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Weniger Unfälle beim Rückwärtsfahren

Oft müssen Mitarbeiter der Müllabfuhr das riesige Müllauto zentimetergenau durch enge Straßen navigieren. Vor allem beim Zurücksetzen werden hin und wieder Gegenstände übersehen – im schlimmsten Fall auch Menschen. Um solche Unfälle zu verhindern, haben Berliner Forscher ein Assistenzsystem ausgetüftelt.

Von Jan Rähm | 12.04.2013
    Ein Müllauto der Berliner Stadtreinigung BSR sorgt für leere Tonnen. Das ist nicht ganz einfach. Enge Straßen und geparkte Autos behindern die Müllwerker. Oft müssen die Fahrer in aller Enge mit dem unübersichtlichen Lkw rangieren. Ungefährlich ist das nicht, sagt Bernd Sackmann. Der Fuhrparkleiter der BSR hat in den vergangenen Jahren viele schwere Unfälle aufnehmen müssen. Immer wieder gibt es auch Tote, so wie im letzten Jahr.

    "Da wurde ein junger Mann überfahren oder überrollt, der während der Rückwärtsfahrt den Kopfhörer aufhatte und dadurch die Signalisierung des Fahrzeuges nicht wahrgenommen hat. Der klassische Fall, es ist einer in den Gefahrenbereich hineingekommen und das Fahrzeug hat nicht rechtzeitig sozusagen gestoppt."

    Um solche Unfälle zu vermeiden hat die BSR zusammen mit der Ausgründung "Autonomos Systems" der Freien Universität Berlin ein neuartiges Rückfahr-Assistenzsystem entwickelt. Das RAS. Das ist ein Kamerasystem, das den Bereich hinter und neben dem Fahrzeug überwacht. Dazu haben die Entwickler um Autonomos-Geschäftsführer Tinosch Ganjineh links und rechts oben an der Rückseite des Müllfahrzeugs je vier Videokameras in einem stabilen Metallgehäuse angebaut. Der Informatiker steht hinter dem orangen Lkw und zeigt auf einen der beiden silbrig glänzenden Kästen.

    "Wenn wir uns das System hier mal aus der Nähe angucken, schauen wir mal nach oben, da sehen wir direkt, dass uns schon vier Kameras beobachten, also zwei Stereopaare. Das hat den Grund, dass durch die Kontur des Fahrzeugs natürlich ein großer Bereich abgedeckt werden muss von den Kameras, damit man neben dem Fahrzeug, hinter dem Fahrzeug, aber eben hier auch vor uns direkt das Trittbrett, wo die Müllwerker draufstehen, direkt mit beobachten kann."

    Viermal zwei Kameras – das macht pro Seite zwei Stereo-Paare, die räumlich sehen können. Dadurch kann das RAS die Position von Objekten und den Abstand zwischen ihnen erkennen. Die Kamerabilder werden zu einem Computer geleitet und der wertet die Aufnahmen in Echtzeit aus. Das Ergebnis der Berechnungen sieht der Fahrer auf einem Monitor im Führerhaus des Müllautos.

    "Wir sind jetzt hier im Fahrerhaus angekommen. Hier vorne befindet sich ein Monitor, der der Interaktion mit dem System dient. Und in erster Linie sieht der Fahrer da drauf die Bilder der vielen Kameras und sieht damit direkt wie in einem Rückspiegel, was hinter dem Fahrzeug passiert."

    Doch der Fahrer sieht nicht nur ein Bild der Situation hinter dem Lkw, sondern bekommt direkt praktische Hilfe vom Computer.

    "Hier in der Mitte des Bildes sehen wir die Bilder der einzelnen Kamera-Paare. Wir haben zwei nach hinten gerichtet und jeweils eine zur Seite. Und da sieht man sehr schön jetzt hier in einem Highlight angedeutet, in leichtem Orange wird eine Warnzone eingezeichnet. Das bedeutet, da wird der Fahrer schon gewarnt, sobald da ein Objekt reinkommt. Und unmittelbar hinter dem Fahrzeug dieser leicht rote Bereich, damit markieren wir den kritischen Bereich, wo dann wirklich schon eine extreme Gefahr von ausgeht, wenn man eben weiterfährt."

    Tinosch Ganjineh zeigt, wie das System funktioniert. Er schließt die Tür und startet den Lkw.

    "Wir starten mal den Wagen, legen den Rückwärtsgang ein und schauen jetzt mal nach hinten. Da nähert sich jetzt schon ein Objekt. Wir hören auch so einen Piepton, wie bei einem Parksystem. Je näher das Objekt kommt, desto hochfrequenter wird das Piepen. jetzt befindet sich das Objekt schon in der kritischen Zone, das bedeutet unmittelbar hinter dem Fahrzeug. Derzeit wird gewarnt, so dass der Fahrer bremsen kann. in Zukunft ist es aber auch denkbar, dass das Fahrzeug selbstständig bremst."

    Bis Jahresende 2013 will die Berliner Stadtreinigung drei ihrer Müllautos mit dem RAS ausrüsten. Im Sommer startet die Erprobungsphase im täglichen Einsatz. Bewährt sich das System bei jeden Witterungen, könnte es anschließend in allen Berliner Müllwagen eingebaut werden. Allerdings muss der Gesetzgeber noch entscheiden, ob und wie ein solches autonomes System selbstständig ins Fahrzeug eingreifen darf, sagt Bernd Sackmann.

    "Die Fragen, die dann noch zu klären sein werden, sind: Bei bis zu wie viel Km/h darf man aktiv in ein Bremssystem eingreifen und dergleichen mehr? Das wird dann die Zukunft weisen, aber nach meiner Meinung muss der Weg in diese Richtung gehen."