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Wenn Berghänge rutschen

Wurde vor zwanzig Jahren noch angenommen, dass es sich in den Alpen um ein Grad Celcius bis 2010 erwärmen, sind es mittlerweile gut 1,5 Grad mehr, die die Gletscher und das Gestein auftauen. Im Rahmen des europäischen Alpennetzwerkes Permanet versuchen Forscher deshalb, ein weltweites Vorhersagemodell zu entwickeln.

Von Susanne Lettenbauer | 11.07.2008
    Mitten im Zugspitzberg, im so genannten Kammstollen auf 2 600 Metern tropft es auf eine dünne Eisschicht am Boden. Das dürfte eigentlich nicht sein, sagt der Forscher Andreas von Poschinger, der seit einem halben Jahr den Permafrostzustand auf Deutschlands höchstem Berg untersucht:

    "In der Höhenlage geht der Permafrost wohl bis etwa 2 200 an der Nordseite runter. Je höher sie kommen, umso dichter wird er wohl. Also in 2 200 Metern Höhe haben wir so Linsen, die aufgelöst sind. Weiter oben haben wir dann einen durchgehenden Permafrostkörper."

    Kleine Sensoren im Berg geben dem Geologen Poschinger wie Fieberthermometer Auskunft über den Zustand des bislang ganzjährig gefrorenen Felsens. Noch taut die Zugspitze nicht so schnell wie die höher gelegenen Gipfel in der Schweiz. Dort wird das Gestein auf den Gipfeln oft nicht mehr durch Permafrost zusammengehalten und droht als Steinlawine abzugehen. Hat man vor zwanzig Jahren noch angenommen, dass sich die Alpen um ein Grad Celcius bis 2010 erwärmen, sind es mittlerweile gut 1,5 Grad mehr, die die Gletscher und das Gestein auftauen. Im Rahmen des jungen europäischen Alpennetzwerkes Permanet versuchen Forscher deshalb, ein weltweites Vorhersagemodell zu entwickeln:

    "Wir erhoffen uns ganz konkrete Hinweise, wo in den bayerischen Alpen damit zu rechnen ist, dass Steinschlag, Felsstürze auftreten, weil Permafrost rausgehen könnte und wo überhaupt noch Permafrost vorhanden ist und wenn er rausgeht, wo es eben zu Problemen führen kann."

    Die aber noch lange nicht so dramatisch sind wie in Sibirien, wo der drohende Permafrostschwund Tonnen von Methan freisetzen könnte.

    Poschingers Kollege Michael Bittner, der wissenschaftliche Koordinator am Schneefernerforschungszentrum auf der Zugspitze kann denselben Trend in der Atmosphäre beobachten, in ungefähr 85 Kilometern Höhe, wo Satelliten die Temperatur messen:

    "Die Analyse der Daten zeigt einen massiven Trend. Die Länge der Jahreszeiten ändern sich massiv. Das sehen wir da oben schon. Die Messungen da oben zeigen, dass der Sommer zum Beispiel pro Dekade um zehn Tage zunimmt. Das heißt jedes Jahr dauert der Sommer einen Tag länger. Wenn das so weiter geht – wir wissen nicht, was das bedeutet."

    Ludwig Ries, der sich im Forschungsverbund Global Atmosphere Watch mit chemischen und physikalischen Veränderungen beschäftigt, weiß, was das bedeutet, zumindest für die Phenologie, d.h. die Pflanzen betreffende Forschung:

    "Es ist schon so, dass aufgrund phenologischer Untersuchungen sich die warme Jahreszeit verlängert hat. Dass der Austrieb oder die Blüte von bestimmten Pflanzen früher stattfindet und letztlich auch der Blattfall im Herbst später ist."

    In Südtirol und am Bodensee beginnt man deshalb, neue Apfelsorten anzubauen, die weniger hitzeempfindlich sind als die herkömmlichen. Michael Bittner spricht aus, was die meisten Kollegen vom Zugspitzforschungszentrum denken:

    "Die Folgen, die dieser Klimawandel in sich trägt, haben es in sich. Die sehen wir heute noch gar nicht ab. Da kann es einem in der Tat schwindlig werden. Ein Punkt ist nämlich: Die Trinkwasserverfügbarkeit wird nachlassen. Ein anderer Aspekt: Die Gesundheitsrisiken, die damit verbunden sind, über die haben wir noch gar nicht genügend nachgedacht. Wir haben ja Bevölkerungsgruppen, die an Asthma erkrankt sind, das heißt, Luftqualität spielt eine entscheidene Rolle. Wenn der Feinstaub sich verändert, die Spurenstoffe sich verändern, dann verändert sich auch das Risiko für diese Gruppen."

    Gerade erst hat die Forschungsgruppe um Ludwig Ries ihre dreijährige Untersuchung zum Feinstaub in den Alpen abgeschlossen. Ihre Botschaft an die Politik: Der Feinstaub in Deutschland ist hausgemacht und kommt nicht wie vermutet aus Süd- oder Osteuropa, das heißt, es ist dringender Handlungsbedarf gefordert und das nicht nur bei der EU-Feinstaubrichtlinie.