähriger Audi-Kunde. Er hat Andresen beauftragt, die VW-Tochter zu verklagen, wegen der Dieselabgasaffäre. "Wir übernehmen alle Kosten und stellen Herrn Bäumer von allen Risiken frei und sorgen dafür, dass er mit vernünftigen Anwälten ausgestattet wird, die auf Augenhöhe mit einem Weltkonzern und einer Riesenrechtsabteilung mit den besten Anwälten, die man in dieser Republik kaufen kann, agieren kann."
    Jan Eike Andresen ist Gründer und Chef von MyRight.de, eine Art Sammelbecken für Opfer des Dieselabgasskandals. MyRight vertritt nach eigenen Angaben 25.000 VW-Kunden, die sich vom Wolfsburger Autokonzern getäuscht fühlen und Entschädigung verlangen. Mit im Boot ist auch die US-Anwaltskanzlei Hausfeld, die schon in den USA erfolgreich milliardenschwere Sammelklagen gegen VW angestrengt hat und jetzt auf den deutschen Markt drängt.
    Myright trägt alle Kosten - streicht aber auch 35 Prozent Provision ein
    Ein interessanter Deal für klagewillige VW-Kunden, urteilt Christoph Herrmann von der Stiftung Warentest: "Es gibt kein Kostenrisiko, Kunden können da eigentlich nur gewinnen, wenn sie gewinnen, gewinnen sie allerdings nicht 100 Prozent." Sondern nur 65 Prozent. Denn 35 Prozent einer möglichen Entschädigung streicht MyRight als Provision ein. Im Gegenzug übernimmt der Rechtsdienstleister alle Kosten, bezahlt die Rechtsanwälte, Gutachter und Sachverständige.
    Auch Markus Hartung vom Deutschen Anwaltsverein sieht für Verbraucher vor allem Vorteile: "Das ist ein hoher Preis, diese 35 Prozent. Aber für viele ist das so, dass sie sonst gar nichts bekommen hätten. Und dann ist, wenn man nur 65 Prozent bekommt, das immer noch 100 mehr als das, was man gehabt hätte, wenn man gar nichts gemacht hätte."
    Das Geschäftsrisiko liegt allein bei MyRight.de, das weiß auch Jan-Eike Andresen. Gehen die Klagen verloren, bleibt er auf den Kosten sitzen. Deshalb hat er sich einen finanzstarken Partner an die Seite geholt, den britischen Prozessfinanzierer Burford Capital, er stellt das nötige Geld für vermutlich langwierige Prozesse mit VW bereit. "Weil was sie sich nicht erlauben können, wenn sie sich mit einem Weltkonzern anlegen, ist, dass Ihnen auf halbem Weg das Pulver ausgeht und Sie sozusagen zusammenfallen wie ein Kartenhaus." Denn dann fließt auch kein Geld.
    "Gut organisierte und fast industrialisierte Art der Rechtsdurchsetzung"
    Für die Verbraucher ist das kein Problem, für sie entstehen keine Kosten, die tragen MyRight beziehungsweise Burford. Markus Hartung vom Deutschen Anwaltsverein: "Dieses Modell, nämlich Myright, eine Kanzlei und ein dahinter stehender Prozessfinanzierer in einer gut organisierten und fast industrialisierten Art der Rechtsdurchsetzung, das ist tatsächlich neu."
    Ottmar Lell von der Verbraucherzentrale Bundesverband spricht schon von einer risikokapitalfinanzierten Klageindustrie, die in Deutschland entstehe. "Das würden wir nicht gut finden, wenn sich große Kanzleien die Landschaft anschauen und sich überlegen, da ist ein großes Schadenspotenzial, da können wir Geld mit verdienen und dann wird eine große Prozesswelle übers Land gezogen. Und beim Verbraucher bleibt gar nicht so viel Geld hängen, wie er kriegen müsste, weil der Prozessfinanzierer ja auch verdienen möchte."
    Ob die Kläger im Fall VW etwas verdienen werden, ist noch keineswegs ausgemacht. Ende 2018 endet die Verjährungsfrist, das stellt MyRight.de vor erhebliche Probleme, meint Christoph Herrmann von der Stiftung Warentest: "Das sind nicht mehr ganz zwei Jahre, das ist sportlich für MyRight.de. Ob es gelingen wird, bis dahin ein rechtskräftiges Urteil gegen VW zu erwirken, auf das man dann aufbauen kann, halte ich für zweifelhaft. Zwei Jahre sind knapp für drei Instanzen. Und dann hat myright das Problem, dass sie im Lauf des Jahres 2018 für alle Kunden die Verjährung stoppen müssen, das kostet in jedem Fall viel Geld. Die Zeit spielt in jedem Fall für VW."