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Weniger Regenwald, weniger Energie

In Brasilien soll an einem Amazonas-Zufluss eines der größten Wasserkraftwerke weltweit gebaut werden. Forscher haben nun jedoch festgestellt, dass die anhaltenden Rodungen der Wälder Niederschläge verringern und damit die Leistung des Kraftwerks extrem reduzieren könnten.

Von Volker Mrasek | 14.05.2013
    Eigentlich sind Regenwaldbäume Wasserdiebe. Sie entziehen es dem Boden und verdunsten es über ihre Blätter. Dadurch landet es in der Atmosphäre und nicht etwa in benachbarten Fließgewässern. Andererseits sind die tropischen Baumriesen aber auch Regenmacher, wie man heute weiß. Denn aus dem Wasser, das sie verdunsten, entstehen am Ende Niederschläge, die wieder über dem Regenwald niedergehen.

    Yadvinder Malhi, Professor für Ökosystemforschung an der Universität von Oxford in England:

    "Wie Regenwald und Atmosphäre bei der Entstehung von Niederschlag zusammenwirken, ist inzwischen in Computermodellen simuliert worden. Diese Studien deuten an: Wenn man mehr als 30 bis 40 Prozent der Regenwald-Fläche einer Region rodet, nimmt auch der Regen dort deutlich ab."

    In Berechnungen für die Stromausbeute von Wasserkraftwerken in den Tropen wurde das aber bisher nicht berücksichtigt. Ein Team von Forschern aus Brasilien und den USA holt das jetzt nach. Und kommt zu einem brisanten Ergebnis für den Belo-Monte-Wasserkraft-Komplex am Xingu, einem großen Amazonas-Zufluss.

    Der Staudamm ist derzeit im Bau. Das riesige Wasserkraftwerk soll fast die Hälfte des zusätzlichen Strombedarfs decken, den Brasilien in diesem Jahrzehnt erwartet. Doch die Anlage wird womöglich 30 bis 40 Prozent weniger Energie erzeugen als erhofft. Das ergibt sich aus den Modellrechnungen der Forscher. Dabei spielten sie zwei Szenarien für die weitere Abholzung des Regenwaldes durch: In einem ist am Ende ein Fünftel der Bäume am Xingu gerodet, in dem anderen sind es zwei Fünftel.

    Die Hauptautorin der neuen Studie, die US-Geografin Claudia Stickler vom Amazonas-Umweltforschungsinstitut:

    "Beide unserer Szenarien sind durchaus plausibel. Sie decken sich mit aktuellen Plänen für die weitere Erschließung des Amazonas-Regenwaldes. Die Rodungen sind zwar zuletzt zurückgegangen. Aber das heißt nicht, dass unser Worst-Case-Szenario unrealistisch ist. Vielleicht sind wir Mitte des Jahrhunderts noch nicht bei einer Abholzungsrate von 40 Prozent. Aber dann dauert es halt etwas länger."

    Im Modell geht zunächst der Niederschlag in der Region zurück. Dadurch führt auch der Xingu weniger Wasser, und das Kraftwerk am aufgestauten Fluss kann nicht mehr so viel Strom produzieren.

    Die Anlage soll eine installierte Leistung von 11.000 Megawatt haben – so viel wie 15 Kohlekraftwerke - und wäre damit die drittgrößte der Welt. Doch selbst wenn überhaupt kein Regenwald gerodet würde – auf vollen Touren könnte das Mega-Kraftwerk sowieso nur zeitweilig laufen:

    "Schon vor Beginn unserer Studien war den Projekt-Ingenieuren wohlbekannt, dass die Anlage im Jahresdurchschnitt nur etwa 40 Prozent ihrer maximalen Leistung erzielen wird. Wie viele andere südliche Zuflüsse des Amazonas verhält sich der Xingu nämlich saisonal sehr unterschiedlich. Es gibt mehrere trockene Monate im Jahr, da führt er nur ganz wenig Wasser. Unsere Ergebnisse zeigen nun: Durch die Rodung des Regenwaldes werden die Wasserstände sogar noch geringer sein."

    Ergibt das Megaprojekt dann überhaupt noch Sinn? Rechtfertigt es den Bau eines riesigen Staudamms mit den entsprechenden Eingriffen in die Natur? Claudia Stickler zögert einen Moment mit der Antwort:

    "Es ist schwer zu sagen, ob sie das Projekt unter diesen Umständen weiterführen sollen. Sie werden es auf jeden Fall weiterführen! Das steht fest. Aber Brasilien wird noch mehr tun müssen, um den Energiebedarf seiner wachsenden Bevölkerung und Industrie zu decken."

    Auch andere tropische Länder wie Malaysia, Vietnam und die Republik Kongo haben Pläne für neue Wasserkraftwerke. Claudia Stickler rät ihnen, Niederschlagsverluste durch die Rodung von Regenwald zu berücksichtigen. Und sie in die Berechnung der Stromausbeuten für die Projekte miteinzubeziehen. Denn auch in Afrika und Südostasien – davon ist die Geografin überzeugt – sinken die Pegel der Flüsse, wenn Wald großflächig abgeholzt wird.

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